Martin Kocher hat Gram mit seinen grünen Regierungskolleginnen und Vizekanzler Werner Kogler

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Eine grüne Blockade eines türkisen Personalvorschlags, die nicht diskret gelöst, sondern in aller Öffentlichkeit ausverhandelt wird: Das ist selbst für die aktuelle Koalition außergewöhnlich. Es geht um den Chefposten bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), die zum Wirtschaftsministerium von Martin Kocher (ÖVP) ressortiert. Eine Begutachtungskommission hatte sechs Hearings durchgeführt und den ÖVP-nahen Juristen Michael Sachs bestgereiht. Die Grünen munitionierten sich daraufhin mit einem Gutachten auf und kündigten an, die Bestellung zu blockieren.

Angst vor der kurzen Leine

Die Geschichte erzählt im Großen von einem Juniorpartner, der sich vermeintlich politische Postenbesetzungen nicht mehr gefallen lassen will. Im Kleinen geht es um einen langen Konflikt zwischen einer Behörde, die auf ihre Unabhängigkeit pocht, und ihren Vorgesetzten im Ministerium. Das kommt einem bekannt vor: Man denke an die WKStA und deren Angst vor politischer Einflussnahme.

Und auch bei den Kartellrechtlern geht es um ähnliche Bedenken. Die damalige Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) wollte die BWB an die kurze Leine nehmen und eine Berichtspflicht einführen, sehr zum Unmut des damaligen BWB-Chefs Theodor Thanner. "Wenn sich die Frau Minister als oberste Anwältin der Betriebe versteht, ist das ein klassischer Zielkonflikt. Wir wären bei der Justiz besser angesiedelt", sagte Thanner damals. So ging es dahin, bis Thanner vergangenen November erklärte, für eine weitere Amtsperiode nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Rasch herrschte die Befürchtung, dass ÖVP die BWB mit einer "steuerbaren" Person besetzen könnte. Was durchaus ironisch ist – war doch Thanner zuvor selbst sehr eng mit der Politik verbunden gewesen, etwa als Kabinettschef von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP). Thanner machte seine Behörde in den 15 Jahren seiner Amtszeit jedoch zu einer schlagkräftigen, selbstbewussten Organisation.

Gerüchte

Als logische Nachfolgerin galt im Winter dann Thanners Stellvertreterin Natalie Harsdorf-Borsch, die seit 2009 in der BWB arbeitet. Doch dann gab es immer mehr Gerüchte rund um eine Favorisierung von Michael Sachs, Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG). Er war lange im meist ÖVP-geführten Wirtschaftsministerium gewesen, unter anderem als Kabinettschef von Wolfgang Schüssel (ÖVP) in den 1990er-Jahren. Rund um die BWB wurde das mit Skepsis aufgenommen – galt Sachs doch als gut befreundet mit Jörg Zehentner, dem Vorsitzenden der Wettbewerbskommission, die die BWB berät. Zehentner saß wiederum der Begutachtungskommission vor, die einen neuen BWB-Chef aussuchen sollte.

Im Hearing wurde Sachs mit 14 Punkten bestgereiht, Harsdorf-Borsch folgte dahinter mit 13 Punkten. Beim Thema Kartellrecht habe sie zwar mehr Punkte erhalten, hieß es, in anderen Bereichen habe aber Sachs besser abgeschnitten. Die Reihung ging an Minister Kocher, der die Personalbaustelle von Vorgängerin Schramböck geerbt hatte.

Nun kam die große Überraschung: Befürchtungen über eine "geschobene Partie" und eine zu große Nähe von Sachs zur Branche – was die Beteiligten bestreiten – waren auch zu den Grünen vorgedrungen. Die Partei bestellte ein Gutachten bei Rechtsanwalt Meinhard Novak. Dieses sprach Sachs indirekt ab, die Ausschreibungsvoraussetzungen zu erfüllen. Als Richter, der ab und zu mit kartellrechtlichen Belangen in Kontakt komme, habe er eben keine "fünfjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts", argumentierte Novak sinngemäß. Auch der Vorsitzende der Wettbewerbskommission zähle hier nicht.

Mangelndes Vertrauen

Und nun? Für das Wirtschaftsministerium ist die Sache vorerst erledigt. Das Gutachten der Personalkommission liege in der Koordinierung, nächste Schritte müssten auf höherer Ebene geklärt werden. Eine Neuausschreibung käme derzeit nicht infrage.

Und hier kommt das Kleine ins Große: Zu oft haben die Grünen in den vergangenen Monaten mit Bauchweh beobachtet, wie Spitzenjobs an ÖVP-nahe Personen gingen – so als hätte es die Affären nach Ibiza nie gegeben. Zuletzt gab es Wirbel rund um die RTR, aber auch um Personalia im Innenministerium. Meist war dafür keine Zustimmung der Grünen nötig; im Fall der BWB ist das anders. Für die ohnehin angeknackste Stimmung in der Koalition bedeutet der Konflikt nichts Gutes: Die Grünen vertrauen dem Koalitionspartner offenbar nicht mehr. Offen sagen wollen sie es aber (noch) nicht. (Fabian Schmid, 4.7.2022)