Das bulgarische Parlament hat die Regierung am Mittwochabend durch ein Misstrauensvotum gestürzt. 123 der 239 anwesenden Abgeordneten stimmten für den Antrag, der von der Partei "Es gibt so ein Volk" (ITN) des Entertainers Slavi Trifonov eingebracht worden war. Die Partei war eigentlich bis vor kurzem Teil der Regierungskoalition im Kabinett von Kiril Petkov, doch Streitigkeiten über Subventionen für Bauunternehmer und den Umgang mit Nordmazedonien führten dazu, dass Trifonov die Zusammenarbeit Anfang Juni aufkündigte.

Die Regierung von Ministerpräsident Kiril Petkov ist am Mittwoch über ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt.
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Petkov, der antrat, um für mehr Rechtsstaatlichkeit zu sorgen und die Korruption zu bekämpfen, argumentierte, dass es ITN nur darum gehe, Privatunternehmen mit problematischem Ruf staatliches Geld zu geben. Am Dienstagabend versammelten sich Unterstützer der Regierung zu einem Protestmarsch in Sofia, das Parlament wurde am Mittwoch vor dem Votum mit Polizeieinheiten geschützt. Zur Regierungskoalition gehörten die Reformparteien "Wir setzen den Wandel fort" und die Partei Demokratisches Bulgarien, sowie die Kreml-affine Sozialistische Partei.

Keine Mehrheit mehr

Das bulgarische Parlament verfügt über insgesamt 240 Sitze, ohne die ITN hat die Koalition aber nur mehr 109 Abgeordnete und damit keine Mehrheit mehr. Nachdem Weggang der ITN wurde bereits der Parlamentspräsident abgelöst. Nach dem Sturz der Regierung erhält nun die Partei GERB des ehemaligen Premiers Bojko Borrisov ein Mandat zur Bildung einer Regierung, in der die jetzt in der Opposition befindlichen Parteien vertreten sein könnten. Wenn keine neue Regierung gebildet werden kann, werden Neuwahlen abgehalten.

Am Dienstag versammelten sich Unterstützer der Regierung zu einem Protestmarsch in Sofia.
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Die ITN hat aber wenig Interesse an Neuwahlen, dabei dürfte sie schlecht abschneiden. Einige Prominente haben die Partei bereits verlassen und behaupten, dass Trifonov Verbindungen zu Kriminellen habe. Vergangenes Jahr fanden in Bulgarien zudem gleich dreimal Wahlen statt – im April, im Juli und im November. Nach den ersten beiden Durchgängen waren die Parteien nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden. Erst nachdem der Übergangswirtschaftsminister Petkov eine neue Partei gegründet hatte, gelang es ihm im Dezember, eine Koalition zu schmieden.

Französischer Vorschlag

Petkov setzte sich dafür ein, dass das Veto gegen den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien, das noch Borissov eingelegt hatte, aufgehoben wird. Allerdings waren die ITN und auch Präsident Rumen Radev aus nationalistischen Gründen dagegen. Vor einigen Wochen hat auch Frankreich, das die Ratspräsidentschaft innehat, begonnen, sich für Lösungen zur Aufhebung des bulgarischen Vetos einzusetzen. Doch in Nordmazedonien sieht man den Vorschlag der französischen Regierung sehr kritisch.

Denn es wird befürchtet, dass der Erweiterungsprozess für Nordmazedonien dann noch komplizierter werden könnte. Laut dem Vorschlag soll Nordmazedonien vor Beginn der eigentlichen EU-Beitrittsgespräche die Bulgarinnen und Bulgaren als eine der konstituierenden Volksgruppen, die den Staat bilden, in die Verfassungspräambel des Landes aufnehmen. Dafür bräuchte es allerdings eine Verfassungsänderung, also eine Zweidrittelmehrheit in Nordmazedonien, die es in dieser Frage im Parlament nicht gibt. Brüssel und die französische EU-Ratspräsidentschaft könnten sich demnach eines "Erfolgs" bei der EU-Erweiterungsagenda am EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag rühmen, wenn Bulgarien das Veto aufhebt. De facto würde jedoch alles beim Alten bleiben, weil die mazedonische Regierung nicht in der Lage ist, die Bedingungen zu erfüllen.

Präzedenzfall

In der Praxis würde der französische Vorschlag zudem bedeuten, dass die bulgarischen Forderungen zu Brüsseler Forderungen würden. Diese gründen großteils auf einem aggressiven Nationalismus. Bulgarien will Nordmazedonien etwa diktieren, welches Geschichts- und Identitätsbild vorherrschen soll. Laut dem ehemaligen mazedonischen Außenminister Nikola Dimitrov würde dies einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, bei dem ein bilaterales Thema Teil der Brüsseler Agenda werden würde. "Der französische Vorschlag wird uns nicht zu einer EU-Mitgliedschaft führen", sagte Dimitrov vor kurzem. (Adelheid Wölfl, 22.6.2022)