Freundlicher, aber verregneter Empfang in Litomyšl: Tschechiens Premier Petr Fiala und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

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Eine EU-Flagge neben dem Böhmischen Löwen aus Metall: Im Prager Stadtzentrum wurde die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft am Donnerstagabend mit einem Umzug gefeiert.

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Prag ist zum zweiten Mal neben Brüssel inoffizielle "Hauptstadt" der Europäischen Union. Am Freitag hat Tschechien von Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft übernommen, für die nächsten sechs Monate ist das Land federführend für die gemeinsamen Themensetzungen und die Koordination unter den Mitgliedsstaaten verantwortlich.

Bereits am Donnerstag war EU-Ratspräsident Charles Michel zur symbolischen Staffelübergabe nach Prag gereist. Am Abend wurde mit einem Umzug im Prager Stadtzentrum gefeiert. Am Freitagmittag kamen dann im ostböhmischen Litomyšl, der Geburtsstadt des Komponisten Bedřich Smetana, Vertreterinnen und Vertreter der Europäischen Kommission, darunter deren Präsidentin Ursula von der Leyen, mit der tschechischen Regierung zusammen.

Zentrales Thema Energie

Das Treffen galt als eigentlicher Auftakt der Ratspräsidentschaft. Auf der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz am späten Nachmittag beschworen von der Leyen und der tschechische Premierminister Petr Fiala einmal mehr die Einigkeit unter den EU-27. Als vordringliches Thema sehen beide die europäische Energiesicherheit, die infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Drosselungen russischer Gaslieferungen nach Europa bedroht scheint.

"Die hohen Energiepreise ersticken unsere Wirtschaft und bereiten Bürgern und Haushalten Probleme", erklärte Fiala. "Und die Energiepolitik ist geradezu ein Paradebeispiel für jene Bereiche, in denen die EU gemeinsam und koordiniert vorgehen muss. Nur dann haben wir eine Chance, die Krise rasch zu bewältigen." Von der Leyen nannte in diesem Zusammenhang drei Ansatzpunkte: eine Diversifizierung der Quellen, eine Drosselung der Nachfrage – sprich Energiesparen – und Investitionen in die Nutzung erneuerbarer Energien.

Dabei erinnerte sie an die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie: Auch da sei die Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten anfangs schwierig gewesen, mit der Zeit habe man sich aber immer besser koordiniert und mit einer Stimme gesprochen. "Nun bereiten wir gemeinsam mit der tschechischen Ratspräsidentschaft einen Notfallplan für Europa vor", sagte von der Leyen. Dabei komme es vor allem auf zwei Dinge an: Erstens müsse man eine Vorstellung davon haben, auf welche Art man den Energieverbrauch einschränken kann, falls es nötig wird. Und zweitens brauche man Solidarität untereinander – "einen Plan, Energie und Gas dorthin zu leiten, wo sie gebraucht werden".

Nichtmitglieder im Fokus

Auch der neue Kandidatenstatus für die Ukraine und die Republik Moldau, der beiden Ländern beim letzten Brüsseler Gipfel – noch unter französischem Vorsitz – zuerkannt worden war, war Thema der Gespräche. Bereits nach dem Treffen mit Charles Michel am Donnerstag hatte Fiala für 6. und 7. Oktober einen informellen Gipfel in der tschechischen Hauptstadt angekündigt, bei dem es vor allem um die Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Ländern gehen soll.

All das kommt freilich nicht überraschend: Der Krieg prägt ohnedies die Prioritäten, die die tschechische Ratspräsidentschaft unter dem Motto "Europa als Aufgabe" sich selbst gesetzt hat: Die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise gehört da ebenso dazu wie die Planung der gemeinsamen Unterstützung beim künftigen Wiederaufbau der Ukraine. Politische und militärische Unterstützung Kiews sei "im vitalen Interesse der EU, um die Sicherheit in Europa zu gewährleisten", heißt es im offiziellen Programm des Vorsitzes. Weitere Punkte sind neben der bereits genannten Energiesicherheit die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, Cybersicherheit, wirtschaftliche Resilienz sowie die Stärkung demokratischer Institutionen.

Karl Schwarzenberg für EU-Reform

Der ehemalige tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg forderte am Donnerstagabend im Gespräch mit dem STANDARD dazu auf, gegenüber Russland weiterhin Courage zu zeigen. Die Regierung in Prag solle sich während der Ratspräsidentschaft dafür einsetzen, "die europäische Solidarität mit der Ukraine aufrechtzuerhalten". Stimmen, die von einem möglichen Kompromiss zwischen Moskau und Kiew reden, weist Schwarzenberg zurück: "Manche sagen: 'Schneiden wir ein Stück von der Ukraine ab, und wir werden Ruhe haben.' Das ist erstens unmoralisch und zweitens falsch. Die Russen haben schon vorher Stücke abgeschnitten – und sind immer weiter gegangen."

Schwarzenberg plädierte auch dafür, notwendige Reformen der Europäischen Union rasch umzusetzen – darunter den Wegfall der Einstimmigkeit in außenpolitischen Fragen: "Es ist lächerlich, dass Brüssel entscheidet, ob ein geräucherter Schafkäse unter dem slowakischen oder dem polnischen Namen eingeführt wird, während die wesentlichen Aufgaben der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik immer noch bei den Mitgliedsstaaten liegen." Gerade der Konflikt in der Ukraine habe das einmal mehr unter Beweis gestellt, glaubt Schwarzenberg: "Wir sollten hier endlich die Eitelkeiten beiseitelassen."

2009 soll sich nicht wiederholen

Seinen ersten Ratsvorsitz hatte Tschechien im Jahr 2009 inne. Im Land selbst erinnern sich die meisten daran nicht so gerne: Während der laufenden Präsidentschaft war damals die konservative Regierung – mit Schwarzenberg als Außenminister – im Parlament über einen Misstrauensantrag gestürzt. Viele sehen darin bis heute eine internationale Blamage.

Trotz aktueller innenpolitischer Spannungen gilt eine Wiederholung eines solchen Szenarios aber als nicht sehr wahrscheinlich: Zwar belastet derzeit eine Korruptionsaffäre rund um die Prager Verkehrsbetriebe das Klima, zudem stehen dem Land eine Kommunal- und eine Teilsenatswahl im September sowie die Kampagne vor der Präsidentschaftswahl im Jänner 2023 bevor.

Dennoch regiert das rechtsliberale Fünf-Parteien-Kabinett von Premier Petr Fiala mit einer für tschechische Verhältnisse relativ bequemen Mehrheit von 108 der insgesamt 200 Mandate. Und nicht nur wegen der dramatischen weltpolitischen Umstände eint die Regierungsparteien derzeit der feste Wunsch, die EU-Präsidentschaft reibungslos und als verlässlicher Player im europäischen Konzert über die Bühne zu bringen. (Gerald Schubert aus Prag, 1.7.2022)