Bild nicht mehr verfügbar.

Vor der Abreise sollten Eltern mit ihrem Kind in Ruhe über die bevorstehende Zeit im Ferienlager sprechen.

Foto: Getty Images / wundervisuals

"Bitte Mama, diesen Fetzen nehme ich sicher nicht mit!", sagt Laura* und legt das rote Shirt mit Herzaufdruck wieder in die Schublade. Die 13-Jährige rollt genervt mit den Augen, ihre Mutter seufzt. Laura fährt wie jedes Jahr im Sommer in ein Feriencamp in Österreich. Zwei Wochen lang Abenteuer, eine ideale Zeit, um Spannendes zu erleben, sich aus der eigenen Komfortzone hinauszuwagen, segeln zu lernen, am Lagerfeuer zu schmusen und eine neue beste Freundin zu treffen. Laura freut sich extrem darauf.

Ihre Mama Eva* hingegen hat ein mulmiges Gefühl. Erstmals wird ihre Tochter auch in dem Camp übernachten. Das allein wäre schon Grund genug, um als Elternteil nervös zu sein, findet Eva. Nun kommt allerdings noch ein weiterer Faktor hinzu, der ihr Bauchschmerzen bereitet: Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass ein verurteilter Sexualstraftäter Feriencamps für Kinder anbot. Der Mann hat seine Strafe abgebüßt, doch die Verunsicherung in Elterngruppen auf Facebook ist nun groß. "Man kann einfach in niemanden hineinschauen, die Gefahr ist immer da."

Offenes Gesprächsklima schaffen

Die klinische Psychologin und Familientherapeutin Natalie Maiwald hat in den vergangenen Wochen vermehrt Eltern beraten, die sich in einer Zwickmühle befinden: "Einige wollten ihr Kind lieber vom Sommercamp abmelden, weil Männer als Betreuer dabei sind. Andererseits haben sie keine Möglichkeit, die Ferien anders zu überbrücken."

Die Familientherapeutin weiß aus Erfahrung, dass es nach Berichterstattung über Missbrauch oft zu einer Art Generalverdacht gegenüber Männern kommen kann. Das betreffe dann sämtliche pädagogischen Bereiche: Kindergarten, Hort, Schule, Kletterkurs, Gitarrenunterricht. Mütter und Väter seien dann "alert", sie fragen sich: "Wem kann ich mein Kind noch anvertrauen?" Gleichzeitig sind männliche Bezugspersonen den meisten Eltern enorm wichtig.

Schutz bietet ein offenes Gesprächsklima zu Hause, ein Rahmen, in dem ohne Scham über sexuellen Missbrauch gesprochen wird. "Kinder sollten sehr früh lernen, dass ihr Körper ihnen gehört und ein klares Nein immer gesagt werden darf", sagt Maiwald, die betont, dass auch schon Umarmungen als übergriffig empfunden werden können.

Vertrauensperson vor Ort

Martina Wolf, Geschäftsführerin der österreichischen Kinderschutzzentren, sagt ebenfalls, dass ein Generalverdacht nicht weiterhelfe. Außerdem seien auch Frauen mögliche Täterinnen. Wichtig ist der Expertin zufolge, Kindern zu erklären, zu wem sie gehen können, wenn etwas vorgefallen ist oder sie sich unwohl fühlen. Bei seriösen Anbietern gebe es eine Vertrauensperson vor Ort, an die sich die Kinder wenden können – und zwar nicht nur bei Missbrauch, sondern auch bei Problemen mit anderen Kindern, wie etwa bei Mobbing.

Wolf rät Eltern außerdem, beim Campbetreiber nachzufragen, wie die Kinder sie telefonisch erreichen können. In einigen Camps ist es üblich, dass tagsüber keine Smartphones benutzt werden dürfen. "Dann braucht es Zeiten, wo sie zu Hause anrufen und sich besprechen können." Vor der Abfahrt sollten Eltern dem Kind signalisieren, "dass sie immer ein offenes Ohr haben". Wenn sich ein Kind tatsächlich meldet, gelte es, seine Sorgen ernst zu nehmen, empathisch nachzufragen und es im Notfall auch von dem Camp abzuholen.

