Nach einer bunten Bandtour ist Wainwright nun wieder auf sich allein gestellt. Schmäh führt er trotzdem.

Foto: Nikolaus Ostermann / Volkstheater

Es braucht schon eine gute Portion Ungeniertheit und Selbstüberschätzung, wenn man sich als musikalischer Leiter eines Hauses selbst als "Vorband" für den Haupt-Act des Saisonfinales programmiert. Auftritt Paul Wallfisch, Musical Director des Volkstheaters. Er organisiert nicht nur die Konzertreihe am Haus, er zeigte am Dienstag auch, dass man sich ein Publikum nicht erspielen muss, solange man es sich auch erzwingen kann.

Normalerweise lassen Leute einen Support-Act, den sie nicht sehen wollen, einfach aus. Im Theater geht Später-Kommen oder Den-Saal-Verlassen allerdings nicht so einfach, weswegen man also in den unfreiwilligen Genuss von Wallfischs Anbiederung am Flügel kommt. Die Bühnenpräsenz der zwei Römerquelle-Flaschen, die vor Wallfisch stehen, ist prickelnder als die seine, die eigenen Texte sind abgeschmackt, die Covers – sogar Cohens I’m Your Man lässt er sich nicht nehmen – ödest. Nach dieser Peinlichkeit konnte also nur besser werden. Und es wurde. Rufus Wainwright trat vor den trotz schweißtreibender Temperaturen gut gefüllten Saal und brachte Erlösung. An den Füßen rote Slipper mit Mascherln als Referenz an die von ihm verehrte Judy Garland, die das ikonische Schuhwerk im Wizard of Oz in ihrer Rolle als Dorothy trug.

Foto: Nikolaus Ostermann / Volkstheater

Der kanadisch-amerikanische Singer-Songwriter veröffentlichte einige Alben, bevor er sich zum Hansdampf in allen Gassen mauserte, Filmmusik schrieb, Shakespeare-Sonette vertonte und Opern komponierte. Was ihn vor allem auszeichnet, ist seine außergewöhnliche Stimme, Prädikat: nasal. Manche erinnert sie an sterbende Katzen, andere glauben, die Natur hat das Riechorgan nicht zum Riechen, sondern dafür erfunden, dass Wainwright so singen kann, wie er singt.

Die Tour zum aktuellen Album Unfollow the Rules, das 2020 erschienen war, hat er gerade abgeschlossen, vor wenigen Tagen spielte er noch fröhlich mit Band beim Glastonbury Festival, und nun, so sagt er scherzhaft, "heißt es wieder Einzelhaft in Wien".

Wainwright setzt sich also solo ans Klavier und schmettert dort seine herrlich traurigen Songs raus.

Ein bisschen Kabarett

Den ganzen Abend kann man sich als eine sympathisch improvisierte Mischung aus Gay Pride und Leid vorstellen. Wainwright spricht über das erschütternde Urteil des Supreme Court (Roe v. Wade) und berührt mit einer A-cappella-Version von Somewhere over the Rainbow. Er erzählt über seine Nummer Gay Messiah, die auch schon fast 20 Jahre auf dem Buckel hat, und darüber, wie der eigentlich als Witz intendierte Song im Laufe der Zeit und unter Präsidenten wie Bush und Trump zu einem Protestlied wurde.

Gleichzeitig haut er immer wieder lustige Anekdoten raus, erzählt, dass er seinen Wien-Aufenthalt wie die coolen Leute dazu nutzen wollte, in die Wolfgang-Tillmans-Ausstellung zu gehen, dann aber magisch vom Sisi-Museum angezogen wurde. "I’m such a fag!", lacht er. Gleich bei der dritten Nummer Vibrate verwechselt er die Strophen, manchmal bekommt der Auftritt etwas gelöst Slapstickhaftes. Man merkt zwar, dass sich Wainwright nicht sonderlich anstrengt, jede seiner Bewegungen verrät: "Leute, ich hab das tausend Mal gemacht", aber auch diese Unbekümmertheit hat ihren Charme.

Amerika macht müde

Die Songs, die er spielt, geben einen guten Überblick über seine lange Karriere. Jericho, The Art Teacher, Want oder Poses, dannauch Aktuelleres wie die bezaubernde Miniatur My Little You, die er für seine Tochter Viva geschrieben hat. Deren Mama ist übrigens seine Kindheitsfreundin Lorca Cohen, die Tochter von Leonard Cohen. Dessen Meisterwerk Hallelujah spielt Wainwright dann auch bei den Zugaben, genauso wie das fantastische Going to a Town, erschienen 2007, wo es – für viele wohl leider noch immer sehr aktuell – "I’m so tired of America" heißt.

Insgesamt spielt der 48-Jährige gute eineinhalb Stunden, die sich wegen der netten Zwischenansagen und der Wechsel zwischen Flügel und Gitarre sehr kurzweilig gestalten. Unter Standing Ovations entschwindet Wainwright nach getaner Arbeit Richtung Regenbogen (Amira Ben Saoud, 29.6.2022)