Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) ruft zum Energiesparen auf.

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Die Lage sei ernst, aber noch nicht so ernst, dass die Frühwarnstufe in Österreich in puncto Gasversorgung verlassen und die Alarmstufe ausgerufen werden müsste. Das gab die auch für Energie zuständige Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) Dienstagnachmittag bekannt. Vorausgegangen ist ein mehrstündiges Treffen mit Gasmarktexperten, bei dem die aktuelle Lage am Gasmarkt in Österreich und Europa evaluiert wurde.

Diese Lagebeurteilung, der abends zuvor eine Besprechung der Ministerin mit Sachverständigen und Vertretern großer Gasverbraucher aus Industrie- und Stromwirtschaft vorausgegangen ist, hat zu zwei konkreten Beschlüssen geführt.

Vorkehrungen

Industrie und Kraftwerksbetreiber werden angewiesen, ihre Anlagen, sofern technisch möglich, auf bivalenten Betrieb umzurüsten. Im Notfall sollen Kraftwerke, aber auch ganze Industrien nicht nur mit Gas, sondern beim Ausbleiben von Lieferungen auch mit Öl, oder noch besser, mit erneuerbaren Energien betrieben werden können, so die Überlegung.

Zu diesem Zweck hat Gewessler eine Verordnung in Ausarbeitung, die sie zeitnah in eine "kurze Begutachtung" schicken und dann vom Energielenkungsbeirat und dem Hauptausschuss des Nationalrates möglichst noch im Juli beschließen lassen will. Darin soll auch vorgesehen sein, dass der Staat die Mehrkosten für die Umrüstung trägt, wie Gewessler unter Hinweis auf die "außerordentlichen Umstände" betonte. Für grünes Licht in dieser Sache ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Umstellung oft möglich

Einige Stromversorger, beispielsweise Wien Energie, haben teilweise schon Anlagen im Kraftwerkspark, die sowohl mit Gas als auch mit Öl betrieben werden können. Das sind insbesondere Kraftwerke, die im Winter zur Erzeugung von Fernwärme ans Netz genommen werden. Der Switch sei "ohne große Vorbereitung" und innerhalb kurzer Zeit möglich, hieß es bei Wien Energie kürzlich auf STANDARD-Anfrage. Öl müsse halt in ausreichender Menge beschafft werden.

Auch für Privathaushalte hatte Gewessler eine Botschaft. Sie wisse, wie "mühsam und anstrengend" es sei, mit der aktuellen Situation umzugehen. Als geschützte Kunden müssten Haushalte ähnlich wie Unternehmen der kritischen Infrastruktur selbst bei einem Lieferstopp aus Russland keine Sorge haben, im Winter in kalten Räumen verbringen zu müssen. Die Versorgung sei gewährleistet mit Gas aus den Speichern und der Inlandsproduktion, die sich auf etwas 900.000 m3 Gas pro Jahr beläuft. Dennoch sollte jeder und jede schon jetzt beginnen, über Einsparmöglichkeiten in der Heizsaison nachzudenken.

Therme warten, Heizung gut einstellen

Durch rechtzeitige Wartung der Gastherme, Einstellung der Heizung samt Entlüftung der Heizkörper, ließen sich an die zehn Prozent der Energie einsparen, durch Abdichten von Fenstern und Türen, aber auch Freiräumen von Heizkörpern ließen sich weitere fünf Prozent einsparen – ins Summe also bis zu 15 Prozent. Um diesen Prozentsatz könnte sich dann auch die Energierechnung in der kommenden Heizsaison verringern.

Gewessler nannte zwei Daten, an denen möglicherweise – aber es bleibt immer noch hypothetisch – die Alarmstufe ausgerufen werden könnte: Das ist einmal der 11. Juli, also der kommende Montag. Dann geht für zehn Tage die Ostseepipeline Nord Stream 1 wartungsbedingt außer Betrieb.

Nationaler Sicherheitsrat tagte

Davor will man im Expertengremium die Lage noch einmal genau sondieren und schauen, ob die Einspeicherraten so bleiben wie sie es derzeit sind. Dann nämlich käme man unter Einrechnung des zehntägigen Ausfalls von Nord Stream 1 auf einen Füllstand der Speicher von 80 Prozent im Oktober, so viel, dass man halbwegs sicher durch den Winter kommt.

Der zweite und wohl kritischere Termin ist der 21. Juli. An diesem Wochentag, einem Donnerstag, soll die Pipeline wieder in Betrieb gehen. Experten und auch zunehmend Politiker in Deutschland und Österreich zweifeln aber daran und rechnen damit, dass Gazprom die Leitung als Retourkutsche für die Sanktionen nicht wieder befüllen wird. Spätestens dann müsse die Lage neu bewertet werden.

Genauer informiert wurde zumindest die Politik am Montagabend im Nationalen Sicherheitsrat. Die FPÖ hatte zuvor beantragt, das Gremium einzuberufen, weil die Versorgungslage laut Parteiobmann Herbert Kickl "mehr als alarmierend" sei. Anträge der Neos und der FPÖ wurden abgelehnt. Ein Schwerpunkt sei die europäische Dimension der Gas-Situation gewesen, hieß es nachher von den Grünen.

SPÖ warnt

SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried sagte zum STANDARD: "Seit Wochen und Monaten hören wir von Ministerin Gewessler, dass es ausreichende Speichermengen gebe, dass die Versorgung der österreichischen Bevölkerung mit Gas gesichert sei und die Regierung alles im Griff habe. Auch vom Bundeskanzler haben wir nach seinem Putin-Besuch gehört, die Gasversorgung sei gesichert. In Wahrheit dürften nur rund 10 Prozent des in Österreich gespeicherten Gases auch für Österreich zur Verfügung stehen.

Die SPÖ warnt seit Wochen und Monaten vor einer drohenden Gas-Krise im kommenden Winter, auf die die Regierung nicht entschlossen reagiert. Auch im heutigen Nationalen Sicherheitsrat konnten diese Bedenken nicht ausgeräumt werden. Die Regierung gefährdet durch Planlosigkeit und Versäumnisse die Gasversorgung der Bevölkerung und sie schadet massiv Wirtschaft und Industrie. Wir steuern auf eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe zu, wenn nicht endlich gegengesteuert wird."

Am Nationalen Sicherheitsrat nahmen neben Kanzler und diversen Ministerinnen und Ministern auch Spitzenbeamte wie der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit und der Generalstabschef teil. Vertreten waren auch Abgeordnete aller im Parlament vertretenen Parteien.

VP-Hörl will Strom für Seilbahnen

Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Reaktionen auf Gewesslers Ankündigungen noch recht verhalten ausfielen: Aus der Opposition war zu hören, man wolle ihr die Chance geben, sich im Nationalen Sicherheitsrat genauer zu erklären. Außerdem stünden ohnehin drei Plenartage im Nationalrat an, wo unter anderem auch das Thema Teuerung in einer Aktuellen Stunde behandelt werde.

Eher skurril war indes der Auftritt des Tiroler Abgeordneten Franz Hörl (ÖVP): Er forderte bei einer Veranstaltung sinngemäß, dass Strom im Notfall nicht "in die Stadt" fließe, wenn dafür Seilbahnen und Schneeanlagen stillstehen müssten. (Günther Strobl, Fabian Schmid, 5.7.2022)