Grüne Verbündete Kogler und Habeck im noch nicht ministertauglichen Look 2019: Politisch gesehen wirkt der Deutsche heute frischer als der Österreicher.

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Ausgangslage:

Die deutschen Grünen geben den Ton an, in Wien herrscht Frust über die ÖVP

Sechzehn Jahre hat es gedauert, bis die Grünen es wieder in eine deutsche Regierung schafften. Diesmal regieren sie nicht, wie von 1998 bis 2005, allein mit der SPD, sondern die FDP ist auch noch dabei.

Zunächst hatte es noch so ausgesehen, als seien die Liberalen Taktgeber in der Ampel. Mit dem Einmarsch der Russen in der Ukraine hat sich das geändert. Gewiss, man will auch hören, was Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu verkünden hat. Doch es dominieren Robert Habeck, Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, sowie Außenministerin Annalena Baerbock. Beide heben sich rhetorisch deutlich vom eher zurückhaltenden Kanzler Olaf Scholz ab.

Ideale Mischung aus Erfahrung und frischem Wind: Der deutsche Grüne Robert Habeck wird für sein Auftreten in der Energiekrise viel gelobt.
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Der hat auch von Beginn an betont, dass alle drei Partner in der Koalition ihre Erfolge haben müssen. Den Grünen in Deutschland kommt zugute, dass sie noch nicht so lange regieren, erst sieben Monate. Sie gelten immer noch als frische Gesichter.

"Wir sind dagegen alt und ausgeslutscht", verweist ein österreichischer Grüner in einem Anflug von Ironie auf zweieinhalb Regierungsjahre mit einem ungleich größeren Koalitionspartner. Nicht nur der Frust über die holprig gemanagte Pandemie nagt am Vertrauen der Wähler, sondern auch die permanente Skandaldebatte. Diese geht zwar auf das Konto der ÖVP, doch gerade in Krisenzeiten werden Regierungen immer auch als Kollektiv gesehen. Dass Abgrenzung nicht ohne weiteres klappt, ist aus Zeiten der großen Koalition bekannt. SPÖ und ÖVP ließen nichts unversucht, um sich vom angeblich verlotterten Partner zu distanzieren. Verloren haben beide.

Persönlichkeiten:

Habeck und Baerbock sind beliebter als der Kanzler, die grünen "Ösis" rutschten ab

Robert Habeck macht seinen Job nahezu perfekt", lobt dieser Tage die Süddeutsche Zeitung und schwärmt weiter: "Der grüne Wirtschaftsminister dramatisiert nicht, bagatellisiert nicht und ordnet in den großen Putin-Zusammenhang ein." Auch Außenministerin Annalena Baerbock zollt man in Deutschland für ihre klaren, empathischen Worte bei Auftritten in aller Welt Respekt.

Im Sommer 2021 war das noch anders. Baerbock galt, nach einer Serie von Pannen, als Fehlbesetzung in der Rolle der Kanzlerkandidatin. Habeck war der Frust anzumerken. Bei der Wahl im Herbst konnten sie nicht den erwarteten Erfolg verbuchen.

Trotz durchaus herzeigbarer Bilanz: Leonore Gewessler kann von so viel Zuspruch wie der deutsche Kollege nur träumen.
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Doch nun führen Habeck, Baerbock und der grüne Agrarminister Cem Özdemir die Sympathierankings an – und liegen allesamt vor Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD.

Die heimischen Schlüsselfiguren hingegen sind im Vertrauensindex von APA und OGM abgesackt. Werner Kogler, Schachtelsatzmeister im Vizekanzleramt, werde zwar auch in bürgerlich-liberalen Kreisen respektiert, sagt Politologe Peter Filzmaier – eine mit Habeck vergleichbare "Strahlkraft" über die Parteigrenzen hinweg habe er aber nie gehabt.

Energieministerin Leonore Gewessler sei vielleicht noch zu kurz in der Politik, um die essenzielle Mischung aus Professionalität und Nähe zu repräsentieren. Insofern profitierten die deutschen Grünen von einem Glücksfall: "Habeck bringt wohl genau die für die Lage richtige Mischung aus Erfahrung und frischem Wind mit."

Krisenmanagement:

Für die Deutschen ist manches leichter

Die veröffentlichten Zahlen sprechen klar für den Nachbarn. Laut eigener Angabe hat Deutschland den russischen Anteil der Erdgasimporte seit Ausbruch des Krieges von 55 auf 35 Prozent gedrosselt. Bereits im Sommer 2024 will Habeck die Unabhängigkeit von Putins Gas "in einem gemeinsamen Kraftakt" weitgehend erreicht haben.

Österreich peilt dieses Ziel laut Energieagentur erst bis 2027 an. Aktuell geht man in Gewesslers Ministerium von einer Reduktion der Russlandabhängigkeit um zehn Prozentpunkte aus – wenn die strategische Gasreserve aufgefüllt sei. Mit dem Gasdiversifizierungsgesetz, das den Ankauf von nichtrussischem Gas fördert, werde die Abhängigkeit weiter reduziert.

Doch der Vergleich zwischen den beiden Ländern ist nicht so simpel, zumal die Voraussetzungen hierzulande ungünstiger sind. Österreich bezog bisher gleich 80 Prozent der Gasimporte aus Russland, die OMV ist eine Abnahmeverpflichtung bis 2040 eingegangen – solange das Gas fließt, macht es zumindest ökonomisch keinen Sinn, darauf zu verzichten.

