Sitzen und futtern – der Panda, wie er leibt und lebt.

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Der Panda in seinem Element: Umgeben von Bambus kann er stundenlang seine Leibspeise in sich hineinmampfen.

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Denkt man an eine typische Pose des Großen Pandas, ist es vermutlich folgende: Der tierische Sympathieträger sitzt zurückgelehnt im Bambusdickicht und vertilgt ununterbrochen Blätter und Stämme der Süßgräser. Tatsächlich sind Pandas den halben Tag mit Fressen beschäftigt. 18 Kilo Bambus frisst ein ausgewachsenes Exemplar täglich.

Damit die Tiere bei ihrer Körpergröße und ihrem Energieverbrauch hauptsächlich vegetarisch leben können, müssen sie vor allem eines beherrschen: Nahrung irrsinnig schnell in sich hineinstopfen.

Vorsprung durch Pseudodaumen

Um das zu schaffen, haben die Bären im Lauf der Evolution eine Art zusätzlichen Daumen entwickelt. Genau genommen handelt es sich dabei um einen verlängerten Handwurzelknochen der Vorderpfoten, der häufig auch als "Pseudodaumen" bezeichnet wird. Dieser erlaubt es ihnen, Bambusstangen besser festzuhalten und im Rekordtempo zu verspeisen.

Um ihren Nährstoffbedarf mit Bambus zu decken, widmen sich die Tiere mindestens den halben Tag lang der Nahrungsaufnahme.
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In einem neuen Artikel, der im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht wurde, berichtet ein Forschungsteam um Xiaoming Wang nun vom ersten Panda-Vorfahren, der diesen falschen Daumen aufweist. Überraschenderweise ist dieser bei den urzeitlichen Pandas länger als bei ihren modernen Nachkommen.

Während der falsche Daumen beim heute lebenden Großen Panda (Ailuropoda melanoleuca) seit mehr als hundert Jahren bekannt ist, rätselte die Wissenschaft lange über dessen Entwicklung. Fossilien waren rar, weshalb erst ein Fund in der südchinesischen Provinz Yuannan Licht ins evolutionäre Dunkel brachte. Das Forschungsteam entdeckte den fossilen Handgelenkknochen im Untergrund der Shuitangba-Stätte in der Stadt Zhaotong, wo seit langem Braunkohle abgebaut wird.

"Bambusstängel festzuhalten, um sie in mundgerechte Bissen zu zerkleinern, ist vielleicht die wichtigste Anpassung an den Verzehr einer erstaunlichen Menge Bambus." – Studienleiter Xiaoming Wang, Natural History Museum of Los Angeles County

Rätselhafte Panda-Pfote

Der Fund stammt den Forschenden zufolge aus dem späten Miozän, das vor rund 23 Millionen Jahren begann und vor etwa fünf Millionen Jahren endete. Bei der Entdeckung handelt sich um den fossilen falschen Daumen eines Exemplars der Panda-Gattung Ailurarctos.

Die versteinerten Überreste gelten dem Forschungsteam als Beweis dafür, dass schon diese frühen Ahnen der heutigen Großen Pandas damit begannen, auf eine Bambus-basierte Diät zu setzen. Dieser Tage besteht die Nahrung der schwarz-weißen Bären zu rund 99 Prozent aus dieser schnell wachsenden aber relativ nährstoffarmen Pflanze.

"Bambusstängel festzuhalten, um sie in mundgerechte Bissen zu zerkleinern, ist vielleicht die wichtigste Anpassung an den Verzehr einer erstaunlichen Menge Bambus", sagt Wang, Kurator für Wirbeltierpaläontologie des Natural History Museum of Los Angeles County, zu dem sensationellen Fund.

Die außergewöhnlichen Pfoten des Großen Pandas dienen nicht nur bestens zum Greifen von Bambus, sondern sind auch so entwickelt, dass sie das Gewicht der Tiere problemlos tragen können.
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Gehen und zugleich Bambus kauen

Obwohl sich der sechste Finger sowohl bei modernen Riesenpandas als auch bei Ailurarctos findet, unterscheiden sie sich doch merklich in Form und Größe voneinander. Im Verhältnis zu seiner Körpergröße ist der Pseudodaumen heutiger Pandas deutlich kürzer als der seiner Vorfahren. Darüber hinaus weist die Greifhilfe bei den heute lebenden Bären einen Haken am Ende und eine abgeflachte Außenfläche auf.

Damit könnte der Fund auch dazu beitragen, ein weiteres Panda-Rätsel zu lösen: Warum sind die falschen Daumen der Pandas unserer Zeit anscheinend unterentwickelt? Wang und seine Kolleginnen und Kollegen gehen davon aus, dass es sich um einen evolutionären Kompromiss handelt. Schließlich musste des Bären falscher Daumen zum Gehen und zum Bambusgreifen dienlich sein, sagt Wang. "Eine solche Doppelfunktion ist auch die Grenze dafür, wie groß dieser 'Daumen' werden kann."

Geboren, um zu fressen

Innerhalb der Bären-Familie stellen Pandas eine Ausnahmeerscheinung dar. Ihre Ernährung ist zu 99 Prozent pflanzenbasiert. Nur manchmal mischen sich Raupen oder kleine Wirbeltiere darunter – oft auch aus Versehen.
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Neben den Pfoten ist auch der Rest des Panda-Körpers perfekt auf seine Lebensweise und Ernährung abgestimmt. So ist etwa seine Speiseröhre mit Horn ausgekleidet, damit er auch scharfkantige Bambusstücke verputzen kann, ohne sich beim Schlucken zu verletzen.

Um die dicken Bambushalme zu zerkleinern, hilft zudem die enorme Beißkraft der so possierlich wirkenden Tiere. Obgleich die Stämme auch mit der spezifisch entwickelten Pfote zerteilt werden, zählen Pandas zu den Säugern, die am kräftigsten zubeißen können.

Bei den Problemen, vor denen die Bären in freier Wildbahn stehen – allen voran der Verlust und die Fragmentierung ihres Lebensraums –, vermögen aber auch ihre erstaunlichen Anpassungen nicht zu helfen. Mit der Einrichtung von Schutzgebieten, der Etablierung drakonischer Strafen auf Wilderei und mit Zuchtprogrammen in Zoos können die Bestände der Pelzträger dennoch stabil gehalten werden. (Marlene Erhart, 30.6.2022)