Dutzende Gemeinden in den am schwersten von der aktuellen Wasserknappheit betroffenen italienischen Regionen Piemont, Lombardei, Venetien und Emilia-Romagna haben inzwischen erste Rationierungsmaßnahmen angeordnet. Der Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala hat zum Beispiel den meisten Brunnen den Wasserhahn zugedreht; außerdem ermahnte er die Bürgerinnen und Bürger seiner Stadt, mit Wasser sparsam umzugehen, insbesondere beim Bewässern der Balkonpflanzen, beim Autowaschen und bei der Reinigung von Vorplätzen und Hinterhöfen. Geschäfte und Supermärkte wurden angewiesen, die Klimaanlagen nicht unter 26 Grad einzustellen, um eine Überlastung des Netzes und Stromausfälle zu vermeiden.

Eine von den italienischen Gemeinden häufig ergriffene Maßnahme bei Wasserknappheit besteht darin, das Wasser über Nacht – in der Regel zwischen 22 und 5 Uhr – abzustellen. Die Maßnahme wirkt auf den ersten Blick paradox, weil der private Wasserkonsum über Nacht gering ist. Aber die lokalen Behörden haben einen guten Grund dafür: Die kommunalen Wasserversorgungen sind derart marode, dass landesweit 42 Prozent des Trinkwassers wegen löchriger Leitungen und Zisternen irgendwo im Erdreich versickern. Von den insgesamt 8,2 Milliarden Kubikmetern Trinkwasser, die dem öffentlichen Leitungsnetz im Jahr 2018 zugeführt wurden, sind laut dem nationalen Statistikamt Istat nur 4,7 Milliarden Kubikmeter bei den Verbrauchern angekommen. 3,5 Milliarden Kubikmeter versickerten. Mit dem verschwendeten Wasser, schrieb das Istat letztes Jahr, hätten 44 Millionen Menschen mit Wasser versorgt werden können.

Der Po ist über weite Strecken ausgetrocknet.
Foto: Reuters/Mangiapane

"Beispiellose Krise"

Den verzweifelten Landwirten in der Poebene hätte das versickerte Wasser freilich auch nicht allzu viel geholfen: Sie bewässern ihre Felder ja nicht mit Trinkwasser, sondern mit dem Wasser aus Flüssen, Kanälen und Seen. Und davon fließt, trotz vereinzelter Gewitter am Wochenende, immer weniger. "Wir erleben eine beispiellose Krise", erklärte Attilio Fontana, der Präsident der Lombardei. Der größte Fluss des Landes, der Po, führe weniger als 20 Prozent der Ende Juni üblichen Wassermenge, zahlreiche Zuflüsse sind fast vollständig ausgetrocknet. Seit Anfang des Jahres sind nur 40 bis 50 Prozent der normalen Regenmenge gefallen; im Winter ist in den italienischen Alpen außerdem weniger als ein Drittel der üblichen Schneemenge registriert worden. Mit anderen Worten: Auch die Schneeschmelze ist längst vorbei; in den Bergen liegt kein Schnee mehr, der die Flüsse speisen könnte.

Ernten zerstört

In der Poebene, wo rund 40 Prozent der gesamten italienischen Landwirtschaftsproduktion konzentriert sind, drohen wegen der Dürre massivste Ertragseinbußen. Laut behördlichen Schätzungen dürften 80 Prozent der Zuckerrüben-, 50 Prozent der Soja- und 25 bis 30 Prozent der Mais- und Getreideproduktion von der Hitze und dem Wassermangel vernichtet werden. Und das in einem Jahr, in dem die Lieferungen aus der Ukraine ganz oder teilweise ausbleiben. Nicht besser sieht es bei der Ernte von Früchten und Gemüse aus. Laut dem Kleinbauernverband Coldiretti drohen den Landwirten Milliardenschäden – und den Konsumentinnen und Konsumenten weitere Preiserhöhungen bei den Lebensmitteln.

Attilio Fontana hat in der von ihm regierten Lombardei bereits den Notstand verhängt – die gleiche Maßnahme haben auch seine Kollegen im Piemont und in der Emilia-Romagna ergriffen. Die Gouverneure fordern von der Regierung in Rom, den Notstand auch auf nationaler Ebene auszurufen, damit die Hilfsmaßnahmen unter den Regionen besser koordiniert werden könnten. Zivilschutzchef Fabrizio Curcio erklärte am Montag dem Fernsehsender Sky TG24, dass die Arbeiten an einem Notfallplan auf Hochtouren liefen und der landesweite Notstand in rund zwei Wochen verhängt werden könnte. "Dann ist nicht auszuschließen, dass das Wasser in den am schwersten betroffenen Regionen auch tagsüber rationiert werden muss", betonte Curcio.

Angst vor Blackout

Die Wasserknappheit des Po hat auch Auswirkungen auf die Stromversorgung: Weil Kühlwasser fehlt, musste bei Mantua eines von drei Gaskraftwerken vom Netz genommen werden. Wenn sich die Situation nicht bald bessert, werden weitere folgen. Das weckt Erinnerungen an den "großen Blackout" von 2003, das ebenfalls ein extremes Dürrejahr war: Damals mussten – allerdings erst im September und nicht schon im Juni – gleich mehrere thermische Kraftwerke außer Betrieb gesetzt werden, weil sie nicht mehr gekühlt werden konnten. Dann stürzte während eines Gewitters in den Schweizer Alpen ein Baum auf eine wichtige Hochspannungsleitung, die Italien mit Importstrom versorgte – und in der Folge gingen wegen des plötzlichen Spannungsabfalls in einer Kettenreaktion von Turin bis Palermo in ganz Italien die Lichter aus. (Dominik Straub aus Rom, 28.6.2022)