Brillantes Aschenputtel: Cecilia Bartoli.

Foto: Michael Pöhn

"Es ist eine wirkliche Epidemie", klagte ein kritischer Wiener vor genau 200 Jahren. Doch als deren Erreger war nicht Corona oder die Cholera auszumachen, sondern Gioachino Rossini. Gemeinsam mit Kaiser Franz I., Staatskanzler Metternich und dem extra angereisten Denkerfürsten Hegel war tout Vienne im Rossini-Fieber. Der 30-Jährige italienische Operngott, laut Stendhal jener Mann, über den nach Napoleons Tod in ganz Europa jeder sprach, war mit seiner Angetrauten und weiteren Vokalartisten von Neapel nach Wien gekommen. Im Hofoperntheater spielte man im Frühjahr 1822 monatelang Rossini rauf und runter.

Das macht man aktuell in der Staatsoper auch, zumindest bis zum 8. Juli. Zum Jubiläum ist ein Stargast eingeladen worden, den man im Haus am Ring noch nie szenisch erlebt hat: Cecilia Bartoli. Nicht aus dem Teatro San Carlo, sondern aus Monte Carlo sind die Musikerinnen und Musiker angereist, die die 56-jährige Mezzosopranistin mit im Gepäck hat. Bartoli hat Les Musiciens du Prince – Monaco 2016 mitgegründet, 2023 wird die umtriebige Primadonna auch die künstlerische Leitung der Oper von Monte Carlo übernehmen. Bartoli hofft, dass das Gastspiel der Monegassen an der Staatsoper "der Beginn einer Partnerschaft zwischen dem wichtigsten und dem schönsten Opernhaus der Welt sein wird".

Der Erstauftritt war jedenfalls fulminant. Im ausverkauften Haus waren am Ende alle völlig aus dem Häuschen, Jubelschreie entfuhren entzückten Kehlen. Eine Epidemie der Freude: Aerosole aller Lungen, vereinigt euch! Und die halbszenische Aufführung (Einrichtung: Claudia Bersch) der Cenerentola war auch in allen Belangen Weltklasse: ein hochpräzises, freches, buntes Feuerwerk der Komik.

Ornament als Versprechen

Rossinis Musik wirkt so belebend wie Schaumwein, und die Blubberbläschen in diesem Schaumwein, das sind die Koloraturen. Die personifizierte Perlage war natürlich Cecilia Bartoli als Aschenputtel, die allen gesanglichen Zierrat mit passgenauen Gefühlsinjektionen versah. Ornament nicht als Verbrechen, sondern als Versprechen für eine emotionale Substanz hinter der verspielten Oberfläche. Den balsamischen lyrischen Tenor von Edgardo Rocha (als Don Ramiro) hatte man noch von den Pfingstfestspielen im Ohr. Beweglich auch der Bariton von Nicola Alaimo, der einen Dandini vom Rossini-Format darzustellen verstand.

Die drei sind ein eingespieltes Team, man hat die Cenerentola schon 2017 an der Côte d’Azur gegeben – zusammen mit Rebeca Olvera und Rosa Bove, die als Aschenputtels verzogene Stiefschwestern Clorinda und Tisbe komödiantische Glanzlichter setzten. Prägnant und druckvoll der Bass von Pietro Spagnoli (als Cenerentolas Stiefvater Don Magnifico), wie ein mit Samt ausgekleidetes Kellergewölbe das Gesangsorgan seines Kollegen José Coca Loza (als Alidoro). Das Sextett im 2. Akt (Scusate, amici) verzauberte mit musikalischer Perfektion und wurde als Zugabe wiederholt.

Die historisch informiert musizierenden Musiciens du Prince – Monaco klangen auf den Parkettplätzen erst relativ strohig, flach und mono; mit der Zeit gewöhnte sich das Ohr aber um und fand Gefallen am belebenden Brio, den Dirigent Gianluca Capuano zu entfachen verstand. Bravi! (Stefan ender, 29.6.2022)