Dieser Fischer steht südlich von Pavia auf dem Trockenen. 125 Städte in den Regionen Piemont und Lombardei müssen bereits Wasser rationieren.

Die Verzweiflung der Bauern in der Po-Ebene lässt auch höchste kirchliche Würdenträger nicht unberührt: Der Mailänder Erzbischof Mario Delpini werde am Samstag gleich in drei ländlichen Kirchgemeinden seiner Diözese Gottesdienste halten, um "für das Geschenk des Wassers und für einen weisen Umgang mit diesem lebenswichtigen Element" zu beten, wie die Erzdiözese Mailand gestern mitteilte. Bereits in den vergangenen Tagen hatten mehrere Landpriester in den besonders von der Hitze und Dürre betroffenen Regionen Piemont, Lombardei und Emilia-Romagna mit den Gläubigen Prozessionen durchgeführt – auf dass es der Himmel auf die ausgetrocknete Erde und die verdorrten Kulturen endlich wieder einmal regnen lasse.

Salzwasser ins Landesinnere

Bisher blieben die Fürbitten ohne Erfolg: Ganz Italien und besonders die Po-Ebene wird in diesen Tagen von einer Trockenheit und Hitze heimgesucht, wie sie seit mindestens acht Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen ist. Im Piemont hat es seit Anfang Dezember nicht mehr richtig geregnet, in der Emilia-Romagna liegt der Pegel des "grande fiume", des größten Flusses in Italien, acht Meter unter dem Normalpegel dieser Jahreszeit. Bei der Messstation von Pontelagoscuro wenige Dutzend Kilometer oberhalb des Po-Deltas flossen gestern noch 160 Kubikmeter pro Sekunde in Richtung Adria. Normal wären in dieser Jahreszeit 1.500 bis 2.000 Kubikmeter – der Po ist zu einem Rinnsal verkümmert. Weil der Pegel des Flusses tiefer liegt als der Meeresspiegel, fließt Salzwasser im Flussbett inzwischen mehr als 20 Kilometer ins Landesinnere und dringt in die Felder und in das Grundwasser ein.

Die Folge davon schildert Giancarlo Mantovani, Direktor des Unterhaltskonsortiums des Po-Deltas: "Im Umkreis von 200 Metern des Flusslaufs wächst nichts mehr. Die Erde ist zur Wüste geworden." Wegen des Einsickerns von Salzwasser ins Grundwasser sei es nur eine Frage der Zeit, "bis aus den Wasserhähnen Salzwasser fließt". Nicht besser sieht es im oberen Flusslauf aus, im Piemont. "Glauben Sie mir, ich übertreibe nicht: Wir erleben hier eine Katastrophe biblischen Ausmaßes", sagt der Landwirt Giuseppe Casalone, dessen Betrieb einige Kilometer südlich von Novara liegt. Der größte Teil seiner Produktion ist so vertrocknet, dass nun auch Regen nicht mehr helfen würde: Die Jungpflanzen sind bereits abgestorben. Und der kalendarische Sommer hat gerade erst begonnen – die trockensten und heißesten Monate des Jahres, der Juli und der August, stehen noch bevor.

30 Prozent Ernteausfälle

Laut dem italienischen Bauernverband Coldiretti betragen die Ernteausfälle bei den frühen Getreidesorten bereits heute rund 30 Prozent. Bei den Früchten und Gemüsen rechnet der Verband mit einem Ausfall von 40 Prozent. Am meisten leiden die Reisbauern: "Wenn es nicht sehr bald regnet, gibt es ein Desaster", betont Paolo Carrà, Präsident der Reisproduzenten von Novara, Biella und Vercelli im Piemont. In dieser Jahreszeit müssten die Reisfelder eigentlich geflutet werden, was angesichts des dramatischen Tiefstands der Flüsse derzeit kaum noch möglich sei. Carrà erinnert daran, dass in der Po-Ebene über 50 Prozent des in der EU angebauten Reises wächst; allein im Piemont produzieren 4.000 Reisbetriebe jährlich 800.000 Tonnen oder 27 Prozent der gesamten EU-Produktion. Carrà rechnet wegen der Dürre mit Ernteausfällen von 50 bis 70 Prozent. Laut Coldiretti drohen Milliardenschäden. Mehrere Regionen haben den Notstand ausgerufen.

Noch relativ wenig zu spüren von dem Wassermangel ist am Gardasee: Er ist zwar auch nur noch zu 60 Prozent gefüllt, aber insgesamt sind die Urlaubsfreuden an dem bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen beliebten Gewässer noch ungetrübt. Aber genau deswegen tobt hinter den Kulissen ein erbitterter Streit um die Abflussmenge – immerhin handelt es sich beim Gardasee mit seinem Fassungsvermögen von 50 Milliarden Kubikmetern um das größte Wasserreservoir Oberitaliens. Um dem Po, seiner Fauna und den Landwirten südlich des Sees zu Hilfe zu kommen, hat die Regulierungsbehörde für das Po-Becken bei Peschiera del Garda eine Öffnung der Schleusen angeordnet, um die Abflussmenge zuerst um zehn und dann um 30 Kubikmeter pro Sekunde zu erhöhen. Solche Maßnahmen sind im nationalen Gesetz für derartige Krisensituationen vorgesehen.

Pegel des Gardasees sinkt

Wegen der erhöhten Abflussmenge und der Verdunstung infolge gestiegener Wassertemperaturen sinkt jetzt aber auch der Pegel des Gardasees mit bedenklicher Geschwindigkeit – die Anliegergemeinden schlugen letzte Woche Alarm und sagten "basta". "Wir müssen unsere Schifffahrt und die Fische schützen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Bauern rund um den See auch im August noch ihre Kulturen bewässern können", betont Pierlucio Ceresa, Geschäftsführer des Gemeindeverbands Garda. Außerdem bringe der um 30 Kubikmeter pro Sekunde erhöhte Abfluss dem Po gar nichts: "Der Fluss bräuchte im jetzigen Zeitpunkt mindestens 500 zusätzliche Kubikmeter pro Sekunde. Das Einzige, was wir mit der Öffnung der Schleusen erreichen, ist, dass nach dem Po auch noch der Gardasee krank wird."

Meuccio Berselli, Leiter der Regulierungsbehörde für den Po, sieht dies anders – und er fordert von den Gardasee-Gemeinden "Kollegialität und Zusammenarbeit". Solidarisch zeigten sich in diesen Tagen die Stromversorger Enel, Edison und A2A, die zugesagt haben, in den kommenden zehn Tagen insgesamt fünf Millionen Kubikmeter aus ihren Stauseen abzulassen, um die Not der Landwirte rund um den Po zu lindern. "Aber danach sind die Reserven zu Ende, denn auch unsere Wasserspeicher sind nur noch zur Hälfte gefüllt", betonte gestern ein Sprecher von Enel. Mit anderen Worten: Die Notmaßnahmen sind weitgehend ausgeschöpft – jetzt hilft vielleicht tatsächlich nur noch beten. (Dominik Straub aus Rom, 22.6.2022)