Die Stadt Sewerodonezk in der Nähe von Lyssytschansk hatte Russland schon vor einigen Wochen eingenommen – die Angriffe und die Kämpfe hinterließen eine Spur der Verwüstung.

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Aus der Sicht Moskaus ist der Westen schuld, dass es rund viereinhalb Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine keinen Frieden gibt. Der Westen verhindere Friedensverhandlungen und ziehe den Krieg so in die Länge, hieß es am Sonntag aus dem Kreml. "Jetzt ist der Moment, wo die westlichen Länder alles auf eine Fortsetzung des Krieges setzen", sagte der Kremlsprecher Dmitri Peskow. Der Westen erlaube den Ukrainern "weder an Frieden zu denken noch darüber zu reden oder ihn zu besprechen".

Für einen Frieden müsse die Ukraine die russischen Forderungen annehmen, sagte Peskow. Dazu gehört die Anerkennung der annektierten Halbinsel Krim als russisches Territorium und die Abtretung der bisherigen Oblaste Donezk und Luhansk. Weitere Kriegsziele des Kreml sind eine unspezifische "Entnazifizierung" der Ukraine und eine "Entmilitarisierung" sowie der Verzicht auf einen Beitritt zur Nato.

Von einer eigenen Bereitschaft zu Friedensverhandlungen ist der Aggressor Russland derzeit jedenfalls weit entfernt, die Kampfhandlungen werden laufend so intensiv wie brutal fortgesetzt.

Luhansk "befreit"

Ganz Luhansk sei "befreit" worden, berichtete Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu seinem Chef am Sonntag. Er habe Präsident Wladimir Putin darüber informiert, dass die russischen Truppen die ostukrainische Stadt Lyssytschansk erobert und damit die Kontrolle in der kompletten Oblast Luhansk übernommen hätten, berichteten russische Agenturen. Das Moskauer Ministerium behauptete, dass es der russischen Armee und den verbündeten Luhansker Separatisten gelungen sei, Lyssytschansk einzukesseln, dann in die Stadt einzudringen und den "umzingelten Feind vollständig zu besiegen".

Diese Darstellung wurde von der ukrainischen Regierung in Kiew umgehend zurückgewiesen. Die Stadt, die einst mehr als hunderttausend Einwohner hatte, stehe nicht unter vollständiger russischer Kontrolle, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Sonntag dem britischen Sender BBC. Die Situation sei seit einiger Zeit jedoch "sehr intensiv", russische Truppen griffen die Stadt permanent an. "Für Ukrainer hat der Wert menschlichen Lebens oberste Priorität", sagte der Sprecher. "Deshalb könnten wir uns manchmal aus gewissen Gebieten zurückziehen, um sie in der Zukunft zurückzuerobern."

Explosionen in Belgorod

Das Moskauer Verteidigungsministerium meldete auch Angriffe in Charkiw in der Ostukraine und auf einen Stützpunkt bei Mykolajiw im Süden des Landes.

Die Ukraine berichtete wiederum, sie habe in der von Russland besetzten Stadt Melitopol im Süden des Landes eine Militärbasis mit mehr als dreißig Treffern aus der Luft zerstört. Aus der russischen Stadt Belgorod wurden unterdessen erneut Explosionen gemeldet. Dem Gouverneur der gleichnamigen russischen Region, Wjatscheslaw Gladkow, zufolge starben dabei mindestens drei Menschen, vier weitere wurden verletzt. Mindestens elf Wohnblöcke und 39 Privathäuser seien bei dem "Vorfall" beschädigt worden. Angaben zur Ursache der Explosionen machte er nicht.

"Akt der Aggression"

Ein Bewohner der Stadt, die rund vierzig Kilometer hinter der ukrainischen Grenze liegt, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, eine Rakete sei in der Nähe seines Hauses gegen drei Uhr morgens in einen Wohnblock eingeschlagen. Alle Fenster in seinem Haus seien zersprungen, die Türen aus den Angeln geflogen.

Ein russischer Abgeordneter machte die Ukraine für den Angriff verantwortlich. "Der Tod von Zivilisten und die Zerstörung ziviler Infrastruktur in Belgorod sind ein direkter Akt der Aggression seitens der Ukraine und erfordern die härteste – einschließlich einer militärischen – Reaktion", schrieb Andrej Klischas auf Telegram.

Die Ukraine gab keine Stellungnahme zu den Vorwürfen ab. Seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar wurde immer wieder über Angriffe in Belgorod und anderen grenznahen Gebieten berichtet.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz gab der Ukraine unterdessen Sicherheitsgarantien für die Zeit nach dem Krieg. Diese entsprächen aber nicht einer Nato-Beistandsgarantie. Details stimme man derzeit mit den Partnern und der Ukraine ab, sagte Scholz. Dazu gehöre auch die erneute Inkraftsetzung von Sanktionen gegen Russland.

Putin habe er in einem ihrer Gespräche gesagt, dass er nicht mit einer Aufhebung der Sanktionen rechnen könne, sollte er weiter einen Diktatfrieden nach dem Angriff auf die Ukraine anstreben, erklärte Scholz. (Michael Vosatka, 3.7.2022)