In Neapel ist eine Pizza Margherita schon ab vier bis fünf Euro zu haben – bei Flavio Briatore kostet sie 15 Euro.

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Wer in den vergangenen Tagen Neapel besuchte und am richtigen Tag am richtigen Ort war – nämlich in der Pizzeria "Gino e Toto Sorbillo" an der Via dei Tribunali im Herzen der Altstadt –, der kam in den Genuss einer Gratispizza. Und zwar gleich der vielleicht leckersten und originalsten, die in Neapel zu haben ist: Gino Sorbillo gilt als der beste der unzähligen "pizzaioli" der Stadt – ganz sicher ist er der bekannteste.

Die Aktion mit der Gratispizza, der sich auch andere Pizzerien angeschlossen hatten, war die Antwort auf eine unglaubliche, unerträgliche Provokation – so wurde es zumindest in Neapel empfunden – von Flavio Briatore.

Der frühere Teamchef des Benetton- und Renault-Rennstalls und Ex-Lebensabschnittspartner von Naomi Campbell und Heidi Klum hat diese Woche nämlich angekündigt, ausgerechnet in Neapel, der Heimatstadt der Pizza, eine Filiale seiner Gastrokette "Crazy Pizza" zu eröffnen. In diesen Jetsetläden, von denen es schon Ableger an der Costa Smeralda (in Briatores Club "Billionaire"), in Montecarlo, London, Rom und seit kurzem in Mailand gibt, kostet schon die Basisversion, die Pizza Margherita, 15 Euro.

Flavio Briatore meint, sich bei Pizza besser auszukennen als die Neapolitaner und sich nicht an Corona-Maßnahmen halten zu müssen.
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Pizza für Reiche

Je nach Zutaten reicht die Preisliste bis zu 65 Euro – wenn man das Fladenbrot mit dem spanischen Pata-Negra-Schinken bestellt. In Neapel dagegen ist eine original Margherita schon ab vier bis fünf Euro zu haben. Sorbillo wirft Briatore vor, eine völlig überteuerte Pizza für Reiche kreiert zu haben, die die Seele, Geschichte und Kultur dieser Speise missachte. "Die Pizza war schon immer ein Volksgericht und soll es bleiben", betonte Sorbillo während der Gratisaktion. "Sie macht alle glücklich und satt und soll für alle erschwinglich bleiben: für Eltern, Kinder, Berufstätige, Arbeitslose, Rentner. Vor der Pizza sind alle gleich."

Das Handwerk der neapolitanischen "pizzaioli" – und damit indirekt auch die Pizza Margherita in den Nationalfarben Grün (Basilikum), Weiss (Mozzarella) und Rot (Tomaten) – ist nicht zuletzt auch wegen des volkstümlichen Charakters des Produkts im Jahr 2017 von der Unesco ins Inventar des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen worden.

Briatore gießt Öl in den Pizzaofen

"Pizza" ist laut einer Studie auch das weltweit bekannteste italienische Wort, noch vor "spaghetti". Eine runde Sache also – und eigentlich hätte es Briatore mit der Ankündigung der Eröffnung seines Crazy-Pizza-Ladens bewenden lassen können. Das hat er aber angesichts des Proteststurms aus Neapel nicht getan, im Gegenteil: Er hat noch kräftig nachgelegt. "Die Pizza ist längst international, Neapel hat damit überhaupt nichts mehr zu tun, und die aus Salerno schmeckt mir besser", erklärte der 72-jährige Unternehmer und Lebemann.

Seine Pizza sei "die beste", das hätten ihm seine Gäste bestätigt. Und: "Wenn man eine Pizza für vier Euro verkauft, kann man keinen Profit machen. Was die wohl für Zutaten verwenden?", fragte Briatore. Die Unterstellung, dass die Pizzabäcker Neapels minderwertige Zutaten auf ihre Pizzas legten, hat das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht – der Streit um das Nationalgericht aus dem armen Süden breitete sich auf ganz Italien aus.

Entscheidende Zutat: Ehrlichkeit

Die Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" wunderte sich darüber, dass sich der Norditaliener Briatore – er stammt aus Cuneo im Piemont – berufen fühle, den Neapolitanern Ratschläge zur Zubereitung einer "richtigen" Pizza zu erteilen. "Das ist dasselbe, als würden die Neapolitaner dem piemontesischen Nutella-Konzern Ferrero beibringen wollen, wie man einen Brotaufstrich aus Schokolade produziert", schrieb das Blatt. Und die Römer "Repubblica" rechnete vor, dass für vier Euro sehr wohl eine hochwertige Pizza Margherita hergestellt werden könne – die reinen Materialkosten beliefen sich auf höchstens zwei Euro.

Der Pizzastreit tobt längst auch in den sozialen Netzwerken. Dabei wird gelegentlich auch daran erinnert, dass im Sommer 2020 in Briatores Club "Billionaire" auf Sardinien auf grobe Weise Anti-Pandemie-Maßnahmen verletzt wurden und dass dieser deswegen vorübergehend zum größten Corona-Hotspot Italiens geworden war. Die Corona-Geschichte war seiner Popularität nicht zuträglich, und mit seinen Pizzeria-Plänen in Neapel hat er sich ebenfalls keine neuen Freunde geschaffen. Auf Twitter war folgender Eintrag an die Adresse von Briatore zu finden: "Die wichtigste Zutat der neapolitanischen 'pizzaioli' ist die Ehrlichkeit. Etwas, was du nicht hast." (Dominik Straub aus Rom, 25.6.2022)