Außenminister Schallenberg und Innenminister Karner bei einer Pressekonferenz mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und Innenminister Süleyman Soylu. Das Foto stammt vom österreichischen Außenministerium.

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Lange ist es noch nicht her, da galt er als vieles, aber mit Sicherheit nicht als ein Guter. Türkischstämmige Menschen in Österreich manipulierten er und sein Geheimdienst mit ihrer Propaganda, sodass diese sich näher an Ankara als an Wien fühlten, selbst wenn sie schon seit Jahrzehnten in Favoriten oder anderswo in Österreich wohnten. Flüchtlinge hielt er gegen Bezahlung zwar von der Reise nach Europa ab; aber die mächtige Position, die ihm das gegenüber der EU einbrachte, nutzte er für diverse Erpressungsversuche. Und die Menschenrechtssituation im eigenen Land war noch nie besonders rosig. Kurden, LGBTQI-Angehörige oder alle, die er als Teil der Gülen-Bewegung identifiziert haben wollte – sie alle sind nicht sicher.

Seit rund zweieinhalb Monaten aber ist der türkische Präsident und Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan in Wien wieder wohlgelitten. Damals würdigte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) unmittelbar nach seinem Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin plötzlich öffentlich das geostrategische Gewicht der Türkei. Vergangenen Mittwoch hatte Nehammer dann nach einem Treffen mit Erdoğan im Rahmen des Nato-Gipfels in Madrid vom "Beginn eines entspannteren Verhältnisses" gesprochen. In den Tagen zuvor waren zudem auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bei Erdoğan zu Gast gewesen.

Das Scharnier aus Ankara

Die Fortsetzung des österreichischen Paradigmenwechsels gegenüber Ankara fand nun am Montag ebendort statt. Tags zuvor weilten Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) auf Arbeitsbesuch bei ihren ägyptischen Amtskollegen in Kairo. Ursprünglich hätte es dann noch bis Dienstag nach Tunesien gehen sollen. Doch die Reise wurde kurzfristig abgesagt. Eine zweite Station für die gemeinsame Reise der beiden Minister war allerdings bald gefunden: Es ging ins Land am Bosporus, über dessen Präsidenten Erdoğan der damalige Chef Schallenbergs und Karners, Ex-Kanzler Sebastian Kurz, einst eine jahrelange österreichische Eiszeit verhängte.

Von einer neuen "Charmeoffensive" oder gar einem "Kuschelkurs" will Schallenberg im Gespräch mit den Medien auch jetzt nichts wissen. "Mit diesem Begriff bin ich offen gesagt nicht sehr glücklich", sagt der Außenminister. "Worum es geht, ist eine Normalisierung der Beziehungen zur Türkei." Das Land sei entscheidend im Umgang mit dem "geopolitischen Erdbeben" durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine: Denn durch seine Vermittlerrolle zwischen der Ukraine und Russland – die Türkei hat sich, wiewohl Nato-Mitglied, den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen – erfülle es international eine wichtige "Scharnierfunktion", sagt Schallenberg.

"Schwierig, aber nötig"

Begegnungen mit der Türkei hält der Minister für "schwierig, aber nötig". Die Annäherung ändere jedenfalls nichts daran, dass es Bereiche gebe, "wo wir nicht einverstanden sind". Dazu gehöre eine drohende militärische Intervention in Nordsyrien ebenso wie die Menschenrechtslage in der Türkei selbst. Gelegenheit, diese Themen anzusprechen, hat Schallenberg jedenfalls beim Zusammentreffen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu am Nachmittag.

Karner trifft zeitgleich ebenfalls seinen türkischen Amtskollegen, Innenminister Süleyman Soylu. Dabei steht die polizeiliche Zusammenarbeit gegen Schlepperei, aber auch gegen Extremismus und Terrorismus im Mittelpunkt, wie Karner im Vorfeld ausführte. "Wir brauchen die handfeste operative Zusammenarbeit mit der türkischen Polizei", sagt Karner. Der Verbindungsbeamte des Innenministeriums in Ankara erfülle dabei eine entscheidende Funktion.

So wie Ägypten Österreichs Ankerpunkt in Nordafrika sei, erfülle die Türkei die Rolle als "Ankerpunkt in dieser Region". Oberstes Ziel sei, zu verhindern, dass sich Menschen auf den Weg Richtung Europa machten, die – in der Sicht des Ministers – praktisch keine Chance auf Asyl hätten, und damit zu verhindern, "dass Menschen auf dem Weg übers Mittelmeer ertrinken oder in Lkws ersticken". Bei den heimischen Bemühungen, illegale Migration einzudämmen, sei man bereits in Zusammenarbeit mit anderen EU-Ländern. Namen will man allerdings noch nicht nennen.

Falsches Pferd?

Offen bleibt unterdessen die Frage, wie es mit Österreichs Beziehungen zur Türkei weitergeht, wenn Erdoğan die kommende Wahl im Juni 2023 verlieren sollte. Dieses Szenario ist nicht ganz unwahrscheinlich, Umfragen lassen zumindest ein Kopf-an-Kopf-Rennen im von einer schweren Wirtschaftskrise gebeutelten Land erwarten. Bei einem Wahltermin in nächster Zeit würden viele Fachleute aber eine Niederlage Erdoğans erwarten.

Klar ist, dass ein Sieg der Opposition die österreichischen Bemühungen um eine "Normalisierung" der Beziehungen zur Türkei auf den Kopf stellen könnte. Das gilt sowohl für den Fall, dass das Land am Bosporus nach der Wahl einen neuen Präsidenten hat , als auch für jenes, dass Erdoğan einen etwaigen Sieg der Opposition nicht anerkennt und mit polizeilicher bzw. militärischer Stärke eigene Fakten schafft – und damit auch formal den Weg der Demokratie verlässt.

"Dialog auf Augenhöhe"

Am Nachmittag fand eine gemeinsame Pressekonferenz der Minister statt. Alle vier berichteten über eine gute Arbeitsatmosphäre in den Gesprächen. Schallenberg betonte, dass der Dialog zwischen den beiden Ländern nicht eindimensional sei. Es gebe zu einigen Themen auch "unterschiedliche Auffassungen", entscheidend sei aber ein "Dialog auf Augenhöhe".

Der türkische Außenminister Çavuşoğlu antwortete auf die Frage, ob er nach der langjährigen Eiszeit zwischen Österreich und der Türkei nun für längere Zeit stabile Beziehungen erwarte, es habe unter den letzten Regierungen Österreichs in der Tat angespannte Zeiten mit der Türkei gegeben. Zentral sei aber, bei allen unterschiedlichen Positionen den gemeinsamen Dialog nicht aufzugeben und diesen voranzubringen.

Karner berichtete von "sehr konstruktiven inhaltlichen Gesprächen" zur polizeilichen Zusammenarbeit im Kampf gegen die illegale Migration und Schlepperei, aber auch zu Bereichen wie Drogenhandel und Cybercrime. (Martin Tschiderer aus Ankara, 4.7.2022)