Er ist ein richtiges Multitalent: Surfspot, Badeplatz, Brunnenbefüller, Teichspeicher, Kraftwerk und Klimaanlage in einem. Der Almkanal, der durch die Stadt Salzburg fließt, ist das ältestes Wasser- und Energieversorgungssystem Mitteleuropas und wird bis heute vielfältig genutzt.

Wasser kühlt die Stadt.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Wasser sorgt – besonders in Hitzewellen – für Entspannung. Seen, Rinnsale, Flüsse und Bäche tragen zur Abkühlung bei. Immer öfter spielt daher in den Städten nicht nur Grün, sondern auch Blau eine Rolle bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels. "Generell wirken urbane Wasserflächen wegen ihrer hohen Wärmespeicherkapazitäten mildernd auf den Temperaturverlauf im Tagesgang – Temperaturextreme können gedämpft werden", sagt Stadtklimatologin Magdalena Holzer von Weatherpark, einem Unternehmen, das Städte – darunter auch Wien – in puncto Klima berät.

Klima- und Kühlanlage

Untertags während Hitzeperioden sind die Wassertemperaturen meist geringer als die Lufttemperatur oder die Oberflächentemperaturen in der Umgebung. So können untertags im Nahbereich der Wasserkörper "Temperaturmaxima abgepuffert" werden. Gleichzeitig kühlt Wasser auch langsamer wieder ab, die Temperatur des Wassers kann also mitunter in der Nacht höher sein als jene der Luft, wodurch nächtliche Temperaturminima ebenso abgepuffert und der nächtliche urbane Wärmeinseleffekt verstärkt werden könnten.

In Salzburg werden bei der Wehranlage in Hangendenstein pro Sekunde 5500 Liter Wasser aus der Königsseeache in das künstlich angelegte Bachbett des Almkanals abgeleitet. Das Almwasser versorgt auf seinem zwölf Kilometer langen Kanallauf bis in die Salzach mittlerweile 17 Wasserkraftwerke. Ein 18. ist in Planung. Es soll in der Sinnhubstraße als Bürgerkraftwerk Strom für 200 Wohnungen erzeugen. Das älteste Laufkraftwerk in Salzburg, das Kraftwerk Eichetmühle, liegt ebenfalls am Almkanal und ist noch im Originalzustand von 1908 erhalten. Auch das Augustinerbräu Mülln, die Stiegl-Brauerei, das Landeskrankenhaus, das städtische Notstromaggregat und das Sägewerk Klappbacher beziehen Strom aus Wasserschnecken und Kraftwerken im Almkanal.

Am Stadtrand verläuft der Almkanals an der Oberfläche.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Obwohl der Kanal heute durch die Altstadt überwiegend unterirdisch verläuft, spendet das Wasser der Alm der Stadt auch heute seine Kälte: Als Kühlanlage wird es für das Bier des Augustinerbräus Mülln genutzt. Als Klimaanlage dient es dem Haus der Natur, dem Salzburg-Museum, der großen Universitätsaula sowie dem Festspielhaus.

Auf die Kombi kommt es an

Bevor der Kanal aber unter den Straßen der Altstadt verschwindet, fließt er oberflächlich. Das Ufer der Alm, das teilweise von geschützten Kopfweiden gesäumt wird, wird vor allem im Sommer als Liegefläche genutzt. Das rund 15 Grad kalte Wasser mit der starken Strömung ist nicht nur eine willkommene Abkühlung an heißen Tagen, sondern verbessert auch das Mikroklima in seinem Umfeld.

Auf die Kombination kommt es auch laut Stadtklimatologin Holzer an. Neben dem Wasser müsse auch das Ufer und dessen Umgebung richtig gestaltet werden. Die Beschattung durch "großkronige, vitale Bäume, die ausreichend bewässert werden, schafft die wirkungsvollsten Reduktionen der gefühlten Temperatur". In diesem Zusammenhang können fließende Bäche zudem ein "wertvolles Wasserreservoir" darstellen und den Einsatz von Trinkwasser für die Bewässerung von Bepflanzungen vermeiden. Außerdem: "Ein Bachlauf oder ein Fluss kann natürlich auch als Kaltluftschneise dienen", sagt Holzer. Sofern dieser geografisch und topografisch richtig gelegen ist und tatsächlich Kaltluftentstehungsgebiete mit Siedlungsbereichen verbindet. Ein Beispiel: der Wienfluss, dessen Verlauf eine Schneise frei von Bebauung darstellt, damit Kaltluft ungehindert fließen kann.

Frei von Verbauung zieht sich der Wienfluss durch die Stadt.
Foto: Robert Newald

Wasser an die Oberfläche holen – eine Idee, die es in vielen Städten gibt. Doch die Durchführung lässt meist auf sich warten: Auch wenn noch andere Prioritäten anstehen, wie der in Graz besonders dringliche Hochwasserschutz, will die steirische Landeshauptstadt Wasser mittelfristig positiv erlebbar ins städtische Leben bringen. "Wir denken darüber nach, unterirdische Bachläufe wieder zu öffnen", sagt der Leiter der Abteilung für Grünraum und Gewässer, Robert Wiener. Konkrete Bäche sind schon gefunden. Einige Abschnitte etwa des Leonhard- oder Grazbaches oder des Annabaches würden sich zur Freilegung anbieten. "Jedenfalls kleine Gewässer, die jetzt vor allem verrohrt und unterirdisch geführt werden", sagt Wiener.

