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Abflug nach Nizza – verspätet; Reisende nach Abu Dhabi – bitte um Geduld; Passagiere auf dem Weg nach Amsterdam – mit Verzögerung ist zu rechnen; Reiseziel Düsseldorf – Flug gestrichen. Ein ganz normaler Wochentag in Wien Schwechat – und das auf einem Flughafen mit vergleichsweise wenigen Blessuren. Endlose Schlangen, wie es sie etwa jüngst an den Flughäfen Heathrow in London oder Schiphol in Amsterdam gab, sind bislang noch nicht dokumentiert. Dort warteten Passagiere erschöpft und genervt bis zu sechs Stunden auf die Sicherheitskontrolle, jene, die auf die Abfertigung warteten, quollen aus den Terminals auf die Parkplätze, Zufahrten zu den Flughäfen waren verstopft. Chaos pur.

Im Juni wurden an den großen europäischen Flughäfen täglich Hunderte von Flügen gestrichen oder verspätet abgefertigt. Ob Frankfurt oder Berlin, Charles de Gaulle in Paris oder Praha-Ruzyně in Tschechien, Heathrow oder Gatwick in London: Es wird wieder annulliert und überbucht, und die Abflugzeiten weichen teils eklatant von den Planzeiten ab. Wien kommt nicht ungeschoren davon: "Ich konnte meine Dienstreise wegen Überbuchung nicht antreten", klagt einer auf einem Social-Media-Kanal, um gleich noch schäumend seinen Unmut über eine weitere Unsitte kundzutun: Endlos werde er in einer Warteschleife hingehalten und von falschen Versprechungen berieselt – gleich heben wir für Sie ab –, anstatt Auskunft zu erhalten, wie ihm die Fluggesellschaft nun zu helfen gedenke.

Anstellen beginnt wie hier im April in Amsterdam zuweilen schon außerhalb des Flughafengebäudes – drinnen reichte der Platz nicht aus.
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Zahlreiche Fluggastrechteportale tragen diverse Listen der Schande zusammen, die Flughäfen in Brüssel, Paris und Eindhoven verärgern die Fluggäste laut einer Analyse des Fluggastrechte-Portals Airhelp am häufigsten. Dort gab es 2021 anteilig die meisten Verspätungen oder Flugausfälle. Wien schnitt vergleichsweise gut ab. Europaweit hatten demnach rund 20 Millionen Fluggäste Probleme bei den Flugreisen. In Brüssel war fast jeder dritte Passagier betroffen, in Paris mehr als jeder vierte. Heuer geht es in dieser Tonart weiter.

Auf diversen Social-Media-Kanälen klagt man einander sein Leid. Europas Flughäfen würden im Sommer vor einer "großen Herausforderung" stehen, warnen führende Vertreter der Luftfahrtbranche seit geraumer Zeit. Für Millionen von Fluggästen dürfte das viel Ungemach bringen: quälende Schlangen, nie oder zu spät ankommende Gepäckstücke, verpasste Flüge, verpatzte Ferien. Bei den Unterkünften geht es weiter, sagt Ulrike Weiß. Bei der Konsumentenschutzexpertin der Arbeiterkammer Oberösterreich schlagen derzeit neben den vielen Umbuchungen bei Airlines auch überbuchte Hotels – vor allem in Griechenland – auf. Weiß geht von einem heißen Sommer aus und empfiehlt beim Reisen "viel Geduld und Gelassenheit".

Der Air Council International – Europas Branchenverband für Flughäfen – orakelt, dass in diesem Sommer auf zwei Dritteln der europäischen Flughäfen Verspätungen unvermeidlich sind, Luftfahrtfachleute schlagen in die nämliche Kerbe. "Der Verkehr ist stark zurückgegangen – 86 Prozent der Kapazität von 2019 sind im Netz –, und ein großer Teil des Verkehrs hat sich aus der Ukraine nach Westen verlagert", warnte Jacopo Passinotti, Direktor für Netzmanagement bei der Flugsicherungsorganisation Eurocontrol auf Euronews.

