Das Affenpockenvirus verbreitet sich überraschend schnell. Das könnte mit einer besseren Anpassung an den Menschen zusammenhängen.
Foto: Cynthia S. Goldsmith, Russell Regner / CDC / AP

Seit Wochen diskutieren Forschende über den aktuellen Ausbruch der Affenpocken. In Österreich sind aktuell bereits 20 Fälle bestätigt, während die Krankheit den meisten Menschen hierzulande vor dem Monat Mai gänzlich unbekannt war. Eine portugiesische Forschungsgruppe hat das Genom des Virus analysiert, das die Krankheit hervorruft – und im Vergleich zu Affenpockenviren aus den Jahren 2018 und 2019 festgestellt, dass es rund 50 Unterschiede im Erbgut gibt, wie DER STANDARD berichtete. Dabei handle es sich um eine hohe Zahl, die womöglich auf beschleunigte Evolution hinweist, wie das Team nun im Fachjournal "Nature Medicine" schreibt. Inwiefern die vielen Mutationen zum aktuellen Ausbruch beigetragen haben, muss aber noch genauer geklärt werden.

Das Forschungsteam untersuchte für die Studie Proben aktueller Fälle aus Portugal. Frühere Schätzungen seien von einer Mutationsrate ausgegangen, die ungefähr sechs- bis zwölfmal niedriger ist als die Daten, die sich bei den aktuellen menschlichen Affenpockenviren (hMPXV) zeigen. Bisher hatten Fachleute mit Blick auf diese Art von Virus von einer grundsätzlich eher langsamen Entwicklung gesprochen – insbesondere verglichen mit den sehr zahlreichen Mutationen von Sars-CoV-2.

Die Autorinnen und Autoren der Studie vermuten hinter dem aktuellen Ausbruch eine oder mehrere Einschleppungen aus einem Land, in dem das Virus dauerhaft vorkommt, wobei es in der Regel Nagetiere und nicht Menschen infiziert. Superspreader-Events und internationale Reisen scheinen die Ausbreitung befördert zu haben. "Unsere Daten liefern zusätzliche Hinweise auf anhaltende virale Evolution und mögliche Anpassung an den Menschen", schreibt das Team um João Paulo Gomes vom Instituto Nacional de Saúde Dr. Ricardo Jorge (INSA) in Lissabon.

Mögliche Anpassung an menschliches Immunsystem

Zur Mutationsrate erklärt der Experte für die Evolution von Viren, Richard Neher von der Universität Basel, sie sei "in der Tat überraschend hoch". Die Mutationen hätten ein ganz spezifisches Muster. Die an der Studie beteiligten Forschenden vermuten, dass Enzyme des menschlichen Immunsystems für diese Veränderungen im Genom verantwortlich sind.

Beim Vergleich der Mutationsraten von Sars-CoV-2 und dem den Menschen befallenden Affenpockenvirus hMPXV sei allerdings Vorsicht geboten. Sie seien nicht sehr aussagekräftig und sagten nur wenig über die relative evolutionäre Wandelbarkeit der Viren aus, so Neher. Zudem handelt es sich bei Sars-CoV-2 um ein RNA-Virus, das ungefähr ein siebenmal kleineres Genom hat als das Affenpockenvirus. Dieses ist ein DNA-Virus, das üblicherweise viel stabiler ist und seltener mutiert.

Um aber einen Eindruck zu vermitteln, lasse sich sagen, dass der Covid-19-Erreger etwa zwei Mutationen pro Genom pro Monat hat, sagt der Evolutionsbiologe. Bei hMPXV sei vermutlich von einer Rate von einer Mutation pro Genom pro Monat auszugehen – "mit einiger Unsicherheit", sagt Neher. "Auch innerhalb des aktuellen Ausbruchs sehen wir diese beschleunigte Mutation."

5.000 Fälle international

Auf die Frage, ob die Mutationen die derzeitige Verbreitung erst möglich gemacht haben, erklärt der Wissenschafter, dass es darauf seines Wissens keine Hinweise gebe, man es aber nicht ausschließen könne. Die meisten Mutationen hätten "vermutlich keine dramatischen Auswirkungen".

