Das Start-up Bee-io meidet den Stachel, will aber trotzdem den Honig ernten und setzt stattdessen auf Technologie.

Foto: Bienenzentrum Wien

Greifen Sie bitte bloß nichts an – alles muss steril bleiben", sagt Ofir Dvash, während er durch das Labor seines Start-ups Bee-io in Rechovot südlich von Tel Aviv führt. Die Forscherinnen machen gerade Mittagspause.

Ihre weißen Labormäntel hängen neben der Eingangstür, Pipetten und Kanülen stecken in ihren Behältern, daneben Einweghandschuhe. Zu hören ist nichts außer dem Schleudern einer Flüssigkeit im Bioreaktor.

Dieser Ort könnte nicht weiter entfernt sein von blühenden Blumenwiesen, surrenden Bienen oder mit Honig umhüllten Waben. Trotzdem verwandelt Dvash hier Nektar zu Honig.

Das fertige Produkt sei nahezu identisch mit dem Bienenprodukt, obwohl es nie mit den Insekten in Berührung gekommen ist. "Sie werden es schmecken", sagt der CEO und verspricht, nach dem Rundgang Honigproben in den Varianten Eukalyptus, Kamille, Kaffee und Lavendel zu servieren.

Gesunder Honig

Welche Technologie Bee-io dafür entwickelt hat, darüber will sich der Unternehmer nicht konkret äußern. Nur so viel: Man sei in der Lage, Nektar mit Enzymen, die normalerweise im Honigmagen der Biene entstehen, im Bioreaktor zu produzieren und zu Honig zu verarbeiten.

In der Natur sammeln Honigbienen Pflanzensäfte wie Nektar oder Honigtau, der aus zuckerhaltigen Ausscheidungsprodukten von Pflanzenläusen besteht, erklärt Biologe Karl Crailsheim.

Die Bienen transportieren diese Pflanzensäfte im Honigmagen, wo sie mit Enzymen angereichert werden, zurück zum Bienenstock. Dort angekommen, würgen die Sammlerinnen den Nektar wieder hoch und übergeben ihn den Bienen im Stock, die ihn in den Waben ablegen.

Damit daraus nun Honig wird, müssen dem Nektar bis zu zwei Drittel Wasser entzogen werden. Dafür schlagen die Bienen etwa heftig mit den Flügeln, um einen Luftstrom zu erzeugen, oder tragen den Nektar von einer Zelle in die nächste. Je nachdem, wie dickflüssig der Nektar bereits beim Einsammeln ist, dauert dieser Prozess einen oder mehrere Tage, weiß Crailsheim.

Die Kombination aus Nektar, Enzymen und anderen Insektensekreten, die die Bienen während des Sammelns und Verarbeitens produzieren, gilt als gesund. Honig hat tatsächlich eine antibiotische Wirkung, sagt Crailsheim.

Diese komme allerdings eher bei äußerer Anwendung, etwa des Manuka-Honigs auf Brandwunden, zum Tragen. "Dabei spielen Enzyme und der hohe Zuckergehalt eine große Rolle."

Honig von der Biene trennen

Daher habe die Entwicklung der Enzyme bei Bee-io auch eine besonders wichtige Rolle gespielt, sagt Dvash. In Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA sowie dem Weizmann-Institut in Israel hätten sie mittlerweile sieben Patente beim amerikanischen Patentamt eingereicht.

Darunter etwa Technologien zur Produktion von Nektar, kultiviertem Honig und kultiviertem Gelée royale – einem Sekret, das als Hauptnahrung der Bienenkönigin gilt und die Arbeiterbienen in ihren Drüsen bilden.

Die Bee-io-Technologie sei in der Lage, Honig speziell zugeschnitten aus einer einzigen Pflanze zu kultivieren, sagt Dvash.

