Im Gastblog erläutert Tobias Goretzki, um welchen Wirkstoff es sich bei Psilocybin handelt, blickt auf dessen Geschichte und analysiert potenziellen Nutzen und potenzielle Risiken seiner Wirkung.

"Zauberpilze?! Ich habe mal von einem Freund gehört, dass er jemanden kennt, der davon verrückt geworden ist. Das sind gefährliche Drogen, von denen man lieber die Finger lassen sollte!" Anekdoten dieser Art sind häufig die einzigen Referenzen, die der Großteil der Bevölkerung bezüglich psychoaktiver Pilze hat. Diese Horrorstorys haben zwar ihre Daseinsberechtigung, überschatten jedoch die vielversprechende medizinische Forschung, die größtenteils unbemerkt vor unseren Augen abläuft.

Grundlagen zu Substanz und Wirkung

Psilocybin ist eine im Suchtmittelgesetz (SMG) verbotene psychoaktive Substanz innerhalb der Gruppe der Psychedelika. Sie kommt auf natürliche Art in der Pilzgattung Psilocybe vor, welche umgangssprachlich auch als "Zauberpilze" bezeichnet werden. Bei oralem Konsum findet eine Verstoffwechslung zu Psilocin statt, das sich an bestimmte Serotonin-Rezeptoren in unserem Gehirn bindet und, je nach Dosierung, eine Wirkungsdauer von vier bis acht Stunden hat.

Der Konsum von "Zauberpilzen" lässt sich weit in der menschlichen, aber auch tierischen Geschichte zurückverfolgen.
Foto: APA/AFP/ANP/EVERT-JAN DANIELS

Dabei kann es allgemein zu Pseudohalluzinationen, Intensivierung der Wahrnehmung und Synästhesie (zum Beispiel Farbwahrnehmungen beim Hören) kommen. Ebenso ist eine sogenannte Ich-Auflösung möglich, bei der unter anderem die Grenzen zwischen sich selbst und der Umwelt verschwimmen. Zusätzlich können unangenehme Effekte wie emotionale Turbulenzen, Unruhe oder paranoide Gedanken auftreten. Bisher gibt es keinen nachgewiesenen Todesfall, der direkt und nur auf den Konsum von Psilocybin zurückzuführen wäre.

Historie der "Zauberpilze"

Die ersten Hinweise auf den Konsum Psilocybin-haltiger Pilze gehen bis ins Jahr 9.000 bis 7.000 v. Chr. in Nordafrika zurück. Archäologen und Archäologinnen fanden in der Sahara Wandmalereien, die Pilze und typisch psychedelische Illustrationen darstellen. Ähnliche Funde sind auf Felsen in Spanien zu verzeichnen, die etwa auf 4.000 v. Chr. datiert werden können. Aufgrund der globalen Verfügbarkeit dieser Pilze und des Konsums vergleichbarer Substanzen im Tierreich (zum Beispiel von Delfinen) spekulieren Wissenschafter auch über eine viel weiter zurückgehende gemeinsame Historie.

Für die kulturelle Nutzung der "Zauberpilze" sind vor allem die Maya und die Azteken in Mittelamerika bekannt. Sie bezeichneten die Pilze als "Teonanácatl", was übersetzt "das Fleisch der Götter" bedeutet. Die Verwendung war sowohl von religiöser und spiritueller Natur als auch Teil von Heilungsprozessen und festlichen Bräuchen. Dies lässt sich bis ins Jahr 3.000 v. Chr. zurückverfolgen und wurde bei der Eroberung der Spanier im Konflikt mit der katholischen Kirche verpönt und verboten.

Als der amerikanische Banker R. Gordon Wasson 1957 im Magazin Life über seine Reise nach Mexiko und die Begegnung mit Psilocybin-haltigen Pilzen berichtete, machte er die westliche Öffentlichkeit erstmals mit Psilocybin bekannt. In den 1960er-Jahren fanden intensive Forschungen an der Substanz statt, die vor allem vielversprechende Anwendung bei Depressionen, Süchten und existenziellen Ängsten prognostizierten.

In der zeitgleich stattfindenden Gegenbewegung zum Vietnamkrieg wurde das Psychedelikum zum Symbol der Gegenkultur in den USA, die mit neuen Ideen und Werten die amerikanische Gesellschaft zu spalten drohte. Die daraus resultierende politische Gefahr und der teils unverantwortliche Umgang bestimmter Gruppierungen mit Psilocybin sorgten im Jahr 1965 für eine Gesetzesänderung zur Kontrolle von Drogenmissbrauch unter Präsident Richard Nixon. Kurz darauf schlossen sich die Vereinten Nationen der USA an, und die Substanz wurde verboten, weswegen auch die wissenschaftliche Arbeit an Psilocybin beendet werden musste. Dies verbannte jegliche Forschung oder therapeutische Anwendung in den Untergrund.

