Kooperation und Anverwandlung: George Nuku sieht in ethnografischen Museen Dialogpartner. Bruchstücke eines Māori-Kanus ergänzt er durch kunstvoll verziertes Plexiglas.

Das vielleicht prächtigste seiner Kunstwerke trägt George Nuku am eigenen Leib. Von Kopf bis Fuß in traditioneller Māori-Ornamentik tätowiert, ist der 58-Jährige schon allein deswegen eine stolze Erscheinung – und von seinem festlichen Schottenrock reden wir da noch gar nicht. Nuku, der in Neuseeland als Māori geboren wurde, aber eben auch schottisch-deutsche Wurzeln hat und heute überwiegend in Paris lebt, betont immer wieder eines: Kultur entsteht durch Austausch. Und getreu diesem Motto stellte der Kosmopolit mit Traditionsbewusstsein seine Arbeiten bereits in ethnologischen Museen auf der ganzen Welt aus.

Für seine bisher größte Einzelausstellung ist Nuku jetzt im Wiener Weltmuseum gelandet. Es ist die erste vom neuen Direktor Jonathan Fine initiierte Großschau, und sie markiert zugleich die neue Ausrichtung, Völkerkunde verstärkt mit Gegenwartskunst zu verknüpfen. Nuku erhielt freie Hand, durfte gemeinsam mit Reinhard Blumauer selbst kuratieren und sämtliche Sonderausstellungsräume bespielen, erstmals auch die Säulenhalle des Weltmuseums und als Zugabe den Theseustempel im Volksgarten.

Seine Tattoos erzählen von Leben und Tod: Māori-Künstler George Nuku vor seiner Installation im Theseus-Tempel.
Foto: KHM-Museumsverband

Letzterer bietet bei freiem Eintritt ein repräsentatives Guckloch, um ins Werk George Nukus im wahrsten Sinne einzutauchen: Bottled Ocean 2122 nennt er die darin zu bestaunende neueste Fassung einer Installation, die er in Variationen bereits seit einigen Jahren zeigt. Man betritt einen Unterwassertempel, der gefüllt ist mit Darstellungen von Tieren, Gottheiten oder Figurationen der Naturgewalten – ein dystopischer, aber auch poetischer Kommentar zum Klimawandel.

170 Freiwillige an Bord

Das Spezielle an Nukus Werk: Er bricht mit der Vorstellung, Kunst, die sich mit der Natur beschäftigt, müsse auch mit Naturmaterialien arbeiten. Denn Nukus Werkstoff besteht ausschließlich und ausgerechnet aus Plastikflaschen, Plastikverpackungen und Styropor. Fische, Götter, Ornamente, all das formt und schnitzt er aus unserem Zivilisationsmüll – und dabei ist er nicht alleine. Seit jeher setzt Nuku bei seinen Projekten auf die Teilnahme Freiwilliger. 170 Helferinnen und Helfer hatte er seit März in Wien. Bis Mitte Juli wird Nuku noch bleiben, Workshops und Führungen leiten, sich an Diskussionen beteiligen.

Nuku spricht gerne und viel über sein Werk: Plastik, meint er, sei für ihn nichts Künstliches, denn es wird aus Erdöl gemacht. In fossilen Brennstoffen steckte eigentlich nichts Böses, sondern der Geist jahrtausendealter Organismen bis hin zu den Dinosauriern. Was sich ändern müsse, sei unsere Beziehung zum Plastik. Erst indem wir es als Naturprodukt anerkennen und wertschätzten, könnten wir den Wegwerfkonsum hinter uns lassen.

Der Raum, der sich mit Neuseelands Landschaft beschäftigt, ist ganz in Grün gehalten.
Foto: KHM-Museumsverband

Die Plastikvermüllung in den Weltmeeren ist für den Künstler "pandemisch", wie er sagt, und so baumeln in der Säulenhalle des Weltmuseums doppeldeutig Coronavirus-Kügelchen mit Stacheln aus Dreh-und-Trink-Flaschen von der Decke. Die Ausstellung selbst beginnt mit Te Moananui, dem "großen Blau", wie die Völker Ozeaniens den Pazifik nennen. Konsequent sucht Nuku darin den Dialog mit den ethnografischen Objekten aus dem Weltmuseum – jene aus Ozeanien stehen seit den James-Cook-Expeditionen im 18. Jahrhundert immerhin an der Wiege der Wiener Völkerkundesammlungen.

In der Ausstellung ergänzt Nuku etwa Bruchstücke eines "Waka", ein Kanu der Māori, durch verschnörkelte Plexiglasstücke zu einem Hybrid aus Alt und Neu. Kooperation und Anverwandlung, das ist es, was Nuku in der Begegnung mit ethnografischen Museen sucht. Die kolonialismuskritische Befragung derselben kann für ihn nur gelingen, wenn die Objekte sichtbar bleiben.

Nuku bezieht Typendarstellungen in seine Kunst mit ein. Er findet sie mehr schön, als problematisch und gibt ihnen einen würdevollen Rahmen.
Foto: KHM-Museumsverband

Ethnografische Typendarstellungen inszeniert der Künstler in der Ausstellung pompös goldgerahmt als Pop-Art-Porträts. Problematisch findet er diese alten Bilder nicht: "Für mich sind sie wunderschön. Es sind die Selfies von vor hundert Jahren." Sich selbst definiert Nuku im Spannungsfeld aus Faszination und kolonialem Blick übrigens selbstermächtigend als "der Einheimische, der den Kolonisator beobachtet, der den Einheimischen beobachtet".

Novara-Expedition

Weitere Räume bespiegeln die grüne Landschaft Neuseelands oder die Māori-Vorstellung von Geburt und Tod: In der Tattoo-Kultur steht Schwarz als Farbe der Frauen für Geburt und Raum, Weiß hingegen für die irdische Zeit. "Wir werden geformt in Dunkelheit und geboren ins Licht", sagt der Künstler.

Die Tattookultur der Māori wird mittels Plexiglasgravierungen thematisiert.
Foto: KHM-Museumsverband

Zur Pointe der Schau wird eine kritische Würdigung der habsburgischen Weltumsegelung der Novara von 1857, die auch nach Neuseeland führte. Die beiden Māori Wiremu Toetoe Tumohe und Hemara Te Rerehau reisten damals als Sensation mit nach Wien, wo sie eine Audienz beim Kaiserpaar Franz Joseph und Sisi erhielten. Als Geschenk gab es eine Druckerpresse samt zugehöriger Ausbildung. Zurück in ihrer Heimat druckten die beiden Māori dann Schriften gegen die britische Kolonialherrschaft. (Stefan Weiss, 25.6.2022)