Am wichtigsten sind die Dächer. Die blauen Planen, mit denen die meisten Häuser vor einem Jahr notdürftig bedeckt waren, sind weitgehend verschwunden. Neue Dachziegel funkeln in der Mittagssonne. Mit den Fassaden kann man sich etwas mehr Zeit lassen. Viele sind immer noch zerfetzt von den Steinen, Ästen, Ziegeln und Balken, die der Sturm damals durch die Straßen gewirbelt hat. Und auch sonst ist noch lange nicht alles beim Alten in der südmährischen 2600-Einwohner-Gemeinde Moravská Nová Ves. Überall wird abgerissen, aufgegraben, neu gebaut. Kurzum: Der Ort gleicht einer Großbaustelle.

Am Abend des 24. Juni 2021 um 19.25 Uhr fegte ein Tornado durch Moravská Nová Ves und schlug binnen weniger Minuten tiefe Wunden. Die Uhrzeit hat sich den Menschen hier wohl für immer eingeprägt: 19.25 Uhr, das ist die Zeit, zu der auch die Zeiger der Kirchturmuhr stehen geblieben sind – weithin sichtbares Symbol dafür, dass in der Gemeinde seither nichts mehr so ist wie früher.

Ikonische Bilder der Katastrophe

Mittlerweile ist die Uhr verschwunden, die Kirche wird gerade repariert. Die Bilder vom Turm ohne Dach wurden weit über Tschechien hinaus zu Ikonen der Katastrophe. Auf der sogenannten Fujita-Skala war es ein Tornado der Stärke F4 – das bedeutet Windgeschwindigkeiten um die 400 km/h und "verheerende Schäden". In Moravská Nová Ves kam eine Person ums Leben. In der etwa 20 Kilometer langen Tornadoschneise, die sich von Valtice bei Břeclav entlang der Grenze zu Österreich bis Hodonín zog, waren es insgesamt sechs Tote.

Die Bilder der beschädigten Kirche von Moravská Nová Ves gingen vor einem Jahr um die Welt. Nun, ein Jahr später, ist die Turmuhr, die die Ankunft des Tornados festhielt, verschwunden. Ein Baugerüst ziert jetzt das Gotteshaus in der 2600-Einwohner-Gemeinde.
Foto: schubert

Marek Košut, der Bürgermeister von Moravská Nová Ves, sitzt in seinem Büro hinter Stapeln von Papier. Der Tornado fordert immer noch seinen Tribut, die Organisation des Wiederaufbaus ist in vollem Gang. "Mehr als 500 Häuser in der Gemeinde sind beschädigt worden, davon etwa 250 schwer", bilanziert Košut. Manche wurden ganz zerstört, andere später abgerissen.

Nächster Sturm nicht weit weg

Ob die Katastrophe etwas mit dem Klimawandel zu tun hat, kann Košut nicht sagen. Aber erst vor wenigen Tagen habe es ein paar Kilometer weiter wieder einen Sturm gegeben, sagt er. Einen schwächeren zwar, aber wieder seien zahlreiche Häuser beschädigt worden: "Es scheint, als müssten wir uns in unseren Breiten daran gewöhnen."

Vor einem Jahr wurden hier auch die meisten öffentlichen Gebäude in Mitleidenschaft gezogen, dazu praktisch der gesamte öffentliche Raum im Zentrum – Straßen, Grünflächen und nicht zuletzt der völlig verwüstete Friedhof. Allein für die Reparatur von Gräbern und Grabsteinen hätten die Menschen in Moravská Nová Ves elf Millionen Kronen (knapp 450.000 Euro) ausgegeben, erklärt Košut. "Die Rechnungen reichen wir jetzt beim Ministerium für Regionalentwicklung ein. Der Staat kommt zu 90 Prozent für die Schäden an den Gräbern auf, das ist eine schöne Geste." Die restlichen zehn Prozent zahlt die Gemeinde.

Bürgermeister Košut hat viel zu tun mit dem Wiederaufbau.
Foto: schubert

Im Vergleich zum vergangenen Jahr herrscht heute im Rathaus fast Normalbetrieb. Damals, kurz nach dem Tornado, glich es einer Kombination aus Krisenstab, Feldküche und Ausgabestelle für Wasser, Lebensmittel und Werkzeug. Am verschlafenen Vorplatz, wo jetzt Schulkinder auf den Bus warten, wimmelte es damals von Feuerwehrleuten, Versicherungsvertretern und Hilfskräften aus dem ganzen Land.

"Nach den Ferien hat das dann nachgelassen", erzählt Košut. "Unter den Freiwilligen waren viele Studierende, die haben natürlich auch ihre eigenen Verpflichtungen." Aber zu diesem Zeitpunkt übernahmen schon professionelle NGOs. Verträge mit Firmen wurden geschlossen, und das Geld vom Staat kam an.

Chance für die Gemeinde

Für die Neugestaltung des öffentlichen Raums wurden Architekturbüros angesprochen und Bürgerversammlungen organisiert. Dass das Ganze auch eine Chance für die Gemeinde ist, verhehlt Košut nicht: "Der Umfang der Pläne übersteigt deutlich das, was man sonst in einem Jahr oder sogar in einer ganzen Amtsperiode machen kann. Aber man sollte es halt ordentlich machen."

Vor allem Grünflächen und Alleen liegen ihm am Herzen. Košut zeigt am Computer einen Plan für die Neugestaltung des Ortskerns. "So, wie es hier gezeichnet ist, wird es aber wohl erst in 30 Jahren aussehen", glaubt er. Bäume wachsen langsamer als Häuser.

Das winzige Lebensmittelgeschäft in der Straße hinter der Kirche hat wieder geöffnet. Damals, vor einem Jahr, war es dunkel im Laden, für mehre Wochen gab es im Ort keinen Strom. Nur ein Generator surrte im Hinterhof und hielt eine kleine Kühlvitrine am Laufen. Danach musste das Geschäft für einige Zeit ganz schließen. Die ältere Dame an der Kassa war mit den Gedanken aber ohnehin bei ihrer damals 14-jährigen Enkeltochter, die mit schweren Verletzungen in einem Wiener Krankenhaus lag.

Flüchtlinge aufgenommen

Die Enkeltochter hat überlebt, es geht ihr wieder besser. Und auch der Laden läuft wieder. Vergleiche mit der absichtlichen Zerstörung und Verstümmelung im Krieg drängen sich auf. Einige Flüchtlinge aus der Ukraine hat die Gemeinde aufgenommen, sagt Bürgermeister Košut. "Und den Hilfsorganisationen, die damals bei uns waren, haben wir Geld gespendet, um sie auch bei ihrer jetzigen Arbeit zu unterstützen." Im Vergleich zum Krieg, sagt Košut, sei in seiner Gemeinde nicht viel passiert. (Gerald Schubert aus Moravská Nová Ves, 24.6.2022)