Bei der Aussage von möglichen Opfern einer Sexualstraftat kann das Gericht verfügen, dass keine Unbeteiligten im Saal anwesend sein dürfen.

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Wien – So, wie Emil C. es darstellt, hat er wirklich überhaupt keine Ahnung, warum er sich mit einer Vergewaltigungsanklage vor einem Schöffensenat unter Vorsitz von Stefan Renner wiederfindet. Er habe mit einer Schulkollegin seines jüngeren Bruders am Nachmittag des 25. Oktober im Süden Wiens einvernehmlich Geschlechtsverkehr haben wollen, bekennt sich der unbescholtene 30-Jährige zum Vorwurf des Staatsanwalts nicht schuldig. Daraus wurde aber nichts, da die junge Frau menstruierte, wovor ihm geekelt habe, versichert er. Als er sich im Badezimmer reinigte, sei die Frau davongelaufen, erst später habe er von dem Vergewaltigungsvorwurf erfahren.

Dass dieser Fall nicht wie leider so viele Sexualdelikte auf eine reine Aussagenwürdigung – also wem der Senat mehr glaubt – hinausläuft, ist offenbar dem professionellen Einschreiten der Wiener Polizei zu verdanken. Nach ihrer Flucht rief die junge Frau zunächst ihre Schwägerin an, um ihr von dem Vorfall zu erzählen, deren Mann alarmierte dann die Exekutive. Beamte fuhren sofort zu der jungen Frau, stellten ihre Kleidung sicher und brachten sie zu einer gynäkologischen Untersuchung, wo möglicherweise relevante Spuren penibel in einer Checkliste eingetragen wurden.

Gesicherte Spuren

Und derer gab es einige, wie C. in der Verhandlung vorgehalten wird. Bei der Frau wurde ein Hämatom am linken Halsrücken festgestellt, ebenso eine blutende Wunde im Intimbereich. Männliches Genmaterial wurde an ihrem Hals, ihrer Brust und in ihrer Unterwäsche gefunden, spermienfreie Samenflüssigkeit wurde ebenso gesichert. Auch die Tatsache, dass die Verletzte im Gegensatz zur Aussage des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt keine Regelblutung hatte, wurde im Protokoll vermerkt.

Vor Gericht gibt sich der Angeklagte verwundert und behauptet, absolut keine Erklärung zu haben, wie es zu den Verletzungen kam oder wie seine DNA-Spuren auf Körper und Wäsche gekommen sind. Alles sei ohne Gewalt abgelaufen, und es sei nie zu einer Penetration gekommen. "Warum soll die Frau das sofort, unmittelbar nachdem Sie angeblich den Versuch des Geschlechtsverkehrs aufgeben, erfinden und sich das alles antun? Warum will die Sie ins Gefängnis bringen?", will Vorsitzender Renner von C. wissen. "Ich kann mir nicht einmal vorstellen, warum sie solche Sachen erfindet", gibt sich der Slowake ratlos. Auch für die Verletzung im Intimbereich hat er keine Erklärung.

Gleich zu Beginn seiner Aussage hatte er der Frau, die er vor drei bis vier Jahren über seinen Bruder kennengelernt und gelegentlich in Wien besucht hat, allerdings unterstellt, sie habe ihn im Jahr 2020, als sie einmal einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatten, angelogen und behauptet, sie sei von ihm schwanger. Was Renner zur Frage bringt, ob er im Oktober 2021 ein Kondom verwendet hat. C. verneint. "Hatten Sie nicht Angst, dass dann dasselbe wie ein Jahr zuvor passiert?", interessiert den Vorsitzenden naheliegenderweise. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass es zu Sex kommt", entschuldigt sich der Angeklagte, der sich teilweise bei seinen Schilderungen widerspricht.

Angeklagtem waren Küsse nicht genug

Die Aussage der Zeugin findet auf Antrag ihrer Privatbeteiligtenvertreterin unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wie sich aus den Anmerkungen der Prozessbeteiligten danach rekonstruieren lässt, weicht sie dabei nur "minimalst" von ihren Angaben bei der Polizei ab. Dort sagte sie, sie sei freiwillig in die Wohnung mitgegangen, man habe sich auch einvernehmlich geküsst, dann wollte der 30-Jährige mehr. "Er hat mit mir Sex gemacht, ohne dass ich das wollte", notierte die Polizei damals. Erst als sie einen Anruf auf ihrem Mobiltelefon erhielt, sei C. so abgelenkt gewesen, dass sie entkommen konnte.

"Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass der Angeklagte im Sinne der Anklage zu verurteilen ist. Die Aussagen des Opfers waren schlüssig und konsistent", merkt der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer an. Die Verteidigerin sieht das anders: "Mein Mandant ist auf jeden Fall freizusprechen", appelliert sie an den Senat und hält die Schmerzengeldforderung von 10.000 Euro für überhöht.

7.000 Euro Schmerzengeld

Renner, seine Beisitzerin Tea Krasa sowie die Schöffin und der Schöffe haben damit offensichtlich kein so großes Problem. Sie müssen nur gut zehn Minuten beraten, ehe sie C. wegen Vergewaltigung zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilen und der Frau 7.000 Euro Schmerzengeld zusprechen. Die Darstellung der Frau sei "schlüssig, lebensnah und nachvollziehbar gewesen" und würde "mit dem ausgewerteten Spurenbild gut übereinstimmen", begründet der Vorsitzende die Entscheidung. Es gebe auch keinerlei erkennbares Motiv für eine Verleumdung.

C. schlägt kurz die Hände vor sein Gesicht und schüttelt den Kopf, als ihm das Urteil übersetzt wird. Dass er wegen seiner Unbescholtenheit bei einem Strafrahmen von zwei bis zehn Jahren Haft eine Strafe im unteren Bereich bekommen hat, wie Renner ihm erklärt, beruhigt ihn nicht. Nach Rücksprache mit seiner Verteidigerin nimmt er sich Bedenkzeit, auch der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 23.6.2022)