Ex-ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz wechselte den Sender und war bei Servus TV zu Gast.

Foto: ServusTV/Manuel Seeger

Wien – Politikwissenschafterin Ulrike Guérot ist zwar omnipräsent im deutschsprachigen Fernsehen, aber nicht immer nach ihrem Geschmack. "In dieser Sendung war es fast unmöglich, ein Argument zu machen. Es wurde immer mit moralischem Druck operiert", sagte die deutsche Universitätsprofessorin in Bonn am Donnerstagabend auf Servus TV bei "Talk im Hangar-7".

Druck

Gemeint ist ihr Auftritt Anfang Juni im ZDF bei Markus Lanz, als sie nichts anderes machen wollte, als den "Krieg zu kontextualisieren", sagte sie, und dafür einen Shitstorm erntete, der sogar in einem Protestbrief des Studierendenparlaments der Universität Bonn resultierte. Es gebe nicht nur den einen Krieg, sondern vier, wollte Guérot bei Lanz erklären: den Informationskrieg, einen ukrainischen Bürgerkrieg, der schon seit acht Jahren tobe, den russischen Angriffskrieg und einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und Amerika. Sie wollte zu Friedensverhandlungen aufrufen. Und Moderator Michael Fleischhacker pflichtete ihr standesgemäß bei: "Es war eine moralische Veranstaltung, in der Sie unter Druck gesetzt wurden."

Moral

Eine moralische Veranstaltung war auch das Servus-TV-Diskussionsformat "Talk im Hangar-7" mit dem richtungsweisenden Titel "Ende der Debatte: Moralkeule statt Meinungsfreiheit?". Mit von der Partie waren neben dem Psychoneuroimmunologen Christian Schubert, der sich auch als Opfer der Moralkeule sieht, Andreas Bergthaler, Virologe und Mitglied der Gecko-Kommission, sowie Alexander Wrabetz. Der im August 2021 abgewählte ORF-Generaldirektor begab sich also auf schwieriges Terrain und musste gleich erklären, wieso denn der ORF nicht häufiger Wissenschafterinnen und Wissenschafter eingeladen habe, die gegen den Corona-Mainstream schwimmen.

Pluralismus

Es habe eine große Vielzahl an Expertinnen und Experten gegeben, verteidigte sich Wrabetz: "Es ist nicht so, dass wir nur eine Meinung zu Wort kommen ließen." Ulrike Guérot etwa war bei "Im Zentrum" zu Gast. Wrabetz generell über die Einladungspolitik: "Wie geht man da als Medium vor? Sagt man, man macht paritätisch zu jeder Meinung immer die absolute Gegenposition? Oder sagt man, es gibt eine breite Tendenz in der Wissenschaft, und bringt die dann übergewichtet, ohne jedes Mal ein Argument von einer Corona-kritischen Position zu bringen?"

Feigenblatt

Die ORF-Einladungen habe Guérot zwar sehr geschätzt habe, ganz zufrieden war sie aber nicht, denn: Sie habe sich als "Feigenblatt" gefühlt, das die Gegenseite symbolisieren solle und das angesichts der Übermacht am anderen Ende des Meinungsspektrums nicht ernst genommen wurde. "Man hat einen Meinungskorridor abgesteckt." Und: "Es gab Leitplanken, hinter die man nicht gehen durfte", sagte Guérot. Und was die sogenannten "Querdenker", deren Thron sie mit ihren Aussagen erklommen hatte, gesagt hätten, würde sich jetzt als "empirische Wahrheit" erhärten.

Die Angriffe seien aber auch von der anderen Seite gekommen, und zwar genauso heftig, sagte Alexander Wrabetz: "Umgekehrt war jeder, der Maßnahmen vertreten hat, ein Söldner von Bill Gates oder Teil einer Verschwörungstheorie."

Vermischung

Wir seien "so vernetzt wie noch nie und gleichzeitig so getrennt wie noch nie", sagte Bergthaler. "Jedes Medium hat seine eigene Position gefunden. Das Publikum vermischt sich nicht." Eine Vermischung des Publikums wünscht sich auch der Psychoneuroimmunologe Christian Schubert. Und zwar in eigener Sache: "Ich war in Servus TV, nicht im ORF, wo 70 Prozent zusehen. Ich fühle mich als Wissenschafter ohnmächtig, das werfe ich Ihnen vor", sagt er in Richtung Bergthaler und Wrabetz. Schubert gehört zu den Maßnahmengegnern der ersten Stunde. Der ORF habe "Beziehungsgift gestreut", an deren Folgen die Gesellschaft noch lange laborieren werde.

Angst

"Dass Medien Panik verbreitet haben, kann man als Faktum sehen. Vielleicht auch in bester Absicht, um Angst zu erzeugen", sagte Moderator Fleischhacker. Der Begriff Panik suggeriere, "dass etwas aufgebauscht wurde", konterte Virologe Andreas Bergthaler. Es sei von einer PCR-Pandemie und ähnlichem "Stumpfsinn" die Rede gewesen. "Das ist so weit weg von der Realität." Die Angst mache nicht der ORF, sondern die Pandemie. Was sich Bergthaler auch von den Medien wünscht, ist, mehr Diskurs zu ermöglichen: "Es braucht Foren, wo sich die Gegner treffen." (omark, 1.7.2022)