Auch eine Leidenschaftsmarke wie Ferrari kann sich den Gepflogenheiten der Zeit nicht entziehen und setzt beim Antrieb mehr und mehr auf Elektrifizierung.

Foto: Ferrari / Lorenzo Marcinno

Das Paddock ist gut gefüllt. Einige Ferrari-Modelle stehen davor, in den Boxengassen ihre GT3-Vertreter. Ein wildes Treiben, nur meine Kontaktperson, die DACH-Pressefrau Ferraris ist nirgendwo zu sehen. "Wo sind Sie?", frage ich am Telefon. Sie erwidert die Frage mit: "Sind Sie eh am Salzburgring?", und mir rutscht das Herz in die Hose. Ich schaue hoch, sehe die silber-blaue Dose mit dem roten Stier daneben, setze mich ins Auto und fahre die beinahe 250 Kilometer aus der Steiermark rüber nach Salzburg.

Kann ja mal passieren, denke ich mir. Sollte aber nicht passieren, vor allem dann nicht, wenn Ferrari einlädt, den neuen 296 GTB zu testen, den ich bei seiner Premiere in Sevilla Corona-bedingt auslassen musste.

Beim Stall aus Maranello ist man mittlerweile auf den Geschmack von Elektro gekommen. Nicht zu hundert Prozent, das wird wohl noch etwas dauern. Aber zumindest als kleine Stütze. Nachdem der SF90 seit 2020 die Fahne der Plug-in-Hybrid-Sportler hochhält, ist nun sein kleiner Bruder vorgefahren.

Endlich Ferrari-Rot

Warum klein? Nun ja, im Vergleich zum SF90 fehlen zwei Zylinder und rund 150 PS. Der 296 GTB kommt mit einem V6-Mittelmotor daher und einem Elektromotor. (Zum Vergleich: Der SF90 hat ganze drei E-Motoren.) Hinzu kommt der etwas kürzere Radstand von 2,6 Metern und sowie rund 15 Zentimeter weniger in der Gesamtlänge.

Optisch stammen sie ohne Zweifel aus einer ähnlichen Feder, die nun einmal mit vielen Mittelmotor-Sportwagen mitschwingt: langes Heck, kurze Front. Beides ist beim 296 GTB aber sehr gelungen. Die spitz zulaufenden Linien vorne lassen ihn bereits im Stand schnell wirken, dem Heck schaut man mit seiner Power-Ausstrahlung gern hinterher.

Hinzu kommt das ikonische Ferrari-Rot – und zum Glück in unserem Fall nicht die gewöhnungsbedürftige Assetto-Fiorano-Lackierung mit dem Pfeil. Das Extra-Sport-Paket gibt es natürlich auch für den kleinen Bruder zu kaufen, nachdem Ferrari beim SF90 gemerkt hat, dass Exklusivität in der gut betuchten Kundschaft verdammt gut ankommt.

Ordentlich vorwärts

Foto: Ferrari

Wie man den 296 GTB starten will, bleibt einem selbst überlassen. Wem es, so wie mir, bereits reicht, in einem Ferrari zu sitzen, der startet den Wagen im elektrischen Modus und fährt still und leise davon. Wem das nicht genügt, der kann die rund 830 PS mit einem Schlag entflammen lassen.

Im Hybrid-Modus fährt der Kleine elektrisch, bis zu einer Geschwindigkeit von rund 135 km/h oder bis er merkt, dass die Fahrerin oder der Fahrer mehr aus der Beschleunigung rausholen will. Und das geht tatsächlich relativ fix.

Kaum ist man von der holprigen Neben- auf die befestigte Landstraße abgebogen und will ordentlich vorwärtskommen, explodiert der V6 förmlich hinter dem Sitz, faucht ein erstes Mal laut auf, um sich dann in ein sportliches Grummeln einzupendeln. Die Vibration der Maschine spürt man durch die weniger bequemen Rennsitze bis an die Nieren.

Ab hier sollte jede Bewegung auf dem Gaspedal überlegt sein. 830 PS zusammen mit dem Gewicht von nicht einmal 1,5 Tonnen, das ist eine gefährliche Mischung, die zwar von diversen Assistenzsystem abgeflacht wird, aber trotzdem keineswegs unterschätzt werden darf.

