Seit März ist die 30-jährige Victoria Weber Bürgermeisterin der Tiroler Bezirkshauptstadt Schwaz.

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"Als Frau, da musst du dich erst einmal beweisen." Für Monika Wechselberger steht dieser Satz über ihrer Zeit als Bürgermeisterin von Mayrhofen. Vor sechs Jahren wurde die heute 53-Jährige als erste Frau ins Amt gewählt, "überraschend war das", sagt sie. Die Gemeinde im Zillertal hat keine 4.000 Einwohner:innen, mit rund 1,5 Millionen jährlichen Nächtigungen zählt sie jedoch zu den großen im Tiroler Tourismus. "Ich erinnere mich an meine erste Bauverhandlung. Wenn es um technische Dinge geht, wirst du als Frau erst einmal nicht für voll genommen", erzählt Wechselberger im STANDARD-Gespräch. Intensiv habe sie sich ins Baurecht eingelesen, sich den Fachjargon angeeignet – erst dann sei die Skepsis der anderen gewichen. Ein Test, den Männer nicht bestehen müssten. "Die bekommen da ganz klar Vorschusslorbeeren."

9,8 Prozent Bürgermeisterinnen

Nicht nur in Tirol, bundesweit sind Bürgermeisterinnen immer noch eine Minderheit. 205 der aktuell 2.093 Bürgermeister:innen sind Frauen, meldet der Österreichische Gemeindebund. Ein mickriger Anteil von 9,8 Prozent. Für die Studie "Kommunalpolitik von morgen" fragte Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle Ortschef:innen quer durch Österreich nach dem Grund für das ungleiche Geschlechterverhältnis. Am häufigsten nannten sowohl Männer als auch Frauen die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie. "Es gibt da eben immer noch die Zuständigkeit der Frauen für den Haushalt. Du bist Bürgermeisterin, aber auch verantwortlich dafür, dass der Kühlschrank immer voll ist", formuliert es Monika Wechselberger.

Die Vereinbarkeitsfrage sieht auch Victoria Weber (SPÖ) als eine wesentliche Hürde für Frauen in der Kommunalpolitik. Seit März ist die 30-Jährige Bürgermeisterin der Bezirkshauptstadt Schwaz unweit von Innsbruck. "Die Sitzungskultur ist ein wichtiges frauenpolitisches Thema", sagt Victoria Weber. Wann und wie viele Sitzungen stattfinden und ob dafür Kinderbetreuung angeboten wird – hier könnten relativ einfach Hebel angesetzt werden. "Und man muss sich das Engagement auch erst einmal leisten können", sagt Weber. Das Entgelt für Gemeinderät:innen sei gering, oft werde es ohnehin in Form von Spenden oder Eintrittsgelder an Vereine im Ort weitergegeben.

"Und dann höre ich oft von Frauen: Entweder ich mache es richtig oder sonst lieber gar nicht", erzählt Weber.

Männliche Kultur

Beim Faktor Parteikultur zeigt sich in Stainer-Hämmerles Studie für den Gemeindebund ein Gender-Gap. Über 60 Prozent der Bürgermeisterinnen sehen die männlich geprägte Parteikultur als Grund für den geringen Frauenanteil, Bürgermeister hingegen orten wesentlich häufiger ein mangelndes Interesse der der Frauen selbst.

"Es macht jede Gemeinde besser, wenn sich Männer wie Frauen mit ihren Ideen einbringen, so wie es auch ein Miteinander von Alt und Jung braucht", sagt Victoria Weber. Ganze 91,9 Prozent der Bürgermeisterinnen sehen in der Gemeindebund-Studie Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils als notwendig an, ihre männlichen Kollegen zeigen sich wesentlich zurückhaltender (62,5 Prozent).

