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Viele Jugendliche wissen nicht, mit wem sie über ihre Probleme reden können. Darum fordern Fachleute, psychologische Hilfe vor allem im niederschwelligen Bereich auszubauen.

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WHO und Unicef schlugen in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Alarm. Und es ist Dauerthema in den Medien: Die Anzahl der Jugendlichen, die mit psychischen Problemen kämpfen, steigt seit zwei Jahren permanent an. Vor allem Depressionen haben seit Beginn der Pandemie deutlich zugenommen. Doch was steckt da genau dahinter? Sind wirklich alle depressiv? Oder wird hier zu stark verallgemeinert?

Tatsächlich ist die Entwicklung nicht verwunderlich. "Depressionen sind im Jugendalter kein seltenes Geschehen. Man geht davon aus, dass bereits vor Corona ungefähr 20 Prozent der Jugendlichen bis 18 Jahre zumindest einmal an einer behandlungsbedürftigen depressiven Episode erkrankten", erklärt Kinder- und Jugendpsychiater Paul Plener vom AKH Wien.

Und dann kam die Pandemie. Die hat dazu geführt, dass sich diese 20 Prozent deutlich erhöht haben. Nach dem ersten Lockdown gaben 55 Prozent aller Jugendlichen in einer Befragung der Donau-Uni Krems an, eine mittelgradige depressive Symptomatik aufzuweisen. Plener weiß: "Die Zunahme der Depressionen und Angststörungen ist in allen Altersgruppen sehr ausgeprägt – besonders aber bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen."

Vor allem junge Frauen betroffen

Warum ist das so? Vermutlich haben die Einschränkungen viele Jugendliche am härtesten getroffen. Wichtige Pläne und Träume, wie Auslandssemester, Maturafeier oder der Auszug aus dem Elternhaus, mussten verschoben oder sogar komplett abgesagt werden. Und vor allem: Darüber zu reden, sich zusammenzusetzen und auszutauschen war fast unmöglich. Soziale Kontakte waren ja minimiert.

Was dabei besonders auffällt: Es sind vor allem junge Frauen, die angeben, immer noch psychische Probleme zu haben. Laut einer aktuellen Jugendstudie des Instituts für Jugendkulturforschung zum Thema "Generation Corona und die Arbeitswelt von morgen" stecken 28 Prozent von ihnen in einem Motivationsloch. Bei den jungen Männern waren es 22 Prozent. Besonders bei Stimmungsschwankungen zeigt sich der Gap zwischen den Geschlechtern: 26 Prozent der weiblichen Jugendlichen gaben an, darunter zu leiden, doch nur 13 Prozent der jungen Männer.

Woran das liegen kann, ergründet Jugendforscherin und Studienleiterin Beate Großegger: "Junge Frauen haben sich in den Lockdowns stärker belastet gefühlt, weil sie in ihr familiäres Umfeld intensiver eingebunden waren und auch immer noch sind. Wenn Sie noch zu Hause wohnen, war es ganz klar, dass sie auf die kleineren Geschwister aufpassen und auch im Haushalt mithelfen." Viele hatten das Gefühl, mit niemandem über ihre Probleme und Sorgen reden zu können, denn: "Jede fünfte junge Frau fühlte sich während der Pandemie alleingelassen", weiß Großegger.

Generation Dauerkrise?

Aber da ist nicht nur die Pandemie – neue und alte Krisen, der Klimawandel etwa, der Krieg in der Ukraine oder die Inflation, lassen viele Jugendliche nicht zur Ruhe kommen. Einige berichten von Ängsten und sogar Angststörungen. Diese Ängste sind auch durchaus real. Viele Jugendliche können sie einordnen und darüber reden.

Dann gibt es aber auch jene jungen Menschen, die das nicht schaffen. Die Ängste werden dann immer größer, bis es schließlich zu einer diagnostizierbaren Störung kommt: "Wenn wir über Angsterkrankungen reden, dann sprechen wir über Ängste, die zwar oft einen realen Hintergrund haben, aber in ihrer Ausformung übersteigert sind und dann zu einer Funktionsbeeinträchtigung führen", erklärt Jugendpsychiater Plener. Ein Beispiel: Die Sorge um das Klima teilen viele. Eine psychische Erkrankung wird es jedoch erst, "sobald man die Ebene des Handelns verlässt, sich seinem Schicksal hingibt und es zu Funktionsbeeinträchtigung und Leiden kommt."