Damit Eltern mehr Sicherheit haben, dass ihr Kind auch in guten Händen ist, verlangen Kinderschutzorganisationen eine unabhängige Stelle, die Anbieter überprüft. Ebenfalls eine Forderung ist ein bundesweites Kinderschutzgesetz, also "Qualitätskriterien, die jemand erfüllen muss, um mit Kindern zu arbeiten", erklärt Wolf.

Selbst auferlegte Regeln

Viele Anbieter haben sich solche Regeln selbst auferlegt. Darunter die Kinderfreunde, die auch diesen Sommer wieder Camps in ganz Österreich für mehr als 4000 Kinder veranstalten. Hier müssen beispielsweise alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bewerbung einen Strafregisterauszug vorlegen. "Das gilt nicht nur für Pädagoginnen und Pädagogen, sondern für alle, die im Kontakt mit Kindern sind, also auch für Köchinnen oder Hausmeister", sagt Andreas Loinig von den Kinderfreunden Steiermark. Das bringe aber auch nur eine "gewisse Sicherheit", denn: Getilgte Strafen, so auch Sexualstraftaten, werden nach einer bestimmten Zeit gelöscht.

Zudem haben die Kinderfreunde ein Kinderschutzkonzept, das etwa vorschreibt, was Mitarbeiter bei einem Verdacht auf Missbrauch zu tun haben. Vor der Abreise werden die Betreuerinnen und Betreuer geschult, wie sie sich gegenüber den Kindern verhalten sollen. "Wie gehe ich zum Beispiel damit um, wenn ein Kind traurig ist und getröstet werden will? Wir haben die Regel, dass das nur in der Öffentlichkeit geschehen darf." Andere Regeln sind, dass Erwachsene nie allein mit Kindern in einem geschlossenen Raum sein dürfen oder vor dem Eintreten anklopfen müssen.

In den Camps würden auch nur Leitungen eingesetzt, "die uns lange bekannt sind und zu denen wir Vertrauen haben", sagt Loinig. Die Betreuerinnen und Betreuer seien immer mindestens zu zweit, "selbst wenn nur sechs Kinder im Camp sind". Die Maßnahmen seien schließlich "auch zum Schutz der Mitarbeiter da, damit sie nicht zu Unrecht verdächtigt und beschuldigt werden".

Loinig nimmt wahr, dass die Sensibilität beim Thema Kinderschutz steige, sowohl bei den Organisationen als auch bei den Familien. "Immer mehr Eltern rufen an, um nachzufragen, was wir in dem Bereich tun."

Auch kleinere Anbieter verlangen teilweise Leumundszeugnisse und formulieren Kinderschutzkonzepte, wie DER STANDARD auf Nachfrage erfuhr. "Wir prüfen, so gut es geht", sagt Barbara Steurer, die mit Edutain Camps für Kinder zwischen sechs und 14 Jahren veranstaltet.

Gespräch vor der Abreise

Vor der Abreise sollten Eltern mit ihrem Kind in Ruhe über die bevorstehende Zeit im Ferienlager sprechen: Welche Erwartungen hat es? Gibt es etwas, das Sorgen bereitet? "Übertragen Sie Ihre eigenen Ängste nicht auf das Kind", sagt Familientherapeutin Maiwald. Es gehe darum, vorsichtig zu sein, und nicht ängstlich. "Kommunizieren Sie sachlich. Genau auf die Art und Weise, wie Sie dem Kind erklären, dass es vor dem Überqueren der Straße nach links und rechts schauen muss."

Martina Wolf regt auch noch dazu an, die Gefahr eines Missbrauchs auf Camps nicht zu überschätzen: "Wir neigen manchmal dazu, Fremde eher zu verdächtigen", sagt Wolf und erinnert daran, dass die meisten Fälle von Missbrauch innerhalb der Familie stattfinden. (Lisa Breit, Nadja Kupsa, 2.7.2022)