Über andere Standards für Frauen in der Gemeindepolitik kann die jetzige Vizebürgermeisterin Monika Wechselberger einige Geschichten erzählen. Erst vor wenigen Monaten wurde sie als Bürgermeisterin abgewählt, Hotelier Hans Jörg Moigg steht jetzt an der Spitze der finanzstarken Tourismusgemeinde. Das Amt zu verlieren fühle sich in den ersten Tagen als große Schlappe an, erzählt Wechselberger, doch diese Emotionen seien längst abgehakt. Mehr Zeit für die Familie stehen nun auf der Plusseite, auch ihren Beruf als Religionslehrerin erlebt Wechselberger als erfüllend. "Als Bürgermeisterin bist du nämlich keine Privatperson mehr, du stets praktisch permanent in der Öffentlichkeit", sagt sie. Die unterschiedlichen Anforderungen an Frauen und Männer hätten sich letztendlich auch im Kleinen gezeigt. Bürgermeister würden in der Tracht oder im schwarzen Anzug auf Veranstaltungen kommen, "aber als Frau kannst du dich nicht an fünf Wochenenden hintereinander im gleichen Dirndl zeigen".

Monika Wechselberger war Bürgermeisterin im Tiroler Zillertal und weiß von vielen Zusatzhürden, die eine Frau in diesem Amt nehmen muss.
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Als es Wechselberger gelang, zusätzliche Gelder für die Gemeinde beim Landeshauptmann zu gewinnen, wurde ihr Erfolg sexistisch kommentiert, erzählt sie. "Die wird schon einen kurzen Kittel angehabt haben" – ein Satz, den Männer niemals hören. Gegen verkrustete Strukturen anzukämpfen motivierte die damalige Gemeinderätin überhaupt erst, für das Amt der Bürgermeisterin zu kandidieren. Eine Genehmigung für ein Bauprojekt oder eine Umwidmung für eine der einflussreichen Familien im Ort sei immer schnell erledigt gewesen. "Aber dass mein Nachbar ein Kinderzimmer an sein kleines Haus anbauen wollte, das war unmöglich", erzählt sie.

Zaghafter Aufbruch

Abseits aller Schattenseiten erleben viele Bürgermeister:innen das Amt auch als erfüllend. Es sind die Gestaltungsmöglichkeiten, der Kontakt mit Menschen und das direkte Feedback, die in der Gemeindebund-Studie hervorgehoben werden. "Ich erlebe im direkten Kontakt, welche Themen den Menschen unter den Nägeln brennen", sagt auch Victoria Weber. Elf Jahre lang engagierte sie sich als Gemeinderätin, schließlich zwei Jahre als Vizebürgermeisterin. "Das klingt vielleicht komisch, aber ich bin mit der Erwartung in die Wahl gegangen, nicht zu gewinnen. Ich dachte, unsere Stadt wäre noch nicht reif für eine Frau an der Spitze." Mit 58 Prozent der Stimmen setzte sich Weber schließlich klar gegen Hans Lintner von der ÖVP durch – ein herber Verlust für die Volkspartei in der einst schwarzen Hochburg. Mittlerweile gebe es viele positive Rückmeldungen. "Ich höre immer wieder: endlich einmal eine Frau an der Spitze", sagt Weber.

Österreichs Ortschefinnen vernetzen sich abseits des Tagesgeschäfts beim alljährlichen Bürgermeisterinnentreffen, in diesem Jahr findet es seit Sonntag in Pörtschach statt und dauert noch bis Dienstag. Es sei "ein kräftiges Zeichen für mehr Frauen in der Kommunalpolitik", ist auf der Website des Gemeindebunds zu lesen, angekündigt ist unter anderem Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP). Frauen müssten auch zum Engagement ermutigt werden – in der Bürgermeister:innen-Studie geben sie wesentlich häufiger an, zur Kandidatur überredet worden zu sein.

Nicht immer sei das Klima in der Kommunalpolitik rau, erinnert sich Monika Wechselberger. Von ihren Bürgermeisterkollegen etwa sei sie immer respektvoll behandelt worden. Nur eine unvoreingenommene Sicht auf Frauen im Amt, das würden sie im Gegensatz zu den Männern nicht erleben. "Diese Strukturen bestehen schon so lange. Es wird einfach noch dauern", sagt Wechselberger. (Brigitte Theißl, 4.7.2022)