Wie schnell ein Lavendeltopf zur Anzeige führen kann, weiß Bernhard Fleischmann genau. Zwei Tage nachdem er drei – seiner Meinung nach – nicht rechtmäßige Parkplätze mit der violetten Pflanze blockiert hat, inspizieren Polizisten die Lage. Das Ergebnis: 49 Euro Strafe oder zwei Stunden gemeinnützige Arbeit. Der Berufsmusiker hat Einspruch erhoben, der gerade geprüft wird.

Die Topfpflanze des Anstoßes: Unerlaubtes Lavendel-Aufstellen kann 49 Euro Strafe kosten.
Foto: Julia Beirer

Fleischmann ist in der Hofgasse im fünften Wiener Gemeindebezirk aufgewachsen und wohnt noch heute dort. Seit gut einem Jahr setzt er sich für mehr Grün in der steingepflasterten Straße ein. Angefangen habe alles mit einem Nachbarschaftschor, den Fleischmann im ersten Lockdown gegründet hat. Mit ausreichend Abstand hätten sie zwischen den Häuserzeilen über 60-mal miteinander gesungen und später auch Auftritte absolviert. Das Honorar, hat der Musiker vorgeschlagen, könne man verwenden, um Bäume, Sträucher und Blumen für die Straße zu kaufen und gemeinsam zu pflegen.

Nun gedeihen Trauerbirken, Kletterpflanzen, ein Kirschbaum, Himbeeren, Maul beeren und Olivenbäumchen in der Gasse. Ausgestattet mit einem Bewässerungssystem, sind die Tröge mittlerweile angebunden. Leider seien bereits Pflanzen im Wert von 200 Euro weggekommen, darunter auch ein Apfelbaum. Fleischmann und seine Nachbarn lassen sich davon weder Freude noch Früchte auf den übrigen Sträuchern verderben. Damit alles seine Richtigkeit hat und wohl auch, um zukünftigen Anzeigen zu entgehen, sind die Pflanzen derzeit bei der MA 46 in Bewilligung.

Bernhard Fleischmanns Begrünungsinitiative in der Hofgasse
Foto: Julia Beirer

Um diese zu bekommen, müssen am Gehsteig mindestens zwei Meter Restbreite bleiben, damit Passantinnen sich ohne Hindernisse begegnen können, weiß Katharina Mauss von der Kompetenzstelle Grünstattgrau. Ihre Empfehlung: schmale, hohe Tröge mit ausreichend Füllvolumen, damit die Pflanzen genügend Platz zum Wurzeln haben und mehr Wasser speichern können.

Wer keinen Trog will und genügend Platz hat, kann bei der MA 28 um "bodengebundene Bepflanzung" ansuchen, um Bäumchen sowie Sträucher in der Erde vor dem Haus zu verwurzeln. Dafür dürfen keine Leitungen im Boden verlegt sein. Beide Varianten würden ungefähr gleich viel kosten. Erstberatung bieten etwa Gebietsbetreuung und Umweltberatung.

Grüne Fassade

Wer die Fassade direkt bepflanzen will, kann zu Efeu oder Veitschi greifen. Sie zählen laut Mauss zu den sogenannten Selbstklimmern und brauchen keine Rankhilfe. Wichtig ist allerdings, dass die Fassade intakt ist, da die Pflanzen auch in Risse wachsen. Andere beliebte Kletterpflanzen seien Wilder Wein, Blauregen und Lonicera-Arten. Diese benötigen allerdings Rankhilfen wie Seil, Netz oder Gitter. Nicht zu vergessen ist dabei, dass für eine Fassadenbegrünung ein Mehrheitsbeschluss der Eigentümergemeinschaft notwendig ist. Wer rechtlich auf der ganz sicheren Seite sein will beim Guerilla-Garteln, hat in Wien aber noch eine andere Möglichkeit.

Ein Spaziergang durch eine beliebige Wiener Gasse mit Bauminseln im Asphalt genügt, um auf diese Möglichkeit aufmerksam zu werden und sich die Frage zu stellen: Entsteht das Grün in der Erde rund um die Bäume einfach nur so? In vielen Fällen tut es das nicht, und in vielen Fällen sind auch die Wiener Stadtgärten nicht dafür verantwortlich, sondern Privatleute.

