Seit Jahrhunderten leben die Massai in den Gebieten, die heute zum nördlichen Tansania gehören – etwa in der Nähe des Ngorongoro-Kraters. Nun sollen sie nach dem Willen der Regierung Platz machen.

Foto: APA / AFP / Joseph Eid

Sie zählen zu den bekanntesten Einwohnerinnen und Einwohnern Ostafrikas: die Massai, die in der Serengeti ihre Heimat mit Löwen und Elefanten teilen. Mit ihren langen Speeren und den rot karierten Tüchern dürfen sie auf keinem Touristenprospekt des bekanntesten Tierparks der Welt fehlen. Doch die tansanische Regierung sieht die traditionsreichen Nomaden zunehmend als Last: Nun sollen mehr als 150.000 Massai umgesiedelt werden, weil sie angeblich den Naturschutz gefährden.

Die Pläne der Regierung sorgen für immer heftiger geführte Proteste: Bei einer Konfrontation zwischen Angehörigen des Nomadenvolks und Bereitschaftspolizisten kamen Anfang Juni im östlich der Serengeti gelegenen Bezirk Loliondo zwei Menschen ums Leben. Die Opfer: ein von Polizeikugeln erschossener Massai und ein vom Pfeil eines Massai getroffener Polizist.

Jäger statt Nomaden

Der Konflikt zwischen den legendären Viehhirten und der Regierung ist so alt wie die Serengeti selbst: Bei deren Gründung 1959, an der der Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek maßgeblich beteiligt war, wurde den Nomaden der Zugang zu dem Nationalpark von der Größe der Steiermark verwehrt.

Ihre Rinderzucht vertrage sich mit dem Schutz der wilden Natur nicht, hieß es zu Begründung. Fünf Jahrzehnte später sollten sie auf ein weiteres ihrer Weidegebiete verzichten: Die Regierung stattete die in den arabischen Emiraten beheimatete Firma Otterlo Business Corporation (OBC) mit einer Jagdlizenz für ein 1500 Quadratkilometer großes Revier östlich der Serengeti aus. Schon damals wurden mehrere Tausend Massai aus dem Loliondo-Bezirk vertrieben, um den Scheichs die Großwildjagd zu ermöglichen. Allerdings zog eine neue Regierung die Lizenz acht Jahre später wieder zurück: Sie sei auf korrupte Weise zustande gekommen. Nach einem weiteren Regierungswechsel ist das Thema nun wieder aktuell.

Kulturelles Überleben gefährdet

Anfang des Sommers waren 700 Polizisten in Loliondo aufgetaucht, um das Jagdrevier mit Grenzpfählen abzustecken. Doch Massai entfernten die Markierungen in der Nacht wieder. Daraufhin setzte die Polizei am Morgen des 10. Juni Tränengas und scharfe Munition ein: Nach Angaben der Londoner Organisation Survival International, die sich für bedrohte Völker einsetzt, wurde ein Massai getötet und 31 andere Menschen angeschossen, über 20 Personen landeten in Haft. Sie sollen wegen Mordes beziehungsweise Beihilfe zum Mord angeklagt werden.

Das Vorgehen der Sicherheitskräfte stieß auch im Ausland auf Kritik. Die Polizeiaktion komme einer unter internationalem Recht verbotenen "Zwangsvertreibung" gleich, heißt es in einer Stellungnahme von Menschenrechtsexperten, die von der UN mit der Beobachtung des Konflikts beauftragt worden waren.

Das "physische und kulturelle Überleben" der Massai werde im Namen des Naturschutzes, in Wahrheit aber wegen Safari-Tourismus und der Großwildjagd aufs Spiel gesetzt – ohne den Beitrag zu würdigen, den dieses Volk seit Jahrhunderten für die Artenvielfalt leiste.

Außer im Loliondo-Bezirk soll es auch im südöstlich der Serengeti gelegenen Schutzgebiet des Ngorongoro-Kraters zur Umsiedlung von bis zu 70.000 Massai kommen: Dort habe sich ihre Zahl in den vergangenen sechs Jahrzehnten von 8000 auf 100.000 mehr als verzwölffacht.

Wenig Rechtssicherheit

Vertreter der Massai legten vor Gericht Einspruch gegen die Pläne der Regierung ein. Das für vergangene Woche angekündigte Urteil des ostafrikanischen Gerichtshofs wurde aus nicht genannten Gründen auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Regierung mache ihnen das Leben schwer, klagen die dort ansässigen Massai: Ihnen würden öffentliche Dienste wie Schulen und Sanitäranlagen vorenthalten, um sie zum Wegzug zu zwingen.

Die Vorgänge um die Serengeti haben unter Naturschutzfachleuten heftige Debatten ausgelöst. Der tansanischen Regierung wird eine von den einstigen Kolonialherren übernommene "Festungsstrategie" vorgeworfen, indem die Naturparks für ihre menschlichen Bewohner gesperrt würden. Naturschützer plädieren zunehmend für eine integrative Strategie, bei der Menschen und wilde Tiere zusammen leben. Kein einfaches, aber angesichts der Forderung internationaler Naturschutzverbände, künftig 30 Prozent der Erde unter Naturschutz zu stellen, ein unerlässliches Unterfangen. (Johannes Dieterich, 4.7.2022)