Die Gaskrise in Europa spitzt sich nach der Lieferdrosselung durch Russland zu. Aktuell werden Pläne vorbereitet, wie im Herbst, wenn der Verbrauch ansteigt, in Österreich Gas eingespart werden kann. Klimaministerin Leonore Gewessler sagte im Videotalk "STANDARD mitreden", dass ihr Ministerium eine Idee des Forschungsinstituts Wifo prüft, Haushalte finanziell zu belohnen, die Gas einsparen. Dabei dürften aber nicht jene Haushalte belohnt werden, die davor sehr verschwenderisch waren. Im Folgenden lesen Sie einen Auszug aus dem Streitgespräch der Ministerin mit der Klimaaktivistin Lena Schilling und dem Physiker Werner Gruber.

Schilling: Fossile Kraftwerke sind Ausdruck eines Versagens der Politik. Wir können es uns 2022 nicht mehr leisten, auf Kohle zu setzen, auch nicht im äußersten Notfall. Das Kohlekraftwerk in Mellach kann den Energieverbrauch nur zu einem geringen Teil substituieren: Da geht es um ein Prozent des Bedarfs. Dazu kommt, dass das Kraftwerk wohl nicht so schnell in Betrieb genommen werden kann, sondern erst Mitte oder Ende des kommenden Winters. Weder das Personal noch Ressourcen sind früher verfügbar. Was ist das außerdem für eine Botschaft an die Klimabewegung und an alle jungen Menschen?

STANDARD: Was müsste also geschehen?

Schilling: Das Gebot der Stunde ist, auf erneuerbare Energien zu setzen und Energie zu sparen. Es braucht klare Regulierungen, wie der Energieverbrauch in der Papier-, Chemie- und Glasindustrie reduziert werden kann. Die Regierung sollte in die Offensive gehen, Tempo 100 auf der Autobahn verkünden, ebenso wie autofreie Sonntage.

Gewessler: Ich glaube, wir sind uns einig, wo wir hinmüssen: raus aus der Abhängigkeit von Russland. Weg von fossilen Energien, und zwar mit Effizienz und Erneuerbaren. Aber in welcher Situation sind wir aktuell? Wladimir Putin setzt Gaslieferungen als Waffe ein. Das soll Preise treiben und uns verunsichern. Dem müssen wir etwas entgegenhalten. Dazu gehört, sich auf den Ernstfall vorzubereiten, sollte Gas ganz wegbleiben, Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das ist das Gebot der Stunde. Das heißt auch, ein Kraftwerk in einen Zustand zu versetzen, dass es 260.000 Haushalte mit Wärme und Strom versorgen kann.

STANDARD: Wann kann das Kohlekraftwerk in Mellach tatsächlich Strom produzieren?

Gewessler: Die technische Umrüstung dauert einige Monate. Zusätzlich braucht es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Beschaffung der Kohle. Es gibt noch kein konkretes Datum. Eines möchte ich noch zu Effizienz und Erneuerbaren hinzufügen: Eben weil klar ist, dass wir eine längerfristige Umstellung brauchen, kämpfe ich seit eineinhalb Jahren für ein Energieeffizienzgesetz (dieses verpflichtet Bund, Länder und Energielieferanten zu Energiesparmaßnahmen, Anm.). Ich hoffe, dass jetzt alle, die bisher gebremst haben, verstehen, wie wichtig das Gesetz für den Weg aus der Abhängigkeit ist. Dazu kommt, dass wir gerade das Erneuerbaren-Wärmegesetz auf den Weg bringen, um aus Heizen mit Kohle und Öl bis 2035 und aus Heizen mit Gas bis 2040 auszusteigen und ab 2023 keine neuen Gasheizungen mehr einzubauen.

STANDARD: Herr Gruber, was denken Sie?

Gruber: Alles, was CO2 rausbläst, ist nicht attraktiv. Ich hätte einen anderen Zugang. Energie kann auch aus dem Ausland eingekauft werden, und zwar nicht von Ländern wie Saudi-Arabien, das würde ja bedeuten, von einer Diktatur zu einer anderen zu wechseln. Deutschland und Frankreich könnten wir aber als Energiepartner verwenden, um Strom in ganz großen Mengen zu kaufen. Dabei müssten wir ehrlich sein: Heute schon ist ein wesentlicher Teil des Stroms, den wir aus dem Ausland zukaufen, Atomstrom. Aber dieser Strom ist aktuell leichter verfügbar als Gas. Und es wäre eine bessere Alternative, als ein Kohlekraftwerk zu reaktivieren.

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DER STANDARD

STANDARD: Das heißt, wir sollten Atomstrom nicht mehr als rotes Tuch betrachten?

Gewessler: Wir haben schnellere, sicherere und günstigere Alternativen. Wind und Photovoltaik etwa. Beides ist in den vergangenen Jahren um 70 beziehungsweise 90 Prozent günstiger geworden. Atomkraft dagegen um ein Drittel teurer. Die Bauzeiten für AKWs sind sehr lange. Atomstrom wird uns nicht helfen. Hinzu kommt das Risiko. Wir sehen gerade aktuell, dass 29 der Atomkraftwerke Frankreichs wegen dringend notwendiger Wartungsarbeiten nicht in Betrieb sind.

