Mit dem hochsensiblen Messgerät sollen auch U-Boote unter Wasser aufgespürt werden können.

Foto: imago images/ZUMA Wire/Sgt. Audrey Rampton

Quantenphysik kann auch bei Wissenschaftsbegeisterten kalten Schweiß auf der Stirn hervorrufen. Bis heute gilt die Forschungsdisziplin als theoretisch schwer verständlich und in praktischen Experimenten besonders aufwendig. Das weiß auch Christian Koller von der Fachhochschule Wiener Neustadt (FHWN). Gemeinsam mit seinen Studierenden der Studiengänge Mechatronik und Mechatronik & Mikrosystemtechnik will er eine konkrete Anwendung auf die Beine stellen, die die Messtechnik von Gravitationsfeldern revolutionieren könnte.

Zusammen mit Forschenden an der englischen Universität Nottingham sollen Quantensensoren entwickelt werden, die derart miniaturisiert werden, dass sie in Computerchips integriert werden können. Trotz seiner geringen Dimensionen von wenigen Quadratzentimetern soll der Sensor in der Lage sein, Änderungen der Erdgravitation mit nie dagewesener Genauigkeit zu messen.

"Die Einsatzmöglichkeiten der Technologie sind überwältigend. Damit kann man Wasserleitungen im Boden und in den Wänden erkennen, Hohlräume und Bodenschätze aufspüren, archäologische Ausgrabungen unterstützen und sogar Vulkanausbrüche besser vorhersagen", erklärt Koller im STANDARD-Interview.

Die integrierte Atomfalle in Ihrer Messumgebung.
Foto: FHWN

Quantensensor statt Wünschelrute

Dass das Aufspüren von Wasserleitungen für das britisch-österreichische Forschungsprojekt ganz oben auf der Liste sinnvoller Einsatzmöglichkeiten steht, ist kein Zufall. Denn das viktorianische England war zwar fortschrittlich, was zivilisatorische Errungenschaften wie die Wasserversorgung betrifft, die Dokumentation des unterirdischen Netzes wurde allerdings weniger penibel durchgeführt. So versickern bis heute enorme Mengen des Londoner Trinkwassers, weil Leitungen undicht sind, aber niemand genau weiß, wo sie im Boden verlaufen. Die Quantensensoren sollen durch Schwerkraftmessungen aufspüren, wo die schweren Metallrohre verlegt wurden.

Abgesehen vom Aufspüren verborgener Objekte im Boden könnte die Technologie auch militärisch eingesetzt werden – und zwar unter Wasser. Da sich die Schwerkraft nicht austricksen oder abschirmen lasse, könne man über solche Messungen auch U-Boote aufspüren und diese von Kriegsschiffen an der Oberfläche unterscheiden, ohne dass die Messung von diesen bemerkt werde.

"Extrem kalte" Atome

Um quantenmechanische Prozesse für die Messung nutzen zu können, müssen die eingesetzten Atome in sogenannte "kollektive Quantenzustände" überführt werden. Dazu müssen sie extrem heruntergekühlt werden. Fängt man sie dann mit Magnetfeldern im Vakuum ein, bleiben sie isoliert, behalten ihre Quanteneigenschaften und werden in weiterer Folge zu sensiblen Messinstrumenten.

Die Methode, um die Atome abzukühlen, klingt kontraintuitiv. Sie werden nämlich von Lasern aus mehreren Richtungen beschossen und so abgebremst. "Man kann sich das wie einen fahrenden Elefanten auf Rollschuhen vorstellen, der mit Tennisbällen beschossen und so letztlich zum Stillstand gebracht wird", wählt Koller einen ungewöhnlichen, aber einprägsamen Vergleich. Auf den Sensor umgelegt, stehen die Atome am Ende des Laser-Beschusses fast still und sind damit physikalisch gesehen "extrem kalt".

So sieht das Design der hochempfindlichen integrierten Photodioden aus.
Foto: FHWN

Während vergleichbare Lösungen bisher eher im Kubikmeterbereich angesiedelt sind, soll der an der FH Wiener Neustadt entwickelte Sensor nicht nur auf einem winzigen Atomchip Platz finden, sondern auch in Serienfertigung produziert werden können.

Massenproduktion als Ziel

Um die Sensorsysteme noch präziser zu gestalten, wird an der FHWN unter anderem an optischen Chipkomponenten gearbeitet, die das von den Atomen gestreute Licht hocheffizient an integrierte optische Detektoren weitergeben. Die von der FHWN-Studentin Lisa Knöbelreiter im Rahmen ihrer Masterarbeit erforschten Komponenten werden in einer Forschungsgruppe um Lucia Hackermüller an der Universität Nottingham getestet.

Koller zufolge habe man bereits alle relevanten Komponenten zusammen, auch der Chip sei bereits gebaut. Bis Ende des Jahres sollen nun die Atome auf den Chip gebracht werden. Damit sei eine Anwendung auf Basis solcher quantenmechanischer Prozesse möglich, über die seit 25 Jahren nur theoretisch diskutiert worden sei. (Martin Stepanek, 27.6.2022)