Maya Hawke als Robin Buckley (li.), Joe Keery als Steve Harrington, Priah Ferguson als Erica Sinclair, Natalia Dyer als Nancy Wheeler und Sadie Sink als Max Mayfield in "Stranger Things". Ab 1. Juli sind auf Netflix die letzten beiden Folgen der vierten Staffel abrufbar.

Foto: Netflix

Die Nachricht aus dem Inneren des Fernsehbergwerks kommt einem Paradigmenwandel gleich und ist doch völlig untergegangen: Sat.1 cancelt Scripted Realityshows am Vorabend. Alle! Das heißt: Ende für "Auf Streife", nie wieder "Klinik am Südring", aus für "Lenßen übernimmt". Wer nun glaubt, wir haben es überstanden, täuscht sich. "Der geliebte 90er-Jahre-Talk kommt zurück", verspricht der Privatsender für ein mehrstündiges Nachmittagsliveformat "Volles Haus". Und RTL holt Richterin Barbara Salesch zurück aus dem wohlverdienten Ruhestand.

Es stimmt natürlich, wir müssen das alles nicht sehen. Aber allein der Umstand, dass Fernsehen im Streamingzeitalter zum Trashkübel wird, missfällt mir, und das kann ich leider nicht ändern.

Serienmäßig gewinnt der Sommer unterdessen an Terrain. Soll heißen: Ganz große Starts hält der Monat kaum bereit, wenngleich es mit einem Knaller beginnt. Darüber hinaus gibt deutsche Comedy kräftige Lebenszeichen von sich, und die obligatorische Dystopie darf natürlich auch nicht fehlen.

Stranger Things

Schon allein wegen Kate Bush hat es sich ausgezahlt, die sieben Folgen der vierten Staffel zu schauen. "Running Up that Hill" trägt zur Versöhnung der Generationen bei, weil die Nachkommen plötzlich auch begeistert 1980er-Jahr-Hadern aufdrehen – und hier ist ausdrücklich nicht Radio Wien gemeint! Wenn jetzt nur nicht die Vokuhila-Welle kommt! Schulterpolster haben sie bei "Stranger Things" Gott sei Dank ausgelassen, davor sind wir zumindest vorerst sicher. Wer weiß, was noch kommt.

Kurz und gut, die Staffel ist ein Hit, alle Beteiligten – ob Joyce und Jim, Mike, El, Dustin, Lucas, Nancy, Jonathan, Karen, Martin, Will, Max, Steve, Billy, Bob, Sam, Robin, Erica und Murray (ganz besonders Erica und Murray!) – sind derzeit our most favourite Streaming-Family. Ein Sommer wie damals. 1. 7., Netflix

Stranger Things

Baymax

Schluss mit untergehenden Welten, horriblen Zukunftsvisionen, verzweifelten Superkämpfern, wir brauchen richtig positive Helden, wir brauchen Baymax! In der fantastischen Stadt San Fransokyo geht der liebenswerte aufblasbare Gesundheitsroboter seinen Urinstinkten nach, soll heißen: anderen helfen. Und nur das. 2. 7., Disney+

Walt Disney Animation Studios

King of Stonks

Geld verdirbt den Charakter, heißt es. Kinogeherinnen wissen das spätestens seit "Wall Street". Als kleiner Programmierer will Frank Armand in dieser Tradition mit seiner Firma Cable Cash das größte Fintech-Unternehmen aller Zeiten aufbauen. Werte wie Moral, Integrität, Ehrlichkeit sind schnell über Bord. Dazu kommt ein irrer Vorgesetzter, der sich mit der Mafia eingelassen hat. In der Kombination mit Politik und Presse verselbständigen sich die Dinge, und Frank, der Aufsteiger, ist sehr schnell einer der größten Betrüger Deutschlands.