Wie Neher schildert, haben mittlerweile viele Labore das Erbgut von Affenpockenfällen analysiert – die meisten dieser Sequenzen gehörten zu dem in der Studie beschriebenen Cluster.

Weltweit sind in diesem Jahr inzwischen rund 5.000 Affenpocken-Infektionen bei Menschen gemeldet worden. In mehr als 40 Ländern außerhalb Afrikas, in denen die Krankheit bis Mai bei Menschen nur sehr selten auftrat, waren es 3.308 Fälle, wie aus Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC mit Stand Mittwoch hervorgeht. In einigen Ländern wurden bereits Impfdosen organisiert und verteilt, um Ringimpfungen durchführen zu können, also enge Kontaktpersonen von Infizierten zu impfen.

Déjà-vu und frühe Warnungen

Dabei könnte der afrikanische Kontinent, wo die Krankheit bereits seit längerer Zeit immer wieder Menschen betrifft, wie bei der Verteilung der Impfstoffe gegen Covid-19 erneut das Nachsehen haben, befürchten Forschende. In Afrika sind durchschnittlich nur 18 Prozent der Bevölkerung gegen Sars-CoV-2 geimpft, in Ländern des globalen Nordens sind es knapp 75 Prozent.

Obwohl hier auch aktuell die meisten Fälle auftreten, werden entsprechende Mittel in Zentral- und Westafrika nicht zur Verfügung gestellt, kritisieren sie. "Wenn wir die Aufmerksamkeit der Welt nicht auf dieses Problem lenken, werden zwar Lösungen für das Problem in Europa angegangen, aber nicht in Afrika", sagt der Infektionsmediziner Dimie Ogoina von der Niger-Delta-Universität in Amassoma, Nigeria. Es sei ohnehin frustrierend, dass westliche Länder Affenpocken bisher weitgehend ignorierten.

Die Epidemiologin Adesola Yinka-Ogunleye vom nigerianischen Centre for Disease Control in Abuja spricht im Zusammenhang mit dem aktuellen Ausbruch von einer Art Déjà-vu. Sie fühlt sich an einen Ausbruch 2017 erinnert, denn damals betraf die Krankheit erstmals nicht nur ländliche Regionen, sondern trat auch in Städten auf. Nicht nur das sei eine ungewohnte Art der Verbreitung gewesen, sondern auch, dass Erkrankte stärker an den Genitalien betroffen waren – ein Hinweis auf eine stärkere Weitergabe durch sexuellen Kontakt.

Neue Erregerausbrüche "eine Frage der Zeit"

Auch in Afrika südlich der Sahara wurden Pockenimpfungen eingestellt, da die Krankheit seit 1980 als ausgerottet gilt. Da die Impfung auch vor Affenpocken schützen kann, konnte sich in der Folge hMPXV stärker verbreiten. Auch hiervor hatten afrikanische Forschende immer wieder gewarnt. Obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als 31 Millionen Dosen Pockenimpfstoff für Notfälle zugesagt hat, wurden diese nie in Afrika gegen Affenpocken eingesetzt. Dies liege teils daran, dass die Vorräte einen älteren Impfstoff betreffen, der relativ schwere Nebenwirkungen haben kann, sagt die technische Leiterin für Affenpocken bei der WHO, Rosamund Lewis. Daher sei er gegen Affenpocken, die weniger tödlich sind als Pocken, nicht empfohlen.

Pockenimpfstoffe wurden nun zwar in Ländern wie Kanada, den USA und Frankreich zur Verfügung gestellt, nicht aber in afrikanischen Ländern, was den Forschenden zufolge dringend nötig sei. Yinka-Ogunleye empfiehlt, sofern auch in Afrika Impfstoffe vorhanden seien, zumindest Personal des Gesundheitswesens zu impfen, um der Ausbreitung entgegenzuwirken.

Gleichzeitig sei es wichtig, mehr und schneller Tests auf Affenpocken durchzuführen, um die Ausbreitung einzudämmen, sagt Ogoina. "Isolierte Lösungen, die das Problem nur für die Industrieländer lösen und die Entwicklungsländer außen vor lassen, werden dazu führen, dass wir wieder in denselben Kreislauf geraten." Bis ein neuer Krankheitserreger wieder aufkommt, sei es "nur eine Frage der Zeit". (sic, APA, 24.6.2022)