Gruber: Frankreich kämpft aber nicht mit der Abhängigkeit von russischem Gas. Die diskutieren die Energiekrise nicht sehr stark.

Gewessler: Sie diskutieren dafür über Blackouts, weil die Atomkraftwerke ausfallen.

Gruber: Das Thema gibt es bei uns auch.

STANDARD: In der EU gibt es den Plan, Atomkraft zu einer nachhaltigen und grünen Energiequelle zu erklären. Österreich will dagegen klagen. Ist Atomkraft grün?

Gruber: Grün ist kein Markenzeichen. Der Begriff lässt sich auch so interpretieren, dass es CO2-neutral sein soll. Frau Ministerin, ich stimme zu, was die Kosten-Nutzung-Rechnung angeht: Da sind Wind und Photovoltaik sicher das Zukunftsthema. Allerdings können unsere Netze nicht die notwendige Stabilität garantieren, um morgen über diesen Weg Energie einzuspeichern. Für den kommenden Winter wird uns keine einzige Photovoltaikanlage und keine einzige Windkraftanlage helfen. Dann fehlen auch die Installateure, um Wärmepumpen aufzustellen. Was ist ein Ausweg? Ein normaler elektrischer Heizkörper kostet heute im Supermarkt 50 bis 80 Euro und ist leicht verfügbar, damit lässt sich etwas anfangen. Dafür braucht es den Strom aus dem Ausland.

Gas wird zunehmend knapp.
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Gewessler: Dem muss ich widersprechen. Jedes einzelne Windrad, das wir derzeit aufstellen, macht einen Unterschied, weil es das Gas in der Stromerzeugung ersetzt.

STANDARD: Wie sehen Sie den Sicherheitsaspekt, den die Ministerin angesprochen hat?

Gruber: Sieht man sich die Statistik zu Todesopfern pro erzeugter Terawattstunden an, ist die Bilanz bei Atomkraftwerken trotz Tschernobyl und Fukushima eine ganz gute. Noch ein Punkt, weil oft die Frage kommt: Was machen wir mit hochradioaktiven Abfällen? Das wird nur in Deutschland debattiert, im Rest Europas wird es entspannter gesehen. Es gibt bereits ein physikalisches Verfahren, die Spallation, mit dem aus höchst radioaktivem Müll ein Müll erzeugt wird, der nur noch das Niveau von Krankenhausradioaktivität besitzt. Das kann man dann 20 Jahre im Freien lagern und danach damit machen, was man will. Die Kernenergie ist in Österreich ein hochemotionales Thema. International wird das sehr entspannt gesehen.

Schilling: Es ist doch klar, dass Atomkraft nicht die Lösung sei wird. Es gibt aber in Österreich eine Reihe von Dingen, die schon da sein müssten: Sie haben vorher, Frau Ministerin, das Energieeffizienzgesetz und das Erneuerbaren-Wärmegesetz erwähnt, dazu kommt das Klimaschutzgesetz. Da muss ich schon fragen: Wo sind die jetzt? Ich weiß schon, dass das größtenteils am Koalitionspartner liegt. Aber noch ist keines der Gesetze bisher beschlossen. Wäre das der Fall, könnten wir über die Dinge reden, die jetzt so wichtig sind: Raumdämmung und Energieeinsparungen.

STANDARD: Das ist ja gerade die große Kritik: warum Sie und Ihr Ministerium nicht schon jetzt eine große Energiesparkampagne fahren.

Gewessler: Energiesparen macht zu jedem Zeitpunkt Sinn. Wir haben uns überlegt: Welches ist der richtige Zeitpunkt, um für eine großflächige Kampagne Geld in die Hand zu nehmen? Das ist im September, wenn der Gasverbrauch der Haushalte und in der Stromproduktion steigt. Dann haben wir eine möglichst große Wirkung. In der Industrie sind die gestiegenen Gaspreise schon jetzt ein Effizienzfaktor. Ich bin auch im Austausch mit meinem deutschen Kollegen Robert Habeck. Deutschland hat unsere Ideen weiterentwickelt, mit denen die Industrie animiert werden soll, Gas einzusparen.

STANDARD: Worum geht es da?

Gewessler: Um ein Instrument, bei dem Unternehmen sagen können, dass sie auf Gasmengen verzichten, die sie weniger in der Produktion brauchen. Diese Einsparungen kauft ihnen der Staat in einem Auktionsverfahren ab. Diese Idee werden wir für Österreich mitnehmen und weiterentwickeln, weil es etwas ist, was beiden Seiten hilft.

STANDARD: Eine Idee ist, Haushalten, die Gas einsparen, einen Bonus zu zahlen. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Gewessler: Ein ähnlicher Vorschlag ist vom Forschungsinstitut Wifo in den Raum gestellt worden. Die Frage ist, wie ein solches Modell in der Praxis funktionieren kann. Da stellen sich viele Fragen, und diese prüfen wir gerade. Damit wir nicht nur jene Haushalte belohnen, die vorher viel Energie verschwendet haben. Jene, die vielleicht doch auf den dritten Kühlschrank verzichten. (András Szigetvari, 23.6.2022)