Der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer erklärt im Gastblog, wie Mediation bei Change-Prozessen in Unternehmen helfen kann.

Im vorangegangenen Artikel habe ich mich mit den Möglichkeiten der Mediation bei Mobbingkonflikten beschäftigt. Die Postings haben gezeigt, wie oft die Mobbingthematik den persönlichen Arbeitsalltag streift und beeinträchtigt. Ein Weg, um Mobbing erst gar nicht entstehen zu lassen, ist die rechtzeitige Veränderung, der "Change", im Unternehmen. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin kann ohne unmittelbar aktuellen konfliktträchtigen Anlass diesen Change-Prozess durch Mediation oder Moderation begleiten lassen, um die Belegschaft von Anfang an einzubinden und das Commitment aller zu erreichen.

Die Belegschaft kann bei Change-Prozessen ihre Wünsche, Ideen und Erfahrungen einbringen.
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Die Erfahrung zeigt, dass die Ergebnisse von ernsthaft betriebenen Change-Prozessen Unternehmen einen wichtigen Schritt voranbringen. Diese Prozesse werden nicht rein top-down betrieben, sondern die Belegschaft kann ihre Wünsche, Ideen und Erfahrungen dabei einbringen. Ein schon einige Jahre zurückliegender Fall zeigt das besonders gut.

Neuer Chef und eingearbeitete Belegschaft

Ein mittelständisches Unternehmen mit knapp 20 Mitarbeitern sollte einen neuen Geschäftsführer bekommen. Der neue Chef hatte unter anderem die Aufgabe, die bisher gut eingeübten, aber etwas veralteten Strukturen aufzubrechen und sowohl die Infrastruktur als auch die Arbeitsabläufe den aktuellen Anforderungen der Branche anzupassen. Ein besonders wichtiger Faktor waren dabei auch die erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit teilweise über 20 Jahren das freundliche und kundenorientierte Gesicht nach außen darstellten.

Seit der Gründer des Unternehmens und bisherige Chef den Betrieb aus Altersgründen in die Hände des neuen Geschäftsführers gelegt hatte, hielten sich Gerüchte bezüglich einer massiven internen Umstrukturierung, die auch einen Abbau von Arbeitsplätzen miteinschließen könnte. "Der Neue" wurde daher mit Argusaugen beobachtet, jede Anweisung dahingehend hinterfragt, ob sie möglicherweise dem Ziel eines Stellenabbaus dienen könnte. Der Geschäftsführer wollte rasch gegensteuern und organisierte daher einen Abend in einem Heurigenlokal, bei welchem auch der Mediator anwesend sein sollte.

Ziel des Abends war es, Eckpfeiler der angedachten Entwicklung zu präsentieren und auch die Erfahrungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich einzubauen. Bald kam die Angst vor Stellenabbau im Rahmen der Restrukturierung zur Sprache, worauf der Geschäftsführer antwortete, er könne zwar nicht für alle Zeit Änderungen in der Belegschaft ausschließen, doch es wäre das erklärte Ziel des Betriebes, zu wachsen und neue Märkte zu erschließen, weswegen er gerade auf die erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verzichten könne. Gleichzeitig mahnte er ein hohes Maß an gemeinsamer Anstrengung ein, um auch für die Kundinnen und Kunden einen nach außen hin sichtbaren Neustart zu ermöglichen.

Nachdem nun die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langsam ihre Bedenken hinsichtlich einer Kündigung abgelegt hatten, flossen vermehrt konstruktive Ideen in die Diskussion ein, die nach und nach verschriftlicht werden konnten und am Ende des Abends auch von der gesamten Belegschaft unterschrieben wurden. Was vorerst wie eine standardisierte Vorgehensweise wirkte, stellte sich in weiterer Folge als durchaus hilfreiche Grundlage für die weitere Tätigkeit heraus.

Als der Mediator zwei Jahre später eher zufällig dem Betrieb einen Besuch abstattete, war nicht nur fast die gesamte damalige Belegschaft noch im Betrieb, jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aufgrund besserer Angebote in einen anderen Betrieb gewechselt hatten beziehungsweise in Pension gegangen waren, konnten durch engagierte Nachfolgerinnen und Nachfolger ersetzt werden. Die damalige Vereinbarung inklusive aller Unterschriften schmückte den Hauptraum des Unternehmens und erinnerte so an den Konsens der Belegschaft, gemeinsam mit dem Geschäftsführer an einem Strang in die gleiche Richtung zu ziehen.

