ÖGK-Obmann Andreas Huss: "Uns fehlen künftig rund 400 Millionen Euro an Mehreinnahmen pro Jahr, um eine gute Finanzierungsbasis zu haben."

Foto: APA/Punz

Es war das "Leuchtturmprojekt" der türkis-blauen Koalition: die Zusammenlegung der Krankenkassen. Die neun Gebietskrankenkassen sind im Jänner 2020 zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) verschmolzen, aus 21 verschiedenen Trägern wurden mit einem Schlag fünf. Die Idee dahinter? Einsparungen und Effizienz; oder wie es gerne genannt wurde: "Sparen im System".

Die Regierung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) hatten eine ganze "Patientenmilliarde" angekündigt. Sollte heißen: mehr staatlich finanzierte medizinische Leistungen für die Österreicherinnen und Österreicher – weniger Verwaltung, mehr Geld für "Sinnvolles", so zumindest der Plan.

Doch keine "Patientenmilliarde"

Bisher wurden die politischen Versprechen allerdings weitgehend nicht eingehalten. Das zeigt ein vernichtender Rechnungshof-Rohbericht, über den das Nachrichtenmagazin "Profil" am Wochenende berichtet hatte. Statt eine Milliarde Euro einzusparen, seien Mehrkosten von 215 Millionen Euro angefallen. Darüber hinaus seien die Leistungen verschiedener Kassen – anders als geplant – bisher nur partiell vereinheitlicht worden, auch Personal konnte nicht eingespart werden.

Dem STANDARD liegt nun eine interne Analyse der Österreichischen Gesundheitskasse vor, in der vorgerechnet wird, wie viel Geld der ÖGK in den vergangenen Jahren "entging" und wie viel künftig fehlen werde. Einerseits geht es hierbei um 90 Millionen Euro zwischen 2019 und 2021; beziehungsweise 120 Millionen, wenn das Jahr 2022 einberechnet wird. Der Grund für den "Fehlbetrag", wie es in dem Papier genannt wird, seien verringerte Zahlungen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) an die ÖGK.

"Noch schlechtere Rechtslage" ab 2023

Hintergrund ist eine gesetzliche Änderung, die im Rahmen der Kassenfusion festgeschrieben wurde: Während die Krankenkassen bis dahin jährlich einen "Pauschbetrag" festlegen konnten, den die Unfallversicherungsanstalt zu bezahlen hatten, galt ab 2019 ein Fixbetrag, der nicht mehr valorisiert wurde. Es geht also um die Frage, ob der Sozialversicherung dieses Geld zusteht oder nicht.

Darüber hinaus wird für die kommenden Jahre aber eine deutliche Verschlechterung der Situation erwartet: "Ab 2023 gilt eine andere, noch schlechtere Rechtslage", heißt es in dem Dokument. Im Rahmen des Antiteuerungspakets liege ein Initiativantrag vor, in dem die Ersatzansprüche zwischen ÖGK und AUVA geregelt werden. Für die Jahre 2023 bis 2025 soll der sogenannte Pauschbetrag "nur mehr 140 Millionen Euro betragen", wird in dem Papier beklagt. Das seien noch einmal um rund 70 Millionen Euro weniger als zuletzt.

Huss: "Budgetloch von 111 Millionen Euro pro Jahr"

"Mit der Zusammenlegung der Krankenkassen wurde uns Geld entzogen, jetzt wird sich die Situation noch einmal verschärfen", sagt ÖGK-Obmann Andreas Huss auf Nachfrage des STANDARD. Er ist roter Gewerkschafter und vertritt die Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der ÖGK. Huss geht noch weiter: "Ab 2023 sind wir mit einem zusätzlichen Budgetloch von 111 Millionen Euro pro Jahr konfrontiert." Der fehlende Betrag setze sich aus verringerten Rückzahlungen durch die AUVA und anderen Posten wie der Rückerstattung der Mehrwertsteuer für Medikamente durch die ÖGK zusammen.

Was das konkret für Krankenversicherte bedeutet? Huss sagt: "Die ÖGK ist finanziell nicht gefährdet, sodass die bestehenden Leistungen reduziert werden müssen. Aber wenn wir unser Gesundheitssystem an neue Herausforderungen anpassen sollen, brauchen wir dringend zusätzliche Mittel." Er denke dabei an Geld für eine bessere psychosoziale Versorgung wie einen Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie, mehr Kassenärzte, aber etwa auch an die Umsetzung eines Erwachsenenimpfprogramms.

Patientenmilliarde als "Marketing-Gag"

"Um Finanzierung und Organisation der Kernaufgaben sowie die notwendigen Weiterentwicklungen für die 7,4 Millionen ÖGK-Versicherten zu gewährleisten, müssen die entzogenen Mittel rückerstattet werden", heißt es in dem ÖGK-Papier. Die "Patientenmilliarde" sei "ein Marketing-Gag" gewesen, sagt Huss. "Uns fehlen künftig rund 400 Millionen Euro an Mehreinnahmen pro Jahr, um eine gute Finanzierungsbasis zu haben." (Katharina Mittelstaedt, 7.7.2022)