"King of Stonks" folgt einer wahren Geschichte und wurde für Netflix von den "How to Sell Drugs Online (Fast)"-Machern Matthias Murmann und Philipp Käßbohrer umgesetzt. Nach "Super Pumped", "The Dropout", "Inventing Anna" und "WeCrashed" ist das die nächste Hochstaplerbiografie, exzeptionell besetzt mit Thomas Schubert, Matthias Brandt, Larissa Sirah Herden, Eva Löbau, Bibiana Beglau, Christian Tamitz und vielen mehr. 6. 7., Netflix

Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

Menschenleben

Arte eröffnet den Sommer mit einer empfehlenswerten Dokumentarfilmreihe über die zentrale Frage: "Was macht die Würde eines Menschen aus?" 13 Filmemacherinnen und Regisseure versuchen dazu eine Annäherung mit Porträts von Haushaltshilfen, Viehzüchter, und Menschen, die kein Verlangen nach Sex haben, sowie Filmen über Beschneidung, Transplantation, Kinderhandel, Ärztemangel, Vergewaltigung, Aufstand der Mittelschicht und mehr. Online ab 15. Juni, im TV am 6. 7., jeweils mittwochs auf Arte

Black Bird

Hintergrund der Serie sind die autobiografischen Aufzeichnungen von James Keene, "In With The Devil: A Fallen Hero, A Serial Killer, and A Dangerous Bargain for Redemption". Keene, gespielt von Taron Egerton, sollte für zehn Jahre ins Gefängnis, ließ sich aber auf einen gefährlichen Deal ein, der ihn vor der Strafe bewahren sollte: Im Hochsicherheitsgefängnis für kriminelle Geisteskranke nahm er mit dem mutmaßlichen Serienmörder Larry Hall (Paul Walter Hauser) Kontakt auf, um herauszufinden, wo die Leichen mehrerer junger Mädchen vergraben sind. Trauriges Detail am Rande: Die Serie ist die letzte Fernseharbeit des großen Ray Liotta, Star aus "Goodfellas" und "Field of Dreams", der am 26. Mai im Alter von 67 Jahren starb. 8. 7., Apple TV+

Apple TV

How to Build a Sex Room

"Home-Improvement" einmal anders. Sie wollen einen kuscheligen Platz für genussvolle Stunden zu zweit? Oder ein Geheimversteck für Schäferstündchen? Oder einen alle Stückeln spielenden SM-Darkroom? Die Einrichtungsberaterin Melanie Rose weiß, wie es geht. In der Reality-Serie wenden sich Paare, die ihr Schlafzimmer zum Sextempel aufpeppen wollen, an die fantasiebegabte Innenarchitektin. 8. 7., Netflix

Netflix

Damaged Goods

"Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit" war 1998 eine Liebeskomödie über das chaotische Beziehungsleben Berliner Jugendlicher. Knapp ein Vierteljahrhundert später zeigt sich: Das Chaos ist geblieben, nur kreist es heute um Social Media und führt dazu, die Qualität eines Sexerlebnisses mit Melanzani-Emojis zu bewerten. (Echt jetzt?) Der Podcast der gescheiterten Psychologiestudentin Nola bildet den Rahmen, in dem sich ihre Freunde, die Businessfrau Hennie, Künstlerin Tia, Aufreißer Mads und Flugbegleiter Hugo am Millennial-Jungsein abarbeiten.

Schwungvoll geschrieben von Jonas Beck, akkurat auf die Pointe inszeniert von Anna-Katharina Maier, verfügt "Damaged Good" vor allem über ein munter an absurden Zeitgeist-Abgründen schrammendes Ensemble, allen voran Sophie Passmann, weiters Tim Oliver Schultz, Leonie Brill, Zeynep Bozbay und Antonije Stankovic. 11. 7., Amazon Prime Video

KinoCheck Heimkino

Verändere dein Bewusstsein

Der Titel klingt wie grauenhafte Lebensberatung im Fernsehen, dabei geht es um etwas ganz anderes. Der Autor Michael Pollan analysiert in vier Folgen Geschichte, Anwendungsbereiche und neue Erkenntnisse zu psychedelischen Substanzen wie LSD, Psilodybin, MDMA und Mescalin, und das klingt schon wieder spannend. 12. 7., Netflix