Es heißt Changen, nicht Tschentschn

Im Rahmen eines anderen vergleichbaren Prozesses, der sich in Kärnten abspielte, kam es einmal zu einem netten Wortspiel: "Es geht ja nicht ums Tschentschn sondern ums Changen." Wobei, ein wenig tschentschn, also jammern, darf schon sein, denn wo wäre denn sonst der Grund für den Veränderungsprozess? Tut man diese geäußerten Bedürfnisse der Beteiligten nicht als Jammerei und Suderei ab, sondern sucht den Kern der angesprochenen Bedürfnisse, so bilden sich oftmals Aspekte wie der Wunsch nach Anerkennung seitens der Führungsebene heraus. So haben jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die oftmals jahrzehntelang im Unternehmen tätig sind, einen immensen Erfahrungsschatz, der dem Unternehmen verlorenginge, sollten diese in ihrem Bedürfnis nach Respekt und Anerkennung nicht gehört werden. Wenngleich es auch einer gewissen menschlichen Größe bedarf, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihre Ansichten zu fragen, so ist der Lohn dieser Frage eine stärkere Verbindung der Belegschaft mit den gemeinsam vereinbarten Unternehmenszielen.

Mediation – Moderation

Die Tools bei der Begleitung eines solchen Abends haben freilich auch den Charakter einer Moderation, nicht nur den einer herkömmlichen Mediation. Größere Gruppen müssen durch Stellvertreterinnen und Stellvertreter repräsentiert werden, um ihre Meinungen und Wünsche jenen der anderen gegenüberzustellen. Wobei "gegenüber" wohl eben nicht der richtige Ausdruck im mediativen Denken ist. Einzelne Punkte werden auf Flipchart oder Tafel notiert und erlangen durch diese Verschriftlichung plötzlich eine andere Bedeutung, als wenn sie "einfach nur in den Raum gestellt werden". Daher hat auch die Reihenfolge, die Schriftgröße und der Platz auf der Tafel oder dem Flipchart, wo die einzelnen Begriffe notiert werden, unter Umständen Bedeutung.

Für die Nachhaltigkeit des Gesamtergebnisses ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten mit dem erzielten Ergebnis identifizieren können, daher ist darauf zu achten, dass jede und jeder Beteiligte beziehungsweise jeder Gruppenrepräsentant und jede Gruppenrepräsentantin zu Wort kommt. Meist kristallisieren sich dabei einige wenige Kernaspekte heraus, die von den meisten Gruppen auch unabhängig voneinander als vorrangig erachtet werden, doch selbst in jenen spannenden Fällen, die diese "Regel" Lügen strafen und sie doch als Ausnahme bestätigen, müssen alle genannten Punkte wertgeschätzt und bearbeitet werden. Ist es nicht möglich, den einen oder anderen Wunsch ins Endergebnis einzuarbeiten, so bedeutet dies nicht, dass er weniger wichtiger als die anderen oder dass das dahinterstehende Bedürfnis irrelevant wäre, sondern schlicht, dass das Ziel besser zu erreichen war, wenn jener Aspekt am Weg zur Ziellinie geklärt werden konnte.

Kosten werden reduziert, Produktivität gesteigert

Unter der Annahme, dass nur in den seltensten Fällen Bösartigkeit der Grund für Mobbinghandlungen ist, sondern vielmehr tiefer in der Unternehmenskultur verwurzelte Missstände der Nährboden für kollegiales Misstrauen und Ausgrenzung darstellen, besteht die Möglichkeit, in offenen und möglichst vorwurfslosen Gesprächen diesen Nährboden abzugraben und durch ein nachhaltiges Fundament zu ersetzen. Mediation kann hier gemeinsam mit anderen externen und internen Fachkräften einen wesentlichen Beitrag leisten, die mobbingbedingten Kosten zu reduzieren und die Produktivität des Unternehmens zu steigern. (Ulrich Wanderer, 5.7.2022)