Regelmäßig protestieren Aktivistinnen und Aktivisten gegen Unternehmen, die sich als "grün" verkaufen, ohne es zu sein.

Foto: imago/Alain Pitton

"Grüne" Anlageprodukte erfreuen sich einer immer größeren Beliebtheit bei Investoren. Doch was genau als "grün" bzw. "nachhaltig" gilt, ist oft Auslegungssache. Deswegen hat sich die Europäische Union mit dem European Green Deal vorgenommen, hier für mehr Klarheit zu sorgen. Auch derzeit ist etwas Vorsicht geboten, wenn Produkte als "grün" gekennzeichnet werden. Besonders euphorische Werbeaussagen können in Konflikt mit dem Lauterkeitsrecht geraten.

Jüngst hat beispielsweise das LG Stuttgart (36 O 92/21 KfH) die Werbung eines Finanzprodukts mit einem CO2-Ausgleichsrechner als unlauter und irreführend qualifiziert, weil für den durchschnittlichen Verbraucher nicht klar erkennbar war, dass der CO2-Ausgleich erreicht werden "kann" – aber nicht muss. Zumindest bisher mussten sich Unternehmen aber nur bei besonders eklatanten Verstößen besorgt zeigen.

Mehr Klarheit in der Unternehmensberichterstattung

Die Corporate Sustainablity Reporting Directive, auf die sich die EU am 21. Juni 2022 vorläufig politisch geeinigt hat, soll diese Lücke nun schließen. Unternehmen müssen in Zukunft detaillierte Angaben zu den Folgen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Umwelt, Menschenrechte und Sozialstandards offenlegen.

Ganz neu ist das nicht. Bisher mussten derartige Informationen, auch nichtfinanzielle Informationen genannt, in abgespeckter Form nur von einer relativ überschaubaren Gruppe von Unternehmen offengelegt werden – genauer: Unternehmen von öffentlichem Interesse mit einer durchschnittlichen Beschäftigungszahl von mehr als 500 Mitarbeitern. Der Kreis der erfassten Unternehmen soll stufenweise deutlich vergrößert werden und auch Klein- und Mittelbetriebe (KMUs) erfassen.

Warnung vor "riesigen Herausforderungen"

Im Europäischen Parlament wurde daran Kritik laut: "Riesige Herausforderungen" für den Mittelstand wurden befürchtet. Schließlich müssen diese ihre Prozesse umstellen, zusätzliches Personal einstellen und die Einhaltung der Vorgaben streng kontrollieren. Neben einem erweiterten Adressatenkreises soll im Rahmen der CSRD nämlich der Umfang der offenzulegenden Informationen deutlich steigen.

So sollen unter anderem die Strategie und Ziele in Bezug auf Nachhaltigkeit, Angaben zu wesentlichen tatsächlichen und potenziellen schädlichen Auswirkungen im Zusammenhang mit der Wertschöpfungskette (Lieferkette) sowie eine Beschreibung der wesentlichen Risiken für das Unternehmen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsfragen offengelegt werden. Weitere Details werden in Zusammenarbeit mit der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) erarbeitet.

Ziel sind einheitliche EU-Standards

Ziel ist das Schaffen eines einheitlichen EU-Standards zum Vereinheitlichen der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Um die Qualität der Berichterstattung zu gewährleisten, muss der Bericht von einem akkreditierten unabhängigen Prüfer zertifiziert werden. Dieser sorgt dafür, dass die Nachhaltigkeitsinformationen den von der Union festgelegten Standards entsprechen.

Dabei wird das Einhalten der Vorgaben nicht nur durch Verwaltungsstrafen abgesichert sein, denkbar sind auch Schadenersatzansprüche von Kunden. Sie könnten sich etwa darauf stützen, dass ihr investiertes Geld nicht nach ihren Wünschen zum guten Zweck verwendet wurde oder Produkte nicht ihren Vorstellungen entsprochen haben. Gerade die Vielzahl der Verfahren gegen Finanzdienstleister der letzten Jahre zeigt, dass es sich dabei nicht nur um ein theoretisches Szenario handelt.

Vereinfachungen für KMUs

Diesen Bedenken wurden in der nunmehr abgestimmten CRSD offenbar Rechnung getragen. Um KMUs zu schützen, soll die Richtlinie in drei Stufen in Kraft treten. Ab 1. Jänner 2024 gilt sie für jene Unternehmen, die auch bereits jetzt zur Abgabe von nichtfinanziellen Informationen verpflichtet sind. Erst im Folgejahr soll sie dann für jene Unternehmen gelten, die zwei der folgenden drei Kriterien überschreiten: mehr als 250 Mitarbeiter, Nettojahresumsatz von 40 Millionen oder Bilanzsumme von 20 Millionen. Ab 1. Jänner 2026 folgen börsennotierte KMUs sowie kleine und nichtkomplexe Kreditinstitute und firmeneigene Versicherungsunternehmen. Nicht an der Börse gelistete KMUs können freiwillig berichten und auf die Standardisierung zurückgreifen.

Abgesehen davon werden die neuen Vorgaben von den Gerichten in Zukunft wohl als neuer Standard angesehen werden, womit sie auch für nicht unmittelbar unterworfene Unternehmen eine Richtschnur werden.

Für KMUs soll es außerdem weitere Ausnahmeregelungen geben. Einerseits sollen die inhaltlichen Anforderungen an die Berichtspflichten angepasst werden, und andererseits soll es Möglichkeiten zum "Opt-out" geben. Auf diesem Weg können KMUs bis 2028 aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie optieren. Wenn ein KMU von einer solchen Ausnahmeregelung Gebrauch macht, muss es das jedoch öffentlich machen.

Mögliche Risiken

Nachhaltigkeitsberichte könnten sich in Zukunft als rechtliches Minenfeld für Unternehmen erweisen. Stellt sich nachträglich heraus, dass Angaben im Nachhaltigkeitsbericht unvollständig, irreführend oder gar fehlerhaft waren, könnte dies Tür und Tor für Schadenersatzprozess öffnen. Damit werden Unternehmen wohl verstärkt gefordert sein, ihre Kommunikation im Bereich Nachhaltigkeit zu schärfen und ihre Angaben penibel zu prüfen. (Raphael Toman, Fabian Schinerl, 7.7.2022)