Und dann gibt es noch das Thema Freiheit. Der Volkswirt und Jugendforscher Simon Schnetzer weiß: "Freiheit zusammen mit Gesundheit gehören zu den wichtigsten Werten junger Menschen." Diese Freiheit war jedoch sehr lange Zeit eingeschränkt, durch Homeschooling, Ausgangsbeschränkungen oder Social Distancing. Dazu kamen Sorgen um die Gesundheit – um die eigene, aber auch um die der Familienangehörigen.

Hinterfragt man die Situation der Generation Z – also der Jugendlichen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind – genauer, sieht man, dass sie mit vielen Krisen gleichzeitig zu kämpfen haben. Laut Schnetzer ist ihre Jugend vor allem durch "Angst vor Wohlstandsverlust und Dauerkrisen geprägt". Und zwar anders, als es bei der Generation Y (1980–1994) der Fall war. Bei dieser Generation standen noch "Wohlstand, 'Mach, was dich glücklich macht' und Freiheit ganz oben", erklärt der Jugendforscher. Und er weiß: "Die Generation Y hatte ebenfalls ihre Krisen, aber diese sind auch wieder vergangen. Die Generation Z hingegen erlebt gerade mehrere Krisen gleichzeitig."

Viel kreatives Potenzial

Wie lange die Auswirkungen der Pandemie viele Jugendliche noch begleiten werden, ist unklar. Auch wenn es derzeit keine Lockdowns oder Social Distancing gibt, tun sich viele schwer, ein Leben wie vor Corona zu führen. Auch weil vieles für sie komplett neu ist. Die Jugendforscherin Beate Großegger beobachtete während Ihrer Arbeit an der Universität etwa, "wie schwer sich einige neue Studenten dabei tun, in einer Gruppe zu arbeiten. Sie haben es während zwei Jahren Pandemie schlichtweg verlernt." Ein ganzes Semester habe es schließlich gedauert, bis Teamarbeit wieder möglich war, und "jetzt macht es ihnen auch wieder Spaß".

Trotz aller Schwierigkeiten sieht Großegger im dritten Jahr der Pandemie aber einen durchaus positiven Trend bei der Stimmungslage vieler Jugendlicher. Sie wollen nichts davon hören, dass sie die Generation Dauerkrise seien. In ihrer Jugendstudie fragte sie auch nach dem eigenen Lebensmotto. Die Antworten darauf: positiv denken, durchhalten, Augen zu und durch oder aufstehen, Krone richten und weitergehen. Für Großegger war besonders spannend: "Trotz all der Unsicherheiten sind die jungen Menschen nicht wehleidig. Viele sind sehr fokussiert darauf, dass sie es schaffen werden, und lassen sich ihre Zukunft nicht schlechtreden."

Darum sollte auch keinesfalls von "der Jugend" gesprochen werden. Es gibt große Unterschiede, wie Jugendliche mit Krisen umgehen können. Viele schaffen es auch, aus den herausfordernden Situationen Kraft und Ideen zu schöpfen.

Der Kinder- und Jugendpsychiater Paul Plener sieht diese Entwicklung ebenfalls und erklärt sie so: "Jugendliche können aus einem großen kreativen Potenzial schöpfen, das bei ihnen wesentlich stärker ausgeprägt ist als bei Erwachsenen. Sie sind im Denken und Handeln noch viel flexibler als ältere Generationen." Dieses kreative Potenzial zeige sich etwa an Jugendbewegungen wie Fridays for Future oder auch dem Mental Health Jungendvolksbegehren.

Psychologische Hilfen ausbauen

Neben den Jugendlichen, die es geschafft haben, Kraft zu schöpfen, gibt es jedoch immer noch einen beträchtlichen Teil, der psychologische Hilfe benötigt. Plener betont: "Wir wissen nicht, wie sich eine Pandemie langfristig auf die Psyche auswirkt. Bei der letzten Pandemie, der Spanischen Grippe, gab es keine psychosoziale Begleitforschung." Niemand weiß außerdem, wann die Pandemie für beendet erklärt werden kann, darum komme im Moment auch die "Angst davor, wie es weitergeht, dazu", erklärt der Psychiater.

Darum plädiert er dringend dafür, dass "der Präventionsbereich und auch die psychologische Betreuung für Kinder und Jugendliche unbedingt ausgebaut werden müssen beziehungsweise überhaupt erst einmal eingerichtet werden, vor allem im niederschwelligen Bereich". Als Gesellschaft müsse man ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass "wir gerade in relativ turbulenten Zeiten leben und dass auch nach Ende der Pandemie immer noch Nachwirkungen zu spüren sein werden". (Jasmin Altrock, 18.7.2022)