Außerdem fehlt Österreich der Meerzugang, um über schwimmende Terminals per Schiff transportiertes Flüssiggas einzukaufen. Dafür muss das größere Deutschland ungleich höhere Mengen außerhalb Russlands auftreiben.

Zwischen den Strategien gibt es viele Überschneidungen. Sowohl Habeck als auch Gewessler reisten in menschenrechtlich fragwürdige Golfstaaten, um Flüssiggasquellen zu erschließen. Beide wollen im Notfall auch umweltschädliche Kohlekraftwerke vorübergehend reaktivieren. Wieder hat Deutschland, wo derartige Anlagen im Gegensatz zu Österreich schon bisher noch in Betrieb waren, das größere Potenzial.

Das Publikum hat ihr Peinlichkeiten des letzten Wahlkampfs verziehen: Als Ministerin ist Annalena Baerbock einer der Stars der deutschen Politik.
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Ein Unterschied sticht aber ins Auge. Während Habeck eine Kampagne fürs private Energiesparen fährt, plant Gewessler eine solche erst für Herbst. Das stößt nicht nur bei Umwelt-NGOs auf Kritik. "Je früher, desto besser", sagt Umweltökonomin Angela Köppl vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Auch wenn sich das große Sparpotenzial bei Erdgas erst in der Heizsaison heben lasse: "Es gilt, rechtzeitig Bewusstsein zu schaffen."

Kommunikation:

Habeck ist der Video-Star, Gewessler viel zurückhaltender

So schwierig der Vergleich der konkreten Politik (siehe Kapitel Krisenmanagement) auch ist: Auf einem Feld sieht Wifo-Experte Jürgen Janger die Deutschen eindeutig vorn. Habeck gehe bei den Informationen viel transparenter vor, sagt er: "Das wirkt vertrauensbildend."

Was die Regierung gegen die Energiekrise tut, erfahren die Deutschen nicht nur aus eigenen Fortschrittsberichten. Mit Habeck ist ein neuer Stil ins Wirtschafts- und Klimaschutzministerium eingezogen. Er veröffentlicht auf Social Media kurze Videos, in denen er die Lage erklärt – mit klaren Worten und nicht ohne seine eigenen Bedenken zu verschweigen.

Früher wurde der promovierte Philosoph Habeck wegen seiner oft verschwurbelten Sätze belächelt. Ob man den Klimaschutz immer mit Habermas erklären könne, sei fraglich, unkte so mancher zum Start der Ampel im Herbst.

Doch Habeck hat mittlerweile den richtigen Sound drauf, der ihn von anderen abhebt. Man könne der Industrie derzeit wirklich keine "Schlunzigkeit" vorwerfen, sagt er über deren Probleme. Oder er beruhigt, dass ein russisches Ölembargo nicht mehr zur "Vollkatastrophe" führen würde. Seine Reise nach Katar bezeichnete er selbst als "total merkwürdig".

Mit der Regierung hinuntergezogen: Werner Kogler in Österreich muss gegen Vertrauensverlust ankämpfen.
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Eigen-PR ist auch Gewessler nicht fremd. Doch die Ministerin agiert vorsichtiger, ehe ein Vorhaben unter Dach und Fach ist. Das liege nicht nur an ihrem Naturell, heißt es in grünen Kreisen: Alles, was vorab hinausposaunt werde, erhöhe den Preis, den die ÖVP für Zugeständnisse verlange.

Bilanz:

In Berlin fallen grüne Linien, in Wien gibt es Erfolge

In Berlin ist vor allem eines bemerkenswert: dass die Grünen in den vergangenen Monaten einige ihrer Prinzipien vom Tisch gefegt haben und dafür dennoch mit Lob, guten Umfragewerten und Spitzenplätzen in der Beliebtheitsskala bedacht werden.

Schon früh sprachen sie sich für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus. Um sich möglichst rasch vom russischen Gas unabhängig zu machen, setzt Minister Robert Habeck auf Quellen, die bei Grünen früher Grausen ausgelöst hätten: Katar und Kohle. Doch der große Aufschrei an der Basis ist bisher ausgeblieben.

Auf die Fahnen können sich die Grünen das "Neun-Euro-Ticket" für den öffentlichen Regional- und Nahverkehr heften. Doch hier gibt es auch Unmut, da die Züge noch voller sind als sonst.

Auf österreichischer Seite wirkt die Bilanz gar nicht so mager wie die Umfragewerte. Über die konkrete Ausgestaltung lässt sich streiten – doch mit der CO2-Steuer, dem "Klimaticket", Bahninvestitionen, dem Stopp des Lobautunnels, dem Plastikflaschenpfand, der Pflegereform oder zuletzt dem jährlichen Inflationsausgleich für Sozialleistungen gibt es einiges, was die Grünen als Erfolg verkaufen können.

Allerdings stehe kaum jemand mit einer Checklist in der Wahlzelle, merkt der Politologe Filzmaier an: Was die grüne Anhängerschaft nach einer Regierungsbeteiligung habe rufen lassen, sei "die diffuse Hoffnung auf eine bessere Politik". Ein skandalumwitterter Koalitionspartner stößt da ab – und bringt die Grünen in permanenten Erklärungsnotstand, warum sie in dieser Regierung ausharren. (Birgit Baumann, Gerald John, 25.6.2022)