Dass es wieder kräftig knirscht haben Fachleute bereits vorausgesehen.
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Überraschend kommt das alles also nicht. Die Flughäfen auf dem gesamten Kontinent haben Mühe, den plötzlichen Zustrom von Fluggästen nach dem Fall der Covid-Einreisebeschränkungen zu bewältigen. Die Fluggesellschaften fahren ihre Kapazitäten hoch und jubeln über erfreuliche Buchungszahlen. Gleichzeitig rappeln sie sich mühsam aus der Verlustzone. Alle Airlines mussten während der Pandemie an allen Ecken und Enden sparen. Flughafenbetreiber und ihre Dienstleister schnallten die Gürtel enger. Und das kräftig. Manche konnten sich nur dank üppiger Staatshilfen über Wasser halten.

Mitarbeitermangel

Viele Beschäftigte haben während des Corona-bedingten Stillstands die Branche verlassen. Weil sie dank Kurzarbeit weniger verdienten, weil sie beim Gehalt Abstriche machen mussten, weil sie vielleicht gekündigt worden sind. Diejenigen, die geblieben oder neu an Bord gegangen sind, fordern bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter – auch wegen der steigenden Inflation. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, legen sie schon einmal die Arbeit nieder.

Auch Gepäckstücke gehen schon einmal verloren. Das ist allerdings nichts Neues.
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Auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle wurden jüngst mehr als 100 Flüge gestrichen – die Gewerkschaft will für das Flughafenpersonal eine monatliche Gehaltserhöhung von 300 Euro erstreiten. Mehr als 360 Flüge von und zu italienischen Flughäfen wurden gestrichen, nachdem Fluglotsen und Kabinencrews einen Streik ausgerufen hatten. Dazu kommen wieder vermehrt Corona-bedingte Ausfälle. Das trifft auch die AUA, Mutter Lufthansa und Schwestern. In Salzburg musste Eurowings jüngst Flüge streichen, unter anderem wegen vermehrter Krankmeldungen bei den Crews. Die Passagiere konnten zum Teil erst mit einem Ersatzflug ab München durch Tui Fly am Folgetag an ihr Reiseziel bzw. nach Hause gebracht werden.

Prekäre Jobs

Auch Wien sei keine Insel der Seligen, sagt Daniel Liebhart, Vorsitzender des Fachbereichs Luftfahrt in der Gewerkschaft Vida. Auch wenn er bestätigt, was das Flughafenmanagement auch sagt: Wien sei vergleichsweise gut aufgestellt. "Das ist aber nur durch freiwillige Mehrleistung beim Personal, also Überstunden" zu gewährleisten, so Liebhart. Als Hauptproblem sieht er die "Hungerlöhne von neun Euro beim Sicherheitspersonal" – und ebenso "prekäre Jobs bei den Billigairlines in der Kabine". Aus seiner Sicht bräuchte es – Sicherheits- und Bodenabfertigung inklusive – bis zu tausend Leute mehr am Flughafen.

Die Leidtragenden des Knirschens im System sind jedenfalls die Passagiere. Eigentlich nicht einzusehen, findet Konsumentenschützerin Weiß. Probleme gebe es vor allem mit den Billigairlines. "Es gibt überhaupt keine Lösungsbereitschaft. Da werden Konsumentenrechte mit den Füßen getreten." Weiß hält es ohnehin für nicht gerechtfertigt, dass Konsumenten ihr Ticket Monate im Voraus buchen und gleich bezahlen müssen, "um dann zwei Stunden vor Abflug zu erfahren, dass man keine oder schlechtere Leistung bekommt". Und sich dann bei Problemen noch selbst mit den Anbietern herumschlagen muss. Weiß hätte da eine Idee: Würde man das per Gesetz umdrehen – Geld abbuchen bei Erhalt des Boardingpasses –, wäre vieles besser. (Regina Bruckner, 26.6.2022)