Biotope unter den Linden

Wer aufmerksam durch die Lindengasse im siebenten Bezirk schlendert, wird gleich mehrere liebevoll angelegte Biotope in der mit niedrigen Gittern umzäunten Erde um ein paar Linden bemerken. Und wer wie wir darüber schreibt, staunt zusätzlich darüber, dass hier eine Kollegin vom STANDARD gartelt. Das haben wir erfahren, als wir bei der Gebietsbetreuung nachfragten, die für diese im Fachjargon "Baumscheiben" genannten Grünflächen zuständig ist.

STANDARD-Kollegin Reinhilde am Hydranten vor ihrer Baumscheibe in Wien-Neubau
Foto: Sascha Aumüller

Kollegin Reinhilde gestaltet seit vielen Jahren drei dieser Baumscheiben in der Lindengasse mit wilden Pflanzen. Anfangs musste sie ihr Konzept verteidigen: "Die Anpflanzungen wurden immer wieder ausgerissen, weil sie nicht als solche erkannt wurden", erzählt Reinhilde.

Sie beschäftigt sich schon lange mit Wildpflanzen und sammelt die Samen oder Setzlinge, die sie verpflanzt, auf der Gstettn. Dazu gehören etwa robuste, blühende Pflanzen wie der weiße Gänsefuß, der erst im August blühen wird, sich aber gut mit dem anderen Grün rund um die Linde arrangiert. "Mittlerweile wurde erkannt, dass Ruderalpflanzen ökologisch wertvoll sind und dass man nicht alles als Unkraut ausreißen soll", sagt die Kollegin über ihre Mikro-Ökosysteme, die sie klug plant.

Auch Schnecken, Käfer und andere Insekten sind Teil des Begrünungskonzepts, das keine enormen Wassermengen verbraucht und sich teilweise selbst erhält. "Man ist draufgekommen, dass ein Baum allein den Vögeln nicht so viel bringt. Wichtig ist auch das Grün rund herum", sagt sie über das Ökosystem in der Baumscheibe.

Die Baumscheibe ist ein Mikro-Ökosystem, das auch von Vögeln geschätzt wird.
Foto: Sascha Aumüller

Mit der Lage einer Baumscheibe an einer stark befahrenen Kreuzung und neben zwei Müllcontainern hat Reinhilde Glück. Daneben steht direkt ein Hydrant, der von Bürgerinnen zum Gießen oder von Gassigehern zum Befüllen der Hundetrinkschale geöffnet werden kann. Für die Bewässerung der anderen Biotope muss sie allerdings die volle Gießkanne im Korb auf ihrem Fahrrad transportieren. Alle Baumscheiben, die von der Kollegin oft mehrmals in der Woche gepflegt werden, sind beschriftet. Zum einen, damit Kinder darauf aufmerksam werden, was hier wächst, und zum anderen: "Vielleicht lassen die Leute ihre Hunde dann seltener in die Baumscheibe", erklärt Reinhilde.

Über 1.000 Kleinstgärten

In ganz Wien werden schon über 1.000 Baumscheiben in Eigenregie von Anrainern gehegt und verschönert. Die meisten sind im zweiten Bezirk zu finden, gefolgt vom 15. sowie den Bezirken Margareten und der Brigittenau. Das Angebot richtet sich vor allem an Menschen, die keinen eigenen Garten oder Balkon haben, grundsätzlich kann aber jede und jeder um Erlaubnis bei der Gebietsbetreuung fragen.

An jedem dieser Bäume ist eine Nummer angebracht, die Interessierte notieren und zusammen mit einem Foto sowie der Adresse von der Baumscheibe per E-Mail an die Gebietsbetreuung schicken. Wenn sich noch niemand anderer dafür gemeldet hat, erhält man schon bald Bescheid und darf mit dem Garteln beginnen. Den benötigten Kompost zum Aufschütten der Baumscheiben können sich urbane Gärtnerinnen und Baumscheibengestalter aus dem Grätzel von den meisten Mistplätzen der Stadt kostenlos holen. (Julia Beirer und Sascha Aumüller, 29.6.2022)