Honig setzt sich unter anderem aus Nektar und Enzymen aus dem Honigmagen zusammen.
Foto: imago images/Action Pictures

Und doch stellt sich die Frage, wozu der Aufwand überhaupt nötig ist. Honigbienen haben ein gut funktionierendes, wenngleich komplexes System erarbeitet, um Honig zu erzeugen. Warum es also ändern und technologisieren? Ofir Dvash hat wenig überraschend einige Gründe parat.

So könne man die guten Inhaltsstoffe des Honigs behalten und die schlechten eliminieren. Dvash nennt etwa Antibiotika, die Bienen bekommen würden, um gesund zu bleiben, oder Pestizide, die sich auf den Pflanzen rund um landwirtschaftliche Flächen befinden könnten. All das setze sich im Honig ab.

Dass Reststoffe von Pestiziden und Umweltgiften in Honig prinzipiell auftauchen können, bestätigt Lebensmitteltechnologe Henry Jäger zwar, dafür gebe es in der EU aber klare Grenzwerte und Richtlinien. Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) überprüft zudem regelmäßig Produkte am österreichischen Markt.

Überzüchtete Honigbiene

Wichtig ist die Technologie laut Dvash aber auch aufgrund der hohen Honignachfrage – weltweit werden aktuell rund 1,8 Millionen Tonnen Honig erzeugt. Während ein Volk je nach Region rund 35 Kilo Honig pro Jahr produzieren könne, schaffe Bee-io derzeit bis zu drei Tonnen pro Woche. Das würde die Bienenvölker entlasten, ist Dvash überzeugt.

Denn derzeit würden Honigbienen überzüchtet, was zur Folge habe, dass der Wildbienenbestand zurückgedrängt werde. Gleichzeitig seien Honigbienen bereits geschwächt und virusanfälliger. "In den USA sterben jedes Jahr bis zu 50 Prozent der Honigbienen nach der Ernte", sagt Dvash.

Dass die Zahl der Wintersterblichkeit in den USA unnatürlich hoch liegt, bestätigt auch Biologe Crailsheim. Dies liege aber nicht zwingend an der Überzüchtung, sondern könne viele, auch interagierende, Ursachen haben, wie etwa Krankheiten, Pestizide, unzureichende Ernährung oder extensive Bewirtschaftung. In Österreich liegt die Sterberate laut Crailsheim im Schnitt bei 25 Prozent.

Auch Dvashs Argument, dass die überzüchteten Honigbienen die Wildbienen, die zudem die besseren Bestäuber seien, zurückdrängen, will der Biologe nicht so stehenlassen. "In der Wissenschaft wird seit 20 Jahren darüber gestritten."

Die Tatsache, dass gewisse Arten ausgestorben sind, sei zwar wissenschaftlich verifizierbar, ob daran allerdings die Honigbiene als überzüchtetes Wesen schuld sei, sei schlicht nicht nachgewiesen.

Honig soll Honig bleiben

Dass der Bee-io-Honig in der EU jemals als Honig in den Regalen zum Verkauf steht, ist sehr unwahrscheinlich. "Honig ist nur dann Honig, wenn er von Bienen gemacht ist", sagt Crailsheim.

Abgesehen davon, will sich Dvash ohnehin klar von Bienenhonig abgrenzen und sich "nachhaltiger, gesünder, sauberer" platzieren. Daher arbeitet er momentan an einem geeigneten Namen und der Vermarktungsstrategie, die innerhalb eines Jahres in den USA anlaufen soll.

Ob das Start-up als Erster eine derartige Technologie verwendet, kann Lebensmitteltechnologe Jäger nicht verifizieren. Es gebe beispielsweise amerikanische Anbieter, die ebenfalls proklamieren, synthetischen und biosynthetischen Honig herzustellen.

Prinzipiell plädiert er aber dafür, Honig von Bienen machen zu lassen und in Maßen, dafür qualitativ hochwertige Produkte zu konsumieren, die bestenfalls aus Österreich oder der EU kommen.

Und der Geschmack des Bee-io-Honigs? Süß, aber je nach Variante zu viel Lavendel oder Kamille – schlicht, kein Honigschlecken. (Julia Beirer, 4.7.2022)