Es ist Auftakt zu einer neuen Amtszeit, und er sollte ihr neue Dynamik vermitteln. Die am Montag vorgestellte Regierung von Emmanuel Macron fällt aber vor allem durch mehrere politisch und menschlich sehr unangenehme Affären auf. Nicht zuletzt zwingen sie den französischen Präsidenten zu personellen Rochaden, die das innere Gleichgewicht der Regierung empfindlich stören.

So verlässt der Minister für Solidarität und Behinderung, Damien Abad, die Regierung wegen Vergewaltigungsvorwürfen. Der 42-jährige Minister, der selber unter der seltenen Gelenkkrankheit Arthrogryposis leidet, war schon bei seinem Regierungseintritt im Mai unter Beschuss geraten: Pariser Medien enthüllten, dass ihn zwei Frauen wegen Vergewaltigung angezeigt hatten. Die beiden Gerichtsklagen sind zwar wegen mangelnder Beweisbarkeit eingestellt worden. Am Montagmorgen berichtete der Livesender BFM aber von einer dritten Frau, die ebenfalls behauptet, sie habe sich nach einem Barbesuch mit Abad in einem Bett vorgefunden; dabei habe sie sich an nichts mehr erinnert, aber wie nach dem Konsum einer Droge starke Schwindelgefühle gehabt.

Emmanuel Macron hat mit personellen Problemen zu kämpfen.
Foto: Reuters/Tessier

Zentrale Rolle

Abad war früher Mitglied der konservativen Republikaner; als Überläufer in das Macron-Lager nahm er eine zentrale Rolle im Dispositiv des Präsidenten ein. In der Regierung war er aber am Montag nicht mehr tragbar, obwohl er die Vorwürfe vehement bestreitet.

Zumal sich Macron als konsequenter Verfechter der Frauenfrage präsentiert und in seiner Regierung eine strikte Geschlechterparität wahrt. Dieses Prinzip bringt ihn nun zusätzlich in die Bredouille: Der ungeschriebenen Pariser Regel folgend, dass abgewählte Politikerinnen aus der Regierung ausscheiden, mussten gleich drei bisherige Ministerinnen den Hut nehmen: Brigitte Bourguignon (Gesundheit), Amélie de Montchalin (Umwelt) und Justine Bertin (Meer) hatten bei den Parlamentswahlen im Juni kandidiert, aber verloren. Laut Elysée-Insidern hatte Macron die größte Mühe, weiblichen Ersatz zu finden. Deshalb musste er sogar Ex-Ministerinnen wie Marlène Schiappa, mit denen er eigentlich gebrochen hatte, zurückberufen. Die seit Mai amtierende Regierungschefin Elisabeth Borne bleibt Premierministerin.

Vorwürfe gegen Staatssekretärin

Im Kabinett bleibt erstaunlicherweise auch die Staatssekretärin Chrysoula Zacharopoulou. Gegen die 46-jährige Frauenärztin aus Griechenland laufen drei Klagen von Patientinnen, die ihr in ihrer Praxis gewalttätige Eingriffe und namentlich Vergewaltigung vorwerfen. Die Beschuldigte weist die Vorwürfe zurück. Ein Schlaglicht auf die Verhältnisse in ihrem Pariser Spital wirft der Umstand, dass Zacharopoulous Vorgesetzter seinerseits Gegenstand von 28 Anzeigen und Gerichtsklagen wegen körperlicher oder psychischer Gewalt gegen Patientinnen ist.

Heftig debattiert wird in Frankreich nun die Frage, wie lange die Unschuldsvermutung in Politik und Medien gelten sollte. Eine eindeutige Antwort hat auch Macron nicht: Er hatte Abad im Mai in die Regierung berufen, obwohl er um die Vorwürfe gegen ihn wusste, und trennt sich nun von ihm, obschon kein eigentliches Gerichtsverfahren gegen ihn läuft.

Mélenchon-Vertrauter angezeigt

Noch komplizierter wird die Debatte durch eine Anzeige gegen den prominenten Oppositionspolitiker Eric Coquerel. Der enge Vertraute von Jean-Luc Mélenchon hatte vergangene Woche den strategisch wichtigen Vorsitz der Finanzkommission in der Nationalversammlung erhalten. Kurz darauf zirkulierten erste Berichte über sein Verhalten als aufdringlicher "dragueur" (Aufreißer), der Frauen auch physisch zu nahe trete. Nicht nur Mélenchon verteidigte ihn, sondern auch viele Linkspolitikerinnen und Feministinnen, die zuvor vehement den Rücktritt Abads gefordert hatten. Am Wochenende präzisierte aber eine politisch nahestehende Frau aus dem Umfeld der "Gelbwesten", Coquerel habe auch sie mit einer "schweren Hand" betatscht. Zur Debatte über die Unschuldsvermutung kommt nun auch eine weitere Frage, wo die Grenze zwischen plumper Anmache und einem Vergewaltigungsvorwurf liegt – und ob dabei die Zugehörigkeit zu einem politischen Lager eine Rolle spielt.

Diese Debatte überschattet die gesamte Regierungsbildung. Sie bestätigt den allgemeinen Eindruck, dass Macron in seiner zweiten Amtszeit nicht mehr alleiniger Herr der Pariser Politik ist. Sehr vorsichtig geworden, belässt er Catherine Colonna (Auswärtiges), Bruno Le Maire (Wirtschaft), Gérald Darmanin (Inneres) und Pap Ndiaye (Bildung) auf den Schlüsselposten. (Stefan Brändle aus Paris, 4.7.2022)