Im Gastblog illustriert die Juristin Andreea Muresan anhand von aktuellen Beispielen die rechtlichen Folgen einer Vernachlässigung der Ausbildung des Kindes.

Laut Gesetz muss die Eltern-Kind-Beziehung vom Grundsatz des Kindeswohls getragen sein. Das heißt, dass Eltern alles machen müssen, was der persönlichen Entwicklung und Förderung des Kindes dient, während sie alles zu unterlassen haben, was die psychische oder physische Gesundheit des Kindes gefährden könnte.

Herausnahme aus dem Unterricht nur mit Ersatz möglich

Zu den Bereichen der Obsorge – die in der Regel beiden Eltern gemeinsam zusteht – gehört auch die schulische Ausbildung des Kindes. Bereits im Jahr 2018 hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass eine Gefährdung des Kindeswohls dann eintreten kann, wenn die Eltern das schulpflichtige Kind weder in die Schule schicken noch es die bei häuslichem Unterricht vorgeschriebenen Externistenprüfungen ablegen lassen (OGH 25.9.2018, 2 Ob 136/18s).

Eine Abmeldung vom Schulunterricht ist zwar möglich, jedoch muss der Unterricht in den eigenen vier Wänden gewährleistet und überprüfbar sein.
Foto: imago images/Shotshop

Abmeldung wegen Corona-Maßnahmen, fehlender Unterricht zu Hause

Vor kurzem musste der Oberste Gerichtshof über einen weiteren solchen Fall entscheiden (OGH 23.2.2022, 4 Ob 222/21g). Dabei handelte es sich um getrennt lebende Eltern, die gemeinsam die Obsorge über den minderjährigen Sohn ausübten. Die Kindesmutter lehnte die allgemeingültigen Corona-Maßnahmen der Schule (Maske, Tests, Abstand) ab und meldete ihren Sohn deshalb zum häuslichen Unterricht gemäß § 11 Schulpflichtgesetz an, ohne tatsächlich einen adäquaten Ersatz zum Schulunterricht zu bieten.

Der Kindesvater teilte die Meinung der Kindesmutter über die Corona-Maßnahmen nicht, sondern hielt diese für erforderlich und stellte einen Antrag, der Mutter die Obsorge in den Teilbereichen schulische Ausbildung sowie medizinische Versorgung zu entziehen und ihm zu übertragen. Die Kindesmutter sprach sich gegen diese Anträge aus und beantragte ihrerseits die Beibehaltung der geteilten Obsorge, eventualiter die Übertragung der alleinigen Obsorge in medizinischen und schulischen Belangen auf sie (gemeint: die Entziehung der Obsorge des Vaters in diesen Teilbereichen).

Die Gerichte der ersten und zweiten Instanzen gaben dem Antrag des Kindesvaters statt. Jene Ansicht wurde vom Obersten Gerichtshof ebenfalls bestätigt. Dieser argumentierte seine Entscheidung damit, dass in einer Schulbesuchsverweigerung seitens der Obsorgeberechtigten eine Kindeswohlgefährdung liegen kann. Im konkreten Fall erachtete der Oberste Gerichtshof, dass die Ansichten und damit Entscheidungsgewalt des Kindesvaters über die Aspekte des Schulbesuchs und der medizinischen Versorgung eher dem Wohl des Minderjährigen entsprachen als jene der Kindesmutter.

Alternative Ansätze zum Lernen ohne Externistenprüfungen

Wenn beide Elternteile dieselben Ansichten bezüglich der schulischen Ausbildung des gemeinsamen Kindes teilen, kann es auch zu einer Übertragung der Obsorge in diesem Bereich auf den Kinder- und Jugendwohlfahrtsträger kommen. Genau dieser Fall war Gegenstand der vorher zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2018. In diesem Fall waren die Elternteile des betroffenen Kindes Anhänger des "Freilernens". Nach ihren Vorstellungen können und sollen sich Kinder das Wissen spielerisch und in ihrem eigenen Rhythmus selbst aneignen, ohne dass ihnen bestimmte Lerninhalte vorgegeben werden. Daher hatte das Kind nie eine Schule besucht.