Dagegen stehen die hervorragenden Bremsen und die auf den Punkt genaue Lenkung. Ein Ausruhen auf dem Lenkrad ist nicht drin, der 296 GTB erkennt jeden Millimeter an Gradveränderung und bringt sie auf die Straße. Beeindruckend.

Kein Vorbild, aber einmalig

Und spaßig, das muss man so anerkennen. Der 296 GTB und die Landstraßen Salzburgs sind eine Liebe. Scheinbar schwerelos gleitet der Wagen nach vorne und legt sich dynamisch in sowohl enge als auch schnelle Kurven. Nach einer kurzen Zeit, wenn der erste Beschleunigungsschock überstanden ist, fühlt es sich fast wie eine unsichtbare Verbindung zwischen Fahrer und Auto an. Man weiß hinter dem Steuer genau, zu was das Auto fähig ist und zu was nicht.

Die digitalen Anzeigen im 296 GTB. Man kann den gefährlich gelben Rennmodus abrufen oder aber auch etliche Infos, die darüber Auskunft geben, wie brav oder weniger brav man rein elektrisch unterwegs war.
Foto: Ferrari / Carrstudio

Wenn Sie meinen Text über den Aventador Ultimae gelesen haben, werden Sie sich wahrscheinlich fragen, warum ich den 296 GTB nun plötzlich gut finde.

Das liegt vor allem daran, dass der Ferrari sich im Gegensatz zum Lamborghini theoretisch auch durch den Alltag bewegen lässt. Im eDrive-Modus, der rund 25 Kilometer hält, gleitet man fast lautlos durch jede Ortschaft und nervt nicht die halbe Nachbarschaft. Zudem lässt sich die Batterie durch den Verbrennermotor als Generator jederzeit wieder aufladen, es gibt also keine Ausreden, nicht auf leisen Sohlen daherzuschleichen.

Hingucker-Auto

Zudem, aber das ist eine rein subjektive Wahrnehmung, ist der 296 GT das elegantere, das schlanker wirkende, das Hingucker-Auto. Die CO2-Emissionen liegen trotzdem bei 169 g/km und der Verbrauch bei 7,4 l/100 km (das ist weniger als der Subaru), das darf man in den Zusammenhang nicht vergessen. Aber das Gefühl, in einem Ferrari zu sitzen, das Manettino zu bedienen und dabei die Aussicht auf den Mondsee zu genießen, das ist schon einmalig. Nicht zeitgemäß, nicht vorbildhaft. Aber einmalig.

Aber genug der Beweihräucherung, kommen wir zur harten Realität zurück. Komfort darf man im 296 GTB nicht erwarten, die Sitze habe ich bereits angesprochen, zudem spürt man jeden abgeschnittenen Fingernagel, über den man rollt. "Das Gefühl für die Straße" nennt das der Kollege, ich nenne es als verwöhnter Bengel eher die Vorstufe zum Bandscheibenvorfall. Gilt auch für den verdammt niedrigen Ein- und Ausstieg.

Und was muss man nun dafür hinblättern, wenn man eines dieser V6-Viecher fahren will? Nun, das ist immer so eine Sache. Gehen wir nach den italienischen Preisen: Ohne Schnickschnack kostet der 296 rund 269.000 Euro. Wenn man das Assetto-Fiorano-Paket (unter anderem 15 Kilogramm weniger auf den Rippen) dazubuchen will, was wahrscheinlich wieder ziemlich viele machen werden, kommt man auf über 300.000 Euro. Der Kundschaft wird es egal sein.

Sterne gegen Alltag

Wenig später sitze ich wieder in einem normalen Auto auf dem Weg nach Wien zurück. Plötzlich fällt auf, dass die Übersicht hier sehr viel besser ist, der Sitz endlich wieder den Rücken unterstützt und man auch mal eine Sekunde fahren kann, ohne das Lenkrad verkrampft in beiden Händen zu halten.

Ja, das Erlebnis Ferrari ist einmalig und der 296 GTB alles andere als eine Ausnahme. Aber ein Sternemenü genießt man auch nur, wenn man sonst eher Alltägliches isst. Und das Alltägliche ist am Ende dann doch die Variante, für die ich mich jederzeit entscheiden würde. (Thorben Pollerhof, 29.6.2022)