Am Freitag trafen Raketen ein Wohnhaus in Odessa, 21 Menschen wurden getötet.

Foto: Reuters/STATE EMERGENCY SERVICE OF UKRAINE

Kiew – Die südukrainische Stadt Mykolajiw wurde am Samstag schweren Explosionen erschüttert. Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, das russische Militär habe fünf Militärkommandoposten in der Region Mykolajiw und im Donbass mit Hochpräzisionswaffen zerstört. Auch drei Lagereinrichtungen in der südlichen Region Saporischschja seien getroffen worden, ebenso wie eine Waffen- und Ausrüstungsbasis in einer Traktorfabrik im nordöstlichen Charkiw. Die Angaben beider Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Am Freitag waren in der Nähe der etwa 130 Kilometer entfernten Stadt Odessa nach ukrainischen Angaben bei russischen Raketeneinschlägen mindestens 21 Menschen getötet worden. Unter anderem wurde den Angaben zufolge ein Wohngebäude getroffen. Mykolajiw ist für den Schutz der letzten in ukrainischer Hand verbliebenen Schwarzmeerstadt von großer Bedeutung. In der an die Halbinsel Krim angrenzenden Region Cherson konnten sich die Invasoren nach Kriegsbeginn etablieren, doch waren den Verteidigern in den vergangenen Wochen vereinzelt Gebietsgewinne gelungen.

Russland: Waffenlager zerstört

Das Verteidigungsministerium in Moskau behauptete, bei Luftangriffen in der Ostukraine seien mehrere ukrainische Waffenlager zerstört worden. Der ukrainische Generalstab in Kiew berichtete, in der Umgebung von Charkiw – der zweitgrößten Stadt des Landes – versuche die russische Armee, mit Unterstützung der Artillerie verlorene Positionen zurückzuerobern. Die Angaben aus den Kampfgebieten lassen sich kaum prüfen.

Die pro-russischen Kämpfer in der Ukraine haben nach eigenen Angaben die umkämpfte Stadt Lyssytschansk im Osten des Landes vollständig umzingelt. Zusammen mit russischen Truppen seien "heute die letzten strategischen Hügel" erobert worden, sagte ein Vertreter der Separatisten am Samstag der russischen Nachrichtenagentur Tass. "Damit können wir vermelden, dass Lyssytschansk vollständig eingekreist ist." Später hieß es dann, dass die Separatisten auch das Gebäude der Stadtverwaltung unter ihre Kontrolle gebracht hätten.

Die ukrainische Armee bestritt eine vollständige Umzingelung von Lyssytschansk zurück. Es gebe zwar heftige Kämpfe um die in der Region Luhansk gelegene Stadt, sagte ein ukrainischer Armeesprecher am Samstag im Fernsehen. Lyssytschansk sei "aber nicht eingekesselt und weiter unter Kontrolle der ukrainischen Armee".

Russischer Luftangriff auf die kürzlich geräumte Schlangeninsel.

Die Ukraine beschuldigte Russland auch, über der inzwischen geräumten Schlangeninsel im Schwarzen Meer Phosphorbomben abgeworfen zu haben. Solche Bomben, die schwere Verbrennungen und Vergiftungen verursachen können, sind nicht explizit verboten. Allerdings ist ihr Einsatz gegen Zivilisten und in städtischen Gebieten geächtet. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow, ging auf keinen der Vorwürfe ein. Russland hatte die strategisch wichtige Insel, die es zu Beginn des Kriegs erobert hatte, diese Woche wieder geräumt.

Russlands neue Taktik

Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak sprach von einer veränderten Kriegsführung der russischen Armee. "Es ist eine neue Taktik Russlands: Wohnviertel zu attackieren und Druck auf westliche politische Eliten auszuüben, um die Ukraine zu zwingen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen." Moskau nehme keine Rücksicht darauf, wie die Welt auf "unmenschliche Angriffe" mit Marschflugkörpern auf Wohnviertel reagiere. Diese Taktik werde aber nicht aufgehen, sagte der Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Nach britischer Einschätzung setzt Russland in der Ukraine zunehmend auf ungenaue Raketen. Grund sei wohl, dass die Vorräte an modernen, zielgenauen Waffen schwinden, so das Verteidigungsministerium in London. Auf Überwachungsaufnahmen sei zu sehen, dass ein Einkaufszentrum in der ostukrainischen Stadt Krementschuk sehr wahrscheinlich von einer Rakete des Typs Ch-32 getroffen worden sei. Dabei handle es sich um eine Weiterentwicklung der sowjetischen Rakete Ch-22, die aber noch immer nicht dafür optimiert sei, Bodenziele genau zu treffen. In Krementschuk wurden bei dem Angriff am Montag mindestens 20 Menschen getötet.

Großbritannien protestierte nach Berichten über die Gefangennahme zweier weiterer Briten im Osten der Ukraine gegen die Behandlung Kriegsgefangener durch Russland. "Wir verurteilen die Ausbeutung von Kriegsgefangenen und Zivilisten für politische Zwecke und haben dies gegenüber Russland angesprochen", erklärte das Außenministerium. (red, APA, 2.7,.022)