Ab dem Zeitpunkt, in dem das Kind das schulpflichtige Alter erreichte, meldeten die Eltern es zunächst zum häuslichen Unterricht ab und ließen es in den ersten zwei Schulstufen die in diesem Fall vorgeschriebenen Externistenprüfungen ablegen. Später sahen sie auch diese Prüfungen nicht mehr als mit ihren pädagogischen Vorstellungen vereinbar an. Deshalb erlangte das Kind seit der dritten Schulstufe keine Bildungsnachweise. Nach einer Untersuchung des Falles wurde von den Gerichten festgestellt, dass das Kind zwar überdurchschnittliche Kenntnisse in bestimmten Bereichen, die das Kind besonders interessierten (zum Beispiel Programmieren und Fotografieren), aufwies; allerdings befand es sich im Bereich der in der Schule vermittelten Kulturtechniken (etwa Schreiben, Rechnen und Allgemeinbildung) ungefähr auf dem Stand eines Volksschulkindes in der zweiten Klasse.

Die Eltern wurden mehrmals vom Wiener Stadtschulrat aufgefordert, die Nachweise der Externistenprüfungen zu erbringen, kamen diesen Aufträgen jedoch nicht nach. Seit 2014 liefen diverse Verwaltungs(gerichts)verfahren bis zum Verwaltungsgerichtshof wegen der Verletzung der Schulpflicht des Sohnes gegen die Eltern – manche dieser Verfahren sind noch anhängig. Gegen die Mutter wurden mehrfach Geldstrafen wegen Verletzung der Schulpflicht verhängt. Letztendlich beantragte der Wiener Stadtschulrat die Entziehung der Obsorge für das Kind.

Übertragung der Obsorge zwecks Kindeswohls

Auch in diesem Fall bejahten alle drei Instanzen die konkrete Gefährdung des Kindeswohls. Das Erstgericht trug den Eltern jedoch lediglich auf, dafür zu sorgen, dass das Kind die entsprechenden Externistenprüfungen ablegt. Es argumentierte, dass die Absolvierung der Schulpflicht einem Kind ermöglichen solle, bestimmte Fertigkeiten zu erlangen, die insbesondere in weiterer Zukunft auch die Ausübung eines Berufs ermöglichten. Für die Ausübung diverser Berufe bzw. für eine fortführende Ausbildung sei ein Schulabschluss bzw. die Absolvierung der Schulpflicht erforderlich. Durch das Verhalten der Eltern bestehe die Gefahr, dass dem Sohn Ausbildungsmöglichkeiten bzw. Berufschancen verwehrt blieben, zumal nicht darauf vertraut werden könne, dass der Sohn diese Defizite durch Nachlernen beseitigen werde. Insofern werde der häusliche Unterricht nicht mit den vorgesehenen Lehrplänen abgehalten.

Das Rekursgericht erachtete diese Maßnahmen als nicht ausreichend und übertrug daher die Obsorge im Bereich der schulischen Angelegenheiten an den Kinder- und Jugendhilfeträger. Diese Maßnahme wurde vom Obersten Gerichtshof bestätigt. Zusätzlich trug dieser den Eltern die weitere Pflicht auf, den Kinder- und Jugendhilfeträger bei seiner Aufgabe, die Beseitigung der Bildungslücken und die Erlangung der Bildungsnachweise bis zum Pflichtschulabschluss zu betreiben, zu unterstützen.

Pflicht zur Ermöglichung von Entfaltung und Erfolg

Diese Entscheidungen stellen klar, dass Eltern grundsätzlich frei über die Art der Ausbildung ihrer Kinder entscheiden können, sofern es sich hierbei um eine Ausbildung handelt, die dem Kind sämtliche Möglichkeiten für die spätere Entfaltung und späteren Erfolg im beruflichen Leben zur Verfügung stellt. Äußerste Grenze für die Eltern beim Treffen solcher Entscheidungen ist stets die Gefährdung des Kindeswohls. (Andreea Muresan, 23.6.2022)