Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Ein altes Sprichwort, das Michael Ludwig (SPÖ) in den vergangenen Stunden wohl das eine oder andere Mal in den Sinn gekommen sein mag. Seit am Samstag bekannt wurde, dass der Wiener Bürgermeister mit einem falschen Witali Klitschko telefoniert hat, ergießt sich sowohl in klassischen als auch sozialen Medien eine Welle an bösen Kommentaren über die IT-Kompetenz des Wiener Rathauses – oder eher den offensichtlichen Mangel in diesem Bereich.

Memes

Am schnellsten folgten dabei die Memes. Unterschiedliche Bilder werden dabei in die – an sich schon etwas befremdliche – Bildinszenierung des Fake-Gesprächs montiert, um zu verdeutlichen: Es ist schon einigermaßen peinlich, dass das Oberhaupt einer Millionenstadt einfach so mit jemandem telefoniert, der sich als Kiewer Bürgermeister ausgibt, und nichts davon merkt – und vor allem auch: niemand in seinem Team.

Nicht das Original, sondern eine böse Wendung als Meme.

Wie einfach es gewesen wäre, den Betrug an dieser Stelle aufzudecken, ist von außen aber natürlich schwer zu beurteilen. Immerhin sind auch die Bürgermeisterinnen von Berlin und Madrid zunächst auf den Fake hereingefallen. Dort hat man allerdings zumindest nach einer gewissen Zeit bemerkt, dass da irgendwas nicht stimmen kann, und das Gespräch beendet.

Verfehlter Stolz

In der Wiener Stadtregierung schien hingegen niemand solche Bedenken zu hegen. Stattdessen brüstete man sich öffentlich via Twitter, welch wertvolles Gespräch man mit dem vom Profiboxer zum Politiker gewandelten Klitschko geführt hat. Das noch dazu garniert mit Fotos des gesamten Schauspiels. All das wurde mittlerweile zwar gelöscht, das Internet vergisst aber nichts, also kursieren die Bilder natürlich in abgewandelten Versionen eifrig weiter.

Deepfake oder nicht?

Die Frage, wie der Betrug funktioniert hat, ist dabei übrigens noch nicht letztgültig geklärt. Aus Berlin hieß es, dass man einen sogenannten Deepfake vermutet. Dabei wird mithilfe von Maschinenlernen quasi das Gesicht einer Person über ein anderes gespannt oder auch dieses anhand von alten Aufnahmen komplett imitiert. Das funktioniert heutzutage bereits sehr gut, auch wenn solche Manipulationen in Echtzeit – wie es für ein Gespräch notwendig ist – etwas schwerer und somit oftmals anhand von unnatürlichen Bewegungen erkennbar sind.

Denkbar wäre natürlich auch eine simplere Form des Betrugs, also etwa die Nutzung eines Doubles oder auch das geschickte Arrangieren von Videos. Immerhin ist fraglich, ob bei der Einschätzung, ob Deepfake oder nicht, ausgerechnet jenen vertraut werden sollte, die zunächst nichts von der Manipulation bemerkt haben. Tatsächlich gibt es derzeit einige Hinweise darauf, dass es sich um einen sogenannten Shallow Fake mit einem Zusammenschnitt älterer Videos handeln könnte.

Spurensuche

Bisher gibt es von den betrügerischen Anrufen lediglich Screenhots, was eine unabhängige Beurteilung schwer macht. Auffällig ist jedenfalls, dass auf diesen der Fake-Klitschko praktisch genau dem Aussehen und der Kleidung des echten Kiewer Bürgermeisters aus einem Video von Anfang April entspricht, das der ARD-Journalist Daniel Laufer auf Youtube aufgespürt hat. Dieses könnte also quasi das Ausgangsmaterial für den Betrug gewesen sein.