Resident Evil

London 2036. Kaum Nebel, dafür alles kaputt – und dann auch noch das: "Das Böse hat sich weiterentwickelt." 14 Jahre nach dem Aufkommen des tödlichen T-Virus kämpft Jade Wesker in einer dunklen, dunklen Welt gegen wilde Kreaturen und die Geister der eigenen Vergangenheit im Detail und insgesamt ums Überleben. Die Story hat den Film mit Milla Jovovich und aktuelle Bezüge zur Vorlage. Während Ersteres nicht weiter stört, frage ich mich bei Zweiterem: Will ich das wirklich sehen? 14.7., Netflix

Netflix

One Mic Stand

Das Team von "Last One Laughing" legt mit einer nicht minder vielversprechenden Idee nach. "One Mic Stand" spannt Comedians mit Menschen zusammen, die nicht unbedingt für ihren sprühenden Humor bekannt sind. Ziel ist ein finaler Stand-up-Auftritt, bei dem der Lehrling das Publikum zum Lachen bringen muss. Spaßmacher Teddy Teclebrhan hostet die Sause.

Die Paarungen: Harald Schmidt coacht die Kicker Mats Hummels und Christoph Kramer. Michael Mittermaier unterrichtet Tänzerin und TV-Jurorin Motsi Mabuse, Teddy lehrt den Schauspieler Fahri Yardim im Fach des Komischen, Torsten Sträter weist Model Lorena Rae ein, Hazel Brugger fordert Karl Lauterbach heraus, zum Zeitpunkt des Experiments noch nicht Gesundheitsminister Deutschlands. 15. 7., Amazon Prime Video

Amazon Prime Video Deutschland

Il Re

Bruno Testori herrscht im italienischen Gefängnis San Michele wie ein König: Der Gefängnisdirektor setzt seine Vorstellungen von Gerechtigkeit brutal um. Als ein Freund ermordet aufgefunden wird, geht es für Bruno darum, die bedrohte Ordnung wiederherzustellen, doch das ist leichter gesagt, als getan. Luca Zingaretti spielt die Hauptrolle, interessant sind die Macher: Das Drehbuch stammt von Stefano Bises ("The New Pope", "Gomorrah – Die Serie"), Peppe Fiore ("The Young Pope"), Bernardo Pellegrini ("Unwanted"), Massimo Reale und Davide Serino. Regie führte Giuseppe Gagliardi ("1992"). 19. 7., Sky

Sky

Surface

Sam Miller ("I May Destroy You") führt Regie und ist ausführender Produzent der AppleTV+- Serie über eine Frau, die sich nach einem Gedächtnisverlust an ihre Vergangenheit zu erinnern versucht. Veronica West hat die acht Episoden entwickelt, wir kennen ihr Werk aus "High Fidelity", "Brothers & Sisters" und "Ugly Betty". Gugu Mbatha-Raw spielt Sophie, der im Zuge der Serie dämmert, dass die Amnesie kein Zufall ist, sondern hinter dem Gedächtnisnebel eine dicke, fette Verschwörung lauert. 29.7., Apple TV+

Apple TV

Uncoupled

Ein New Yorker Immobilienmakler wird nach 17 Jahren von seinem Partner verlassen und ist mit der zunächst albtraumhaften Aussicht konfrontiert, als mittelalter weißer Single in New York auf Partnersuche gehen zu müssen. Neil Patrick Harris ("Doogie Howser" und "How I Met Your Father") in einer Single-Comedy von Darren Star. Der Mann hat "Emily in Paris" erfunden, was leichtfüßigen Humor, aber auch reichlich Platz für käsige Stereotyp-Comedy verspricht, für die man sich ein bisschen fremdschämt. 29. 7., Netflix

Netflix

Abschließend noch der gute Gute-Laune-Tipp für den Sommer: At Home With the Gils begleitet auf Prime Video eine der berühmtesten Familien der brasilianischen Musik bei der Vorbereitung zu einem gemeinsamen Konzert. Die Mitglieder haben sich zu einer kreativen Auszeit auf dem Lande nahe Rio de Janeiro getroffen, allen voran Godfather Gilberto Gil. Es wird viel musiziert, aber auch diskutiert. Tropicalismo now!

Gilberto Gil

Frohes Schauen, und kommen Sie gut durch den Juli! (prie, 30.6.2022)