Wien – Dass Umfragen für die ÖVP unter Altkanzler Sebastian Kurz eine besondere Priorität hatten, ist längst kein Geheimnis mehr. Wie heute bekannt ist, dürfte Kurz vor seinem Einzug ins Kanzleramt auch mit teils geschönten Umfragen der Meinungsforscherin Sabine Beinschab im Boulevardblatt "Österreich" als Regierungschef positioniert worden sein – gegen Inserate des Finanzressorts, wie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vermutet. Alle Beteiligten außer Beinschab bestreiten das. Doch jener mutmaßliche Umfragedeal, der als "Beinschab-Österreich-Tool" bekannt wurde, zwang Kurz schließlich einige Jahre später zum Rücktritt.

Kai Jan Krainer glaubt nun, auf eine ähnliche Konstruktion gestoßen zu sein. Der rote Fraktionsführer im laufenden ÖVP-Untersuchungsausschuss hegt den Verdacht, dass türkis geführte Ministerien Umfragen mit ressortfremden Fragestellungen in Auftrag gegeben haben, die vor allem für die Strategie von Kurz und Co verwendet worden sein könnten.

Behielten offenbar nicht nur ihre eigenen Agenden im Blick: Ex-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (links, ÖVP) und Ex-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (rechts, ÖVP). Das türkise Engagement soll Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) genutzt haben.
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So ließ beispielsweise das Landwirtschaftsministerium im vergangenen September abfragen, ob Österreich noch weitere Flüchtlinge aufnehmen soll. In der offiziellen Studienpräsentation tauchte die Frage allerdings nie auf – sondern nur im Tabellenband, der den Weg in den U-Ausschuss fand. Das Wirtschaftsressort wiederum erhob im August 2020 unter Ex-Ministerin Margarete Schramböck Einschätzungen zur Arbeit der Regierung und der Opposition, einige Monate zuvor zur Kampfrhetorik von Gewerkschaft und Arbeiterkammer am 1. Mai. Die beiden Ministerien sollen auch teils gleichlautende Fragen gestellt haben, wodurch valide Daten im Zeitraffer entstanden seien. Etwa über die Gesamtbeurteilung der politische Situation in Österreich.

Rollierende Befragungen

Durchgeführt hat jene Umfragen ein Meinungsforschungsinstitut, an das 2020 mehr als 230.000 Euro von ÖVP-geführten Ministerien geflossen sein sollen. Den Löwenanteil davon, 176.460 Euro, stemmte demnach das Wirtschaftsministerium. Der Geschäftsführer des Instituts ist in türkisen Gefilden wahrlich kein Unbekannter. Er arbeitete nicht nur bei einigen ÖVP-Wahlkämpfen mit, er war auch Direktor des ÖVP-Bauernbundes in Wien. Bis vor kurzem schien auch Franz Sommer im Kuratorium des Instituts auf, den die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in den Beinschab-Ermittlungen als "offiziellen" Umfragelieferanten der ÖVP bezeichnet. Krainer geht davon aus, dass Sommer die Daten, die unter anderem über Ministerien gesammelt wurden, für die Bundespartei ausgewertet haben könnte.

Das macht Krainer an zwei Dingen fest. Einerseits an der hohen Anzahl an Befragten für die Studien. Andererseits an der "rollierenden" Methodik, nachdem wortidente Fragen in einem gewissen Zeitverlauf immer wieder abgefragt werden – in diesem Fall von unterschiedlichen Stellen. Genau jenes Prinzip sei von Sommer in einem Interview aus dem Jahr 2017 präferiert worden. "Und Herr Sommer hat alle Daten, die er braucht, und das über mehrere Jahre mit identer Fragestellung – und damit hat es die ÖVP, und das auf Steuerzahlerkosten", monierte Krainer zuletzt im U-Ausschuss.

"Völlig haltlos"

All das wäre natürlich ein eklatanter Missbrauch von Steuergeld zugunsten der Kanzlerpartei. Die Erwähnten bestreiten jegliches Fehlverhalten. Der Geschäftsführer des Umfrageinstituts, der am Donnerstag im U-Ausschuss befragt wird, bittet "um Verständnis, dass wir in dieser Phase des laufenden Untersuchungsausschusses nicht zu Details Stellung nehmen können". Sämtliche Vorwürfe bezeichnet man als "völlig haltlos". Für jedes Honorar sei eine umfassende Leistung erfolgt. Jeder Auftraggeber habe für die eigenen Leistungen bezahlt.

Auch Sommer weist alle Vorwürfe von sich. Er sei in keine der besagten Umfragen eingebunden gewesen. "Auch Tabellenbände, Chartberichte und Textkommentare sind nie an mich geliefert worden", erklärt der Meinungsforscher. "Den Vorwurf, dass ich im Auftrag der ÖVP Daten aus Umfragen, die von den genannten Ministerien in Auftrag gegeben wurden, gesammelt und für die ÖVP ausgewertet habe, weise ich daher aufs Schärfste zurück."

Und was sagen die Ministerien? Das Wirtschaftsressort will vollkommen redlich gehandelt haben, erklärt ein Sprecher. Die Analysen seien nur intern verwendet worden und "dienten keinerlei parteipolitischen Zwecken". Darauf verweist auch das Landwirtschaftsministerium – sowie darauf, dass "im Sinne der Informations- und Aufklärungsarbeit" für geplante Ressortvorhaben auch Hintergrunddaten zu eminenten gesellschaftspolitischen Themen in die Analyse des Instituts mit eingeflossen seien.

Die ÖVP hält auf Anfrage fest: "Die Umfragen, die von der Volkspartei in Auftrag gegeben und für ihre politische Arbeit verwendet wurden, hat die Volkspartei stets selbst bezahlt." (Sebastian Fellner, Jan Michael Marchart, 28.6.2022)