Wolfgang Sobotka mit seinem Amstkollegen Mustafa Şentop (rechts) und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan (Mitte).

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Ankara/Kiew/Moskau – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist nach dem Eindruck von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nicht mehr an einem EU-Beitritt seines Landes interessiert. "Die Situation ist eine, die nicht heißt Beitritt, sondern Strategische Partnerschaft", sagte Sobotka nach einem Treffen mit Erdoğan am Montag in Ankara gegenüber der APA. "Man ist eigentlich zu einem neuen Kapitel übergegangen."

Sobotka war zwei Tage vor dem historischen Treffen Erdoğans mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Rande des Madrider Nato-Gipfels nach Ankara gereist. Dort wurde der Nationalratspräsident nicht nur wie ursprünglich geplant von seinem Amtskollegen Mustafa Şentop, sondern auch von Präsident Erdoğan empfangen. Die beiden Gespräche seien "sehr intensiv" gewesen und hätten die Zeitrahmen gesprengt, berichtete der Nationalratspräsident im Anschluss vor Journalistinnen und Journalisten.

Einladung an Bundespräsident Van der Bellen

"Sie sind froh, dass wir in die Türkei kommen", sagte Sobotka mit Blick auf seine Gastgeber. So sei darauf hingewiesen worden, dass zuletzt vor 17 Jahren ein österreichischer Parlamentspräsident in der Türkei gewesen sei. Erdoğan habe auch eine Besuchseinladung an Bundespräsident Alexander Van der Bellen ausgesprochen. Dieser hatte im März mit Erdoğan telefoniert und im Anschluss von "aktuell positiven Entwicklungen der bilateralen Beziehungen" gesprochen. Danach folgten mehrere Telefonkontakte Erdoğans und Nehammers rund um den Ukraine-Krieg sowie die Nachricht vom Ende der türkischen Blockade gegenüber Österreich in der Nato.

Die Beziehungen hatten sich massiv verschlechtert, als Österreich infolge des gescheiterten Putsches gegen Erdoğan im Jahr 2016 den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen gefordert hatte. Österreich blieb mit seiner Forderung innerhalb der EU alleine.

Türkei nutze geopolitische Lage

Laut Sobotka sieht die Türkei nun, dass ihre geopolitische Situation "eine gute Ausgangsbasis bereithält, und die nutzen sie". Konkret nannte er etwa die Vermittlungsbemühungen zwischen Russland und der Ukraine bei gleichzeitiger Nato-Mitgliedschaft, das Engagement in Syrien und die Normalisierung mit Israel. "Man ist interessiert, mit allen Nachbarstaaten in gutem Einvernehmen zu sein", sagte der Nationalratspräsident.

Erdoğan wolle sich als "Friedensvermittler oder Friedensfürst" zeigen. Sobotka selbst engagierte sich auch als Vermittler, und zwar, indem er Erdoğan die Bitte Armeniens nach einer Öffnung der für den Straßenverkehr geschlossenen Grenzen überbrachte. Im Konflikt um Bergkarabach steht die Türkei an der Seite Aserbaidschans, während Armenien von Russland unterstützt wird.

Beziehungen zu Österreich werden besser

Österreich und die Türkei wollten ihre bilateralen Beziehungen "in verschiedensten Bereichen intensivieren", sagte Sobotka. Er wies darauf hin, dass Österreich relativ zur Gesamtbevölkerung die größte türkische Volksgruppe Europas habe. Von türkischer Seite werde zudem "die gemeinsame Geschichte, die lange zurückreicht" ,hervorgehoben. So sage man in Ankara "nicht ohne Stolz", dass das türkische Parlament vom österreichischen Architekten Clemens Holzmeister erbaut worden sei.

Österreich und die Türkei hätten auch "ein großes gemeinsames Sicherheitsinteresse", etwa im Kampf gegen Terrorgruppen. Diametral entgegensetzt seien die Positionen jedoch weiterhin, was die Migration betrifft. So habe er Erdoğans Kritik am griechischen Grenzschutz und Frontex zurückgewiesen, sagte der Ex-Innenminister.

Offen zeigte sich Sobotka, was Erdoğans Bestrebungen betrifft, die türkische Community weiterhin finanziell unterstützen zu können. Es gehe dabei nicht um die Frage der Ausbildung von Imamen, betonte der Nationalratspräsident. Vorgehen solle man gegen Radikalismus, unterstrich er. Das Treffen mit Nehammer am Mittwoch sehe Erdoğan als "Fortsetzung des Normalisierungsprozesses" zwischen Wien und Ankara. "Er ist sehr klar, was er in puncto Österreich macht und wie er sich das vorstellt."

Keine Illusionen macht sich Sobotka, was das umstrittene Ansprechen der türkischen Community in Österreich durch Erdoğan betrifft. "Man kann annehmen, dass er sich wahlwerbend an die türkischstämmigen Leute richten wird", sagte Sobotka mit Blick auf die Präsidenten- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr und die Tatsache, dass Erdoğans AKP vergangene Wahlen in Österreich haushoch gewonnen habe. Von österreichischer Seite werde man "darauf pochen, dass es nicht zu einer Aufhetzung kommt".

Erdoğan weiter gegen Nato-Beitritt von Schweden und Finnland

Sobotka erwartet, dass Erdoğan beim Nato-Gipfel einen eigenen Vorstoß in Sachen Ukraine-Krieg machen werde. Zwar hätten sich die türkischen Gesprächspartner diesbezüglich "bedeckt" gehalten. Man wolle "nicht bekanntgeben, welchen Auftritt er vorhat. Dass er ihn vorhat, ist aus dem Gespräch sehr klar herausgekommen", vermutet der Nationalratspräsident eine Initiative in Richtung Waffenstillstand. Sobotka berichtete, dass etwa Parlamentspräsident Şentop das vermeintliche Interesse der USA und Großbritanniens kritisiert habe, den Krieg in die Länge zu ziehen. Şentop habe sich zugleich zuversichtlich gezeigt, dass es in den nächsten Wochen gelingen werde, einen Korridor für den Weizentransport über ukrainische Schwarzmeerhäfen zu ermöglichen.

Keinen Durchbruch dürfte es bezüglich der Blockade der Nato-Anwärter Schweden und Finnland geben. "Erdoğan hat bekräftigt, dass er einer Erweiterung der Nato derzeit eher ablehnend gegenübersteht", sagte Sobotka. Der türkische Präsident habe auch Frankreich, Deutschland und die Beneluxländer als Staaten genannt, die kurdische Terroristen "gewähren lassen". (APA, 27.6.2022)