Hat schwer zu tragen: Katharina Hauter in "Der Taucher" von Oliver Hirschbiegel.

Foto: RTL / Moovie / Luis Zeno Kuhn

Vica (Cosmina Stratan) sagt vor Gericht aus und erzählt von Prostitution, Gewalt und Menschenhandel in "Subotnik" von Helene Hegemann.

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Olli Dittrich spielt in Patrick Vollraths Episode "Das Seehaus" den Eigenbrötler Felix Ascher.

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Hans Löw als Museumswärter Feldmayer in "Der Dorn".

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Die Frage nach der Schuld und der angemessenen Strafe ist oft schwer zu beantworten. Vor allem dann, wenn diese Fragen nicht nur rein juristisch abgehandelt werden. Schuld hat viele Gesichter und ist etwas, womit die eine ohne Probleme umgehen kann und der andere schnell daran zerbricht. Diese Facetten von Schuld und Strafe verhandelt der deutsche Bestsellerautor Ferdinand von Schirach in seinem Buch Strafe, der Kurzgeschichtenband ist 2018 erschienen.

Sechs Episoden daraus wurden jetzt für den Streamingdienst RTL+ verfilmt. In dieser Anthologieserie, sie startet am Dienstag, erzählen sechs Regisseurinnen und Filmemacher ganz unterschiedliche Geschichten über Täter, Opfer, ihre Schicksale und ihre Motive.

Produziert wurden die Folgen von Oliver Berben, der schon für Schirach-Verfilmungen wie Verbrechen, Schuld, Feinde und Glauben verantwortlich war. Berben produzierte 2020 auch das Schirach-Stück Gott zum Thema Sterbehilfe. Das Publikum konnte nach Ausstrahlung für oder gegen Sterbehilfe stimmen. Ebenso wie bei Terror, in dieser Verfilmung wurden die Zuseherinnen und Zuseher per Abstimmung zu Geschworenen gemacht, das TV-Experiment wurde 2016 in der ARD und im ORF ausgestrahlt und sorgte für teils heftige Kontroversen, von manchen wurde es als "reißerisch" kritisiert.

Bestsellerautor und Jurist Ferdinand von Schirach.
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Keine einfachen Antworten

In Strafe wählen die Filmemacher oft ruhige Töne und Bilder, was die menschlichen Abgründe, die sich hier offenbaren, umso eindrücklicher machen. Und für die Zuseherinnen und Zuseher auch komplizierter. Hier wird nicht geklotzt, hier gibt es kein Ja oder Nein, kein Schwarz oder Weiß, kein Gut oder Böse. Einfache Antworten gibt es in diesen sechs Filmen nicht, weder auf die Frage nach der Schuld noch auf jene nach dem Strafausmaß. Aufgezeigt werden Widersprüche im Rechtssystem, dem eine moralische Instanz fehlt. Recht und Gerechtigkeit sind zwei paar Schuhe, hier passen sie nicht in dieselbe Schublade.

Bei der Umsetzung des Stoffs wurde den Regisseurinnen und Regisseuren freie Hand gelassen. Auch das Drehbuch wurde teils von den Filmemachern selbst verfasst und adaptiert. Helene Hegemann (Axolotl Overkill) begleitet in der Episode Subotnik die junge, ehrgeizige Anwältin Seyma, überzeugend gespielt von Rapperin Ebru Düzgün, die von ihrem Chef (Josef Bierbichler) mit einem Fall beauftragt wird, der sie in tiefe Konflikte stürzt und in ihre eigene Vergangenheit hineinreicht. Es geht um Prostitution, Menschenhandel, aber auch weibliche Solidarität und Selbstbestimmung.

Ohne explizite Bilder zu zeigen, schafft es Hegemann, die psychische und physische Gewalt gegen die junge Rumänin Vica (Cosmina Stratan) für das TV-Publikum eindrücklich spürbar zu machen. Durch einen Rechtskniff kommt der Angeklagte frei. Die junge deutsch-türkische Anwältin wird damit leben müssen, einem brutalen Menschhändler zur Freiheit verholfen zu haben und dafür von ihren Kolleginnen und Kollegen gefeiert zu werden.

Freiheit der Gedanken

In Das Seehaus von Regisseur Patrick Vollrath – er studierte Regie bei Michael Haneke an der Filmakademie Wien – spielt Olli Dittrich den freundlich und harmlos wirkenden Eigenbrötler und Frühpensionisten Felix Ascher, der zu brutalen Mitteln greift, als er sich in seiner Ruhe, seiner Idylle und nicht zuletzt in seiner eigenen Gedankenwelt gestört fühlt.

Er wollte die Zuschauerinnen und Zuschauer mit der Frage konfrontieren, "wie viel ihnen die Freiheit ihrer Gedanken wert ist, selbst wenn dadurch vor ihren Augen vermeintliches Unrecht geschieht", sagt Vollrath.

Scham und Angst

Tief in die erzkatholische bayerische Provinz taucht Regisseur Oliver Hirschbiegel (Das Experiment, Der Untergang) in seiner Folge mit dem Titel Der Taucher ein. Es geht um einen sexuellen Fetisch mit Todesfolge, um Scham und um Angst vor dem Gerede im Dorf. In Rückblenden erzählt Hirschbiegel, wie es zum Tod durch Strangulieren kam.

Die Schuld eines anderen nimmt Schauspielerin Jule Böwe in David Wnendts aufwühlendem Beitrag Ein hellblauer Tag auf sich. Sie wurde angeklagt, ihren Säugling getötet zu haben, wird im Gefängnis gefoltert, dort von ihrem Mann kein einziges Mal besucht. Erst später wird sie tatsächlich zur Mörderin; diese Tat ist nicht beweisbar, dafür umso nachvollziehbarer.

Seinen Beitrag Der Dorn hat Hüseyin Tabak als Thriller und absurde Zeitreise mit Hans Löw als schrägem Museumswärter Feldmayer inszeniert. Und in Die Schöffin von Regisseurin Mia Spengler platzt ein Prozess, weil eine Schöffin befangen ist, sich selbst in den Schilderungen einer Zeugin wiederfindet. Mit verheerenden Folgen. (Astrid Ebenführer, 28.6.2022)