Mohammad Al Hawajris Zyklus "Guernica Gaza" ist eine der umstrittenen Arbeiten der Documenta – sie zieht Parallelen zwischen dem deutschen Luftangriff auf Guernica und Israels Siedlungspolitik.

Foto: Wolfgang Rattay/Reuters

Es hat eine halbe Ewigkeit gedauert, bis das für die Documenta Fifteen verantwortliche Kuratorenkollektiv Ruangrupa am Freitag endlich Stellung bezogen hat. An dem Scherbenhaufen, vor dem die bedeutende Kunstausstellung in Kassel nach dem Antisemitismusdebakel um das mittlerweile entfernte Wimmelbild von Taring Padi steht, wird das Statement wohl nichts mehr ändern können. "Es ist unser Fehler. Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, die Schande, Frustration, Verrat und Schock, die wir bei den Betrachtern verursacht haben", schreiben sie reumütig auf der Homepage. "Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken."

Vor allem der letzte Satz kommt im Grunde dem offenen Eingeständnis eines Grundversagens gleich. Kuratoren, ob als Kollektiv oder als Einzelpersonen, tragen die Verantwortung für alle Exponate. Die Verwunderung über dieses Versäumnis von Ruangrupa ist umso größer, als die Debatte schon im Jänner losging, als man dem Kollektiv Antisemitismus vorwarf, weil es keine israelischen Künstler eingeladen hatte, dafür jedoch solche, die mit dem Anti-BDS-Beschluss der deutschen Regierung haderten.

Wo blieb die Absicherung?

Es gab einen Grundverdacht, berechtigt oder nicht: Man hätte erwartet, dass dies die Sensibilität erhöhen, ja den Willen zur Absicherung stärken würde. Eine Qualitätskontrolle gab es offenbar nicht.

Damals hatte Hanno Loewy, Direktor des jüdischen Museums in Hohenems, in der SZ noch zu Recht beschwichtigt. Die Gerüchte über den Reformpädagogen Khalil Sakakini und das Kollektiv The Question of Funding aus Ramallah hielten der genaueren Betrachtung nicht stand. "Es muss darüber geredet werden, wo postkoloniale Bewegungen legitime Perspektivwechsel einfordern und wo sie selbst in die Falle kulturalistischer, verschwörungstheoretischer und auch antisemitischer Muster treten."

Plumpe Vergleiche

Nunmehr ist man an mehreren Orten dieser Documenta mit Angeboten konfrontiert, die bei Besucherinnen und Kritikern die Alarmglocken schrillen lassen. Neben der inkriminierten Arbeit von Taring Padi ist etwa Mohammed Al Hawajris Zyklus Guernica Gaza zu sehen, der eine plumpe Analogie zwischen der Auslöschung der Bevölkerung in der spanischen Stadt Guernica und der Siedlungspolitik Israels herstellt. In einem Filmprogramm der Gruppe Subversive Films werden propagandistische Arbeiten aus dem Gaza der 1970er-Jahre als "poetisches Zeugnis der Standhaftigkeit des Volkes" und "der Liebe zu seinem Land" gelabelt.

In Bezug auf die Selbstverteidigung der Kuratoren könnte man sagen: Was man nicht entdeckt, hat man vielleicht deshalb übersehen, weil der Blick nicht scharfgestellt war. Das erklärt ein Stück weit die Naivität, nicht aber den fehlenden (oder romantisierenden) Kontext zu den Arbeiten, den Ruangrupa selbst vehement eingefordert hat.

Die Idee, die Documenta-Leitung einem Team aus dem globalen Süden zu gewähren, die andere Perspektive – das Experiment der Kollaboration – zu riskieren, diskreditiert dies aber noch nicht. Die vom Nigerianer Okwui Enwezor kuratierte Documenta von 2002 hatte ja schon erfolgreich gezeigt, wie sich postkoloniale Perspektiven in dem Sinn fruchtbar machen lassen, dass sie auch das Selbstverständnis der Institution verändern.

Polemik statt Dialog

Wenn nun in manchen Kommentaren deutscher Feuilletons der Eindruck erweckt wird, die postkoloniale Theorie sei das eigentliche Problem, weil sie die Singularität der Shoah und damit das Existenzrecht Israels verkennen würde, dann will man sich offenbar auch gar nicht darauf einlassen, dass sich historische Gewaltverbrechen vergleichen lassen, ohne dass man alle Differenzen auflöst. Hannah Arendt hatte schon über die kolonialen Bezüge in den Naziverbrechen geschrieben. Jean Améry hatte in Frantz Fanons Beschreibung des Schwarzseins gar eine Existenzerfahrung wiedererkannt, die er zu seinem Leid in Auschwitz in Beziehung setzen konnte. In dessen Konzept einer revolutionären Violenz, die sich dem Unterdrücker entgegenstellt, sah er ein Modell für die Rückerlangung von Würde.

Es gibt also durchaus Verbindungslinien, die bei der Documenta in einen Dialog hätten münden können, der dekoloniale Positionierungen genauso einbezieht wie eine israelische Sichtweise oder die Erinnerungspolitik in Deutschland – "Solidarisieren statt polarisieren", hatte dies die Historikerin Aleida Assmann einmal anlässlich der Antisemitismusdebatte um den Theoretiker Achille Mbembe genannt. Genau dies ist nun bedauerlicherweise an Schlampigkeit und mangelhafter Zuwendung gescheitert – und manche scheinen darüber nun auch rechtschaffen glücklich. (Dominik Kamalzadeh, 25.6.2022)