In Österreichs Industrie wird viel Gas verbraucht. Es zu ersetzen ist eine Jahrhundertaufgabe.

Foto: IMAGO/photo2000

Genau während der bisher heißesten Tage des Jahres wurde die Befürchtung zur Realität: Russland liefert seit Beginn der Woche um bis zur Hälfte weniger Gas nach Österreich. Doch während viele während der Hitzewelle noch nicht ans Heizen denken, rutscht man in den Chefsesseln österreichischer Industriebetriebe bereits nervös hin und her.

Knapp 40 Prozent des Erdgases in Österreich verbraucht die Industrie – und zwar auch im Sommer. Vor allem die Stahl-, Papier-, Glas- und Chemiebranche braucht große Mengen Erdgas für ihre Produktion. Eine Drosselung oder gar ein Lieferstopp wäre für sie nur schwer verkraftbar. Denn während für Haushalte und Spitäler die Versorgung ausreichen dürfte, müssen Industrie und Gewerbe mit Einschnitten rechnen. Am Wochenende hat Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) informiert, wie sich Österreich auf einen Totalausfall des russischen Gases vorbereitet.

Doch langfristig hat die Abkehr vom fossilen Methan bereits begonnen. Denn Österreich hat sich das Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu sein. Wie weit sind die energieintensiven Branchen schon bei der Klimawende gekommen?

Ungeduldiges Papier

Die Papierindustrie ist der größte Gasverbraucher des Landes. Dementsprechend hart würde ein Lieferstopp die Branche treffen, sagt Sebastian Heinzel, CEO der Heinzel-Gruppe, die im steierischen Pöls und im oberösterreichischen Laakirchen Druck- und Verpackungspapier sowie Zellstoff erzeugt. Dass die Produktion so viel Gas frisst, liegt daran, dass das nasse Papier mit enorm hoher Hitze getrocknet werden muss. Und die wird zu großen Teilen eben mit Gas erzeugt.

Die Papierindustrie verschlingt enorme Mengen an Gas.
Foto: imago images/Rolf Hayo

Außerdem müssen in einer Zellstofffabrik stark riechende Abgase mithilfe von Erdgas verbrannt werden. "Hätten wir kein Gas mehr, würde es plötzlich stinken", sagt Heinzel. Kurzfristig könnte er einige Maschinen abschalten – das ginge im Vergleich zur Glas- und Stahlindustrie vergleichsweise einfach. Doch wenn die Pipelines ganz leer bleiben, stünden auch die Papiermaschinen still. Ein Notfallplan, die Trocknungsanlagen mit Öl zu versorgen, wurde wieder verworfen. "Wir bräuchten alle zwei Stunden einen Tankwagen", sagt Heinzel. Das wäre logistisch nicht machbar.

Langfristig muss die Branche trotzdem weg von der fossilen Energie. Dabei hätte die Papierindustrie laut Heinzel einige Vorteile: Bestimmte Teile von Bäumen, etwa die Rinde, können nicht zu Papier verarbeitet werden. Bisher wurden diese verkauft. In Zukunft könnte die Rinde verbrannt werden, um das Papier zu trocknen. Auch Altpapier lässt sich nicht unendlich oft recyceln. Was nicht mehr taugt, kann verfeuert werden.

Kein Glas ohne Gas

Auch die Glasindustrie ist auf das Erdgas angewiesen – und zwar durchgängig. Rund 200 Tonnen täglich werden pro Schmelzwanne bei rund 1500 Grad verarbeitet. Sie sind darauf ausgelegt, bis zu 14 Jahre durchzulaufen, dann werden sie erneuert oder ausgetauscht. Bleibt das Gas aus, könnte die Anlage beschädigt oder, im schlimmsten Fall, ganz unbrauchbar werden. Bei Kosten von 15 bis 20 Millionen Euro pro Wanne wäre das eine Katastrophe, sagt Johann Eggerth, Geschäftsführer von Vetropack Austria, dem größten Glasproduzenten des Landes und Obmann der Branchenvertretung in der Wirtschaftskammer.

Vor der Energiekrise ging der Trend in Richtung Elektrifizierung, derzeit werden bei modernen Wannen rund zehn bis 20 Prozent der notwendigen Schmelzwärme aus Strom erzeugt. In Deutschland gibt es bereits Versuche, in denen Glasöfen bis zu 80 Prozent elektrisch betrieben werden. Wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen kommt, kann auch ein Großteil der CO2-Emissionen eingespart werden. Doch bis das Verfahren in großem Maßstab einsetzbar ist, wird es noch einige Zeit dauern.

Kurz- bis mittelfristig sei Erdgas in der Glasindustrie deshalb kaum ersetzbar, sagt Eggerth, der seine Branche auch in der Wirtschaftskammer vertritt. Langfristig könnte Wasserstoff eine Alternative sein. Auch Altglas einzuschmelzen verbraucht weniger Energie, als neues Glas zu produzieren. Das funktioniert in Österreich bereits gut: Rund 85 Prozent der Glasverpackungen werden recycelt.