Heutige medizinische Forschung

Dies hielt bis ins Jahr 2006 an, als Roland Griffith, ein renommierter Neurowissenschafter, offiziell die Forschung mit Psilocybin an der Johns Hopkins University wieder aufnahm. Er führte eine Doppelblindstudie mit 30 Personen durch, die gesund, unerfahren mit vergleichbaren Substanzen und durchschnittlich spirituell und religiös waren.

Dazu verabreichte er den Testpersonen mit jeweils zweimonatigen Abständen eine hohe Psilocybin-Dosis und bat diese, mit einer Schlafmaske und musikalischer Begleitung möglichst in sich selbst hineinzugehen. Zwei Monate nach Durchführung befragte er die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu den entsprechenden Erfahrungen. Dabei bezeichnete der Großteil der Probanden diese als eines der persönlich wichtigsten und spirituell tiefsten Erlebnisse ihres Lebens, das nachhaltige positive Veränderung bei ihnen auslösten. Aufgrund der Seriosität dieser Studie und der beeindruckenden Resultate wurde die Öffentlichkeit in einem positiveren Licht erneut auf Psilocybin aufmerksam.

Psilocybin bei Krankheit

Bei einer weiteren Studie im Jahr 2016 nahmen 51 Patienten und Patientinnen mit Krebs im Endstadium teil, die durch ihren gesundheitlichen Zustand an Depressionen, Angstzuständen und anderen psychischen Krankheiten litten. Dabei wurde Psilocybin zunächst in einer geringen und fünf Wochen später in einer hohen Dosierung verabreicht, um die Effekte der Mengen zu vergleichen. Die Testpersonen wurden jeweils fünf Wochen nach den zwei Sitzungen untersucht – und zusätzlich sechs Monate nach der letzten, hoch dosierten Einnahme.

Nach der ersten, geringen Menge wurde bei 32 Prozent der Teilnehmer und Teilnehmerinnen eine klinisch signifikante Verbesserung des psychischen Zustands gemessen. Bei der hohen Dosierung waren es nach fünf Wochen 92 Prozent, von denen bei 79 Prozent der Effekt bis zu mindestens sechs Monaten danach anhielt. Im selben Jahr wurde mit zwei bis drei Psilocybin-Sitzungen in Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie an langjährigen Rauchern und Raucherinnen geforscht. Hier konnte man bei 80 Prozent der Testpersonen nach zwölf Monaten eine Abstinenz nachweisen.

Ungeklärte Aspekte

Diese Beispiele zeigen beeindruckende Ergebnisse, die gängige Pharmazeutika faktisch in den Schatten stellen. Hinzu kommt die einzigartige Komponente der mystischen und spirituellen Erfahrung, deren Effekt auf die psychische Gesundheit noch erklärt werden muss. In seinem TED-med-Talk spricht Roland Griffiths selbst über seine Forschung an Psilocybin und darüber, welches Potenzial er persönlich sieht:

TEDMED

Gefahr bei Eigenanwendung

Abschließend ist ausdrücklich zu betonen, dass jegliche positiven Effekte, die mit dem Konsum von Psilocybin zusammenhängen, aus einem klinischen und psychologisch betreuten Rahmen resultieren. Es ist nachdrücklich davon abzuraten, privat mit derartigen Substanzen zu experimentieren, da im unerfahrenen und unprofessionellen Umgang ein hohes Risiko für negative Erfahrungen bis hin zur psychischen Schädigung besteht. Dies gilt vor allem für Personen mit psychotischen (Vor-)Erkrankungen wie beispielsweise Schizophrenie. Alle präsentierten Forschungsresultate entspringen Studien, die bei der Voruntersuchung bereits Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit vergleichbaren Konditionen herausgefiltert haben, da die wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesen Fällen die Risiken nicht überwiegen würden.

Ausblick: Zulassung als Medikament?

Die Forschung an psychoaktiven Substanzen erlebt aktuell eine regelrechte Renaissance. Das Empathogen MDMA (Hauptbestandteil von Ecstasy) wird aller Voraussicht nach 2023 von der Food and Drug Administration (FDA) als effektives Medikament für posttraumatische Belastungsstörungen zugelassen. Dazu kam es im Jahr 2019 bereits bei Ketamin (ehemalige illegale Droge) im Rahmen der Behandlung von Depressionen.

Auch für Psilocybin werden aktuell die notwendigen Studienphasen progressiv abgeschlossen, was in den kommenden Jahren zu einer Zulassung als Medikament für die untersuchten psychischen Leiden führen könnte. Von Stanislav Grof, Mitbegründer der transpersonalen Psychologie und anerkannter Psychiater mit über 60 Jahren Erfahrung, stammt sinngemäß dieses Zitat: "Das Potenzial, das Psychedelika für die Psychiatrie und Psychologie haben könnten, ist vergleichbar mit dem Wert, den das Mikroskop für die Biologie und das Teleskop für die Astronomie haben."

Ob sich diese Einschätzung zukünftig als angemessen herausstellt, wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zeigen." (Tobias Goretzki, 7.7.2022)