Das Problem liegt ganz woanders

Während also derzeit nur schwer gesagt werden kann, wie gut die Täuschung beim Gespräch selbst war, nährt doch ein anderes Faktum ernsthafte Zweifel an den IT-Fähigkeiten der betroffenen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sowie deren Teams – erfolgte die Kontaktaufnahme doch auf reichlich seltsame Weise: So hat man im Wiener Rathaus eine Mail von einer Adresse namens mayor.kyiv@ukr.net mit einem Gesprächsangebot erhalten, ohne jemals die Echtheit der Adresse infrage zu stellen.

Hätte man zumindest ein Mindestmaß an Recherche an den Tag gelegt, hätte sich schnell herausgestellt, dass es sich bei ukr.net um einen Freemail-Anbieter handelt, bei dem einfach jeder Mailkonten anlegen kann. Auf Nachfrage heißt es aus Ludwigs Büro nun, man habe "mehrere 'verifizierte' Gesprächspartner aus der Ukraine, die derartige Mailadressen verwenden", insofern sei das nicht aufgefallen.

Eine Aussage, die nicht unbedingt dazu geeignet ist, das Vertrauen in die Fähigkeiten der Handelnden zu stärken. Immerhin ist das so, als würde jemand sagen, eine Mail von einer GMX-Adresse könne keinen betrügerischen Hintergrund haben, weil von dort schon auch einmal echte Personen schreiben. Hier wurden also einfach die grundlegendsten Regeln für die Kommunikation im Internet missachtet – und das nach Jahrzehnten an Spam und Phishing-Attacken.

Schon mal Boxen geschaut?

Die spöttischste Reaktion auf den Vorfall – und die Recherchefähigkeiten der Handelnden – kommt übrigens von Klitschko selbst. In einer via "Bild"-Journalist Paul Ronzheimer verbreiteten Videobotschaft weist er darauf hin, dass er Deutsch spricht. Tatsächlich verwundert es, dass sich im Bürgermeisterbüro in Wien niemand etwas dabei gedacht hat, dass der Fake-Klitschko partout Englisch sprechen wollte. Immerhin war Klitschko im Rahmen seiner Boxerkarriere über viele Jahre hinweg in deutschsprachig geführten Interviews zu hören. Und natürlich hat er auch seit dem Einmarsch russischer Truppen viele Mediengespräche auf Deutsch geführt.

Sollte es politische Nachwehen geben, dann werden sich diese also wohl vor allem um die Frage drehen, wie einfach es offenbar ist, einen Termin mit dem Wiener Bürgermeister zu bekommen. Dabei müssen sich übrigens auch andere den Vorwurf der Nachlässigkeit gefallen lassen. Wie der STANDARD berichtete, hat die Stadt Wien vorab die österreichische Botschaft über den Termin informiert – und damit indirekt auch das Außenamt. Von dort scheint man sich zu diesem Ereignis aber ebenfalls nichts gedacht zu haben – von einer Prüfung ganz abgesehen.

Das ist auch deswegen interessant, weil das Außenministerium am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur APA betonte, dass als eine Lehre aus dem Vorfall künftig sämtliche derartigen Gesprächstermine über die zuständige Botschaft koordiniert werden sollten. In diesem Fall sei die Botschaft zwar "informiert", aber nicht direkt "involviert" gewesen, versucht man den Unterschied herauszuarbeiten.

Rowling erwischte es auch – aber anders

Unterdessen kann man sich im Rathaus wenigstens damit trösten, dass auch andere auf solche Betrügereien hereinfallen. So wurde die Schriftstellerin J. K. Rowling vom russischen Komikerduo "Vovan und Lexus" hereingelegt. Ihr wurde vorgespiegelt, dass sie mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniere. So naheliegend es dabei auch sein mag, einen Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen zu ziehen, so unklar bleibt zunächst, ob ein solcher wirklich besteht. In diesem Fall scheint nämlich lediglich die Stimme gefälscht gewesen zu sein, zudem haben "Vovan und Lexus" für ihre Scherzanrufe in der Vergangenheit auch keine Deepfakes, sondern Schauspieler verwendet. (apo, 26.6.2022)