Österreichs Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, sei auch ohne Ukraine-Krieg schon ambitioniert gewesen – nun bekommt die Branche durch die Energiekrise einen zusätzlichen Schub. "Wir müssen den Übergang nun mit höherem Druck machen, aber hoffentlich trotzdem geordnet", sagt Eggerth – und hofft, dass seine Öfen bis zum Gasausstieg nie ausgehen.

Die Chemie stimmt nur mit Gas

Die chemische Industrie braucht Erdgas einerseits, um die Hitze für Prozesse zu erzeugen, andererseits als Rohstoff, etwa für Düngemittel oder Grundchemikalien für die Kunststofferzeugung. Kurzfristig ist das Gas kaum zu ersetzen, sagt Hubert Culik, Obmann des Fachverbands der Chemischen Industrie Österreichs. Sollte es wirklich zu Engpässen kommen, könnten laut Culik viele Lieferketten brechen, schließlich steckt Chemie in fast allen Alltagsprodukten. Für den Notfall habe man Pläne in der Schublade, dort, wo es möglich ist, die notwendige Hitze kurzfristig mit Heizöl zu erzeugen.

Ohne Gas liegt auch die chemische Industrie schnell lahm – und damit etwa auch die Düngemittelherstellung.
Foto: imago images / blickwinkel

In den vergangenen 30 Jahren sei es schon gelungen, den Energieverbrauch deutlich zu senken, in Zukunft soll auch der verbleibende Rest mit erneuerbarer Energie gedeckt werden. Schwieriger wird es, das Erdgas zu ersetzen, das nicht verbrannt, sondern in chemischen Prozessen verarbeitet wird. Biogas und Wasserstoff könnten das Gas künftig substituieren, doch beides gibt es noch nicht in ausreichender Menge.

Potenzial sieht Culik auch in CO2, das vom Problem- zum Wertstoff werden soll. Dieses könnte man an der Quelle abscheiden und etwa zu Kunststoffen weiterverarbeiten. Das Ziel, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden, sei keineswegs unrealistisch. Die Größenordnungen sind freilich gigantisch: Wenn die chemische Industrie ganz auf fossile Brennstoffe verzichten will, bräuchte es so viel Grünstrom, wie 60 Donaukraftwerke oder 10.000 Windräder erzeugen. "Wenn der Druck und die Mittel da sind, dann funktioniert das", sagt Culik. Druck gibt es aufgrund der Energiekrise und der Klimakrise jedenfalls genug.

Der Stoff der Zukunft

Wasserstoff ist der Stoff, aus dem die postfossilen Träume der Industrie sind. Produziert wird er bisher jedoch fast ausschließlich aus dem Stoff, den er langfristig eigentlich ersetzen soll: Erdgas. Dieser graue Wasserstoff, wie er in der Fachsprache heißt, ist alles andere als klimafreundlich.

Grüner Wasserstoff hingegen, der aus erneuerbarer Energie erzeugt wird, soll eine wichtige Säule in Österreichs Energiewende werden. Ohne diesen seien die Klimaziele nicht zu erreichen, heißt es in der Anfang Juni vorgestellten nationalen Wasserstoffstrategie. Er soll dort zum Einsatz kommen, wo Kohle, Öl und Gas noch alternativlos ist – also auch in vielen Bereichen der Industrie.

Wasserstoff könnte – wenn mit erneuerbarer Energie erzeugt – die Industrie nachhaltiger machen. Auf dem Bild zu sehen ist die Wasserstoff-Elektrolyse-Anlage von Mpreis in Tirol.
Foto: Mpreis

Derzeit wird der noch kleine Markt für grünen Wasserstoff noch von einigen wenigen Unternehmen bedient. Alexander Trattner vom Wasserstoffforschungsinstitut Hycenta sieht aber eine Chance für Österreich, bei Wasserstoff weltweit führend zu werden. Bei anderen Schlüsseltechnologien der Energiewende, etwa der Akkuproduktion, habe Europa den Anschluss verloren. Bei der Elektrolyse, also der Herstellung von Wasserstoff durch Wasserspaltung, sei Österreich gut aufgestellt.

Doch die beste Wasserstofftechnologie ist nichts, wenn es nicht genügend grünen Strom gibt. Es könne nicht sein, dass Genehmigungen für Windparks Jahrzehnte dauern. "Da müssen wir uns auf die Hinterbeine stellen", sagt Trattner. Ganz energieautark kann Österreich realistischerweise aber nie werden. Wasserstoff könnte künftig aus Nordafrika, Schottland, Zentralspanien, der Ukraine oder der Nordsee nach Österreich fließen. "Im Unterschied zur heutigen Gasversorgung können wir Energielieferverträge mit Ländern abschließen, die europäische Werte schätzen und achten", sagt Trattner. (Philip Pramer, 27.6.2022)