Heißes Thema waren die Bachfreilegungen auch im Wiener Gemeinderatswahlkampf vor rund zwei Jahren: Die Neos – damals noch in der Opposition, heute Teil der Stadtregierung – waren es, die das Thema auf die Agenda setzten. Konkret forderte der heutige Vizestadtchef Christoph Wiederkehr damals, die Als, die unter irdisch durch den 17. Bezirk verläuft, wieder aufleben zu lassen. Zudem wollte man in der Brigittenau ein neues Bachbett auf der Länge von etwa 3000 Metern entlang des Dammes der alten Nordwestbahn angelegt sehen.

Alte, neue Bäche

Umsetzung haben die pinken Pläne bisher nicht gefunden. Allerdings: Die Freilegung der Flüsse ist in Wien weiterhin Thema. Im Zuge des Projekts ProBACH untersucht Weatherpark unter anderem mit der Universität für Bodenkultur und dem Institute of Building Research & Innovation (IBR&I) das Potenzial der unter irdischen Wienerwaldbäche im Nordwesten Wiens als städtische Erholungsräume.

Das geschieht anhand zweier Faktoren, erklärt Philipp Stern vom IBR&I: "Wir überlegen, welche Bäche aus hydrologischer Sicht geeignet sind und an welchen Orten in der Stadt Klimawandel anpassungsmaßnahmen prioritär umgesetzt werden sollten." Denn Hitzeinseln entstehen meist in Bereichen, die sich durch einen "hohen Versiegelungsgrad, also dichte Bebauung und wenig Grünflächen", auszeichnen. "Zusätzlich ist die Bevölkerungsdichte im betreffenden Gebiet ein wichtiger Aspekt, da von einer Umsetzung eine möglichst große Zahl an Personen profitieren sollte", sagt Stern.

Und genau an den dicht bebauten Orten spießt es sich mit der Stadt. Eine Öffnung dieser unterirdisch geführten Bäche wäre "aus Gründen des Hochwasserschutzes, aber auch aufgrund der fehlenden öffentlichen Flächen im dicht besiedelten Stadtgebiet nicht realisierbar", heißt es von der Abteilung Wiener Gewässer. Hinzu komme, dass die Bäche auch stark von Trockenperioden betroffen wären.

Renaturierung in der Stadt

Stattdessen setzt die Stadt auf Renaturierungen, um "ökologisch wertvolle Lebensräume" zu schaffen. Heißt: Jene Bäche, die bereits oberirdisch fließen – wie der Liesingbach, der längste unter den Wienerwaldbächen –, wurden und werden sukzessive renaturiert. Von den 18,4 Kilometern, die der Bach durch Wiens Stadtgebiet fließt, wurde bisher die Hälfte renaturiert. 2020 wurde der zweite Teil in Angriff genommen. Bis Ende 2027 soll das Projekt abgewickelt werden.

Der Liesingbach in Wien wurde zum Teil bereits renaturiert.
Foto: PID/Fürthner

Aber nicht nur reale Flüsse, sondern auch künstlich erzeugte Gewässer sollen die Aufenthaltsqualität in ihrer Umgebung erhöhen. In Graz ist ein dahingehendes Projekt rund um den historischen Stadtparkbrunnen schon einigermaßen konkret. Der Plan: Hier könnte das Überlaufwasser, wie es vor vielen Jahrzehnten bereits der Fall war, in einen Bach abgeleitet werden. "Wir wollen hier den alten Bachverlauf reaktivieren, da gibt’s bereits ein konkretes Konzept, das wir bei der notwendigen Renovierung des Brunnens realisieren könnten." Der Bach würde jedenfalls in die sogenannte Elefantenschwemme, einen Ententeich an der Stadtmauer, münden.

In der Wiener Zollergasse entsteht durch Quelldüsen und Nebeldüsen ein Rinnsal.
Foto: Robert Newald

Ein neues Rinnsal hat zuletzt auch Wien erhalten. Im Zuge der Neugestaltung der Zollergasse in Neubau wurden im Boden je drei Quelldüsen und Nebeldüsen installiert. Im Bereich der Fußgängerinnenzone erzeugen sie einen kleinen Bachlauf. Zwar sei die "mikroklimatische Wirkung des Bächleins quasi null", sagt Holzer. Positiv seien aber die Möglichkeiten aktiver Abkühlung, der Erlebnisfaktor, Vielfalt im öffentlichen Raum und die Möglichkeit sozialer Interaktion.

Eine Frage der Priorität

Die "Spielwasserprojekte", die auf der Agenda der neuen Grazer Stadtregierung stehen, brauchen aber noch Zeit und Geduld. Voraussetzung dafür ist allerdings hier wie dort eine Neuverhandlung des öffentlichen Raumes. Sprich: Die Autos müssen aus der Stadt weichen, um Platz für eine grüne und blaue (Wasser-)Infrastruktur zu schaffen. "Es braucht eine entsprechende Priorisierung der Flächennutzung zugunsten blau-grüner Klimawandelanpassungsmaßnahmen und neuer städtischer Erholungsräume", betont Stern. (Oona Kroisleitner, Stefanie Ruep, Walter Müller, 26.6.2022)