Die großflächige Installation aus bunt bemaltem Holz zeigt 15 Schattensilhouetten diverser im Stadtbild verankerter Lueger-Denkmäler, darunter die Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus, auch "Karl-Lueger-Gedächtniskirche" genannt.

Bildrecht, KÖR-Kunst im öffentlichen Raum Wien, 2022

Seit vielen Jahren ist der Umgang mit dem Andenken an den christlichsozialen Wiener Bürgermeister Karl Lueger, der die Stadt um 1900 prägte, Thema hitziger Debatten. Er gilt als Modernisierer der Stadt, als Antisemit und Hitlervorbild disqualifiziert er sich aus heutiger Sicht jedoch für jede Form der Verehrung. Das Wiener Stadtbild ist dennoch übersät mit Huldigungen, von denen das bekannteste das Karl-Lueger-Denkmal auf dem Karl-Lueger-Platz im ersten Bezirk ist.

Überlegungen bezüglich einer Umgestaltung gibt es seit langem, 2016 wurde eine Zusatztafel angebracht, zuletzt wurde es von Protestierenden mit "Schande"-Schriftzügen besprayt. Einige fordern die Entfernung, andere eine kritische Kontextualisierung, also Umarbeitung. Die Stadtpolitik lud ab Mai 2021 vierzig Wissenschafterinnen und Künstler ein, sich mit dem Denkmal auseinanderzusetzen. Ein Ergebnis dieses Prozesses wurde nun präsentiert: Auf dem Lueger-Platz wird eine temporäre Kunstinstallation errichtet, die sich kritisch mit der Lueger-Verehrung auseinandersetzt.

Silhouetten der Lueger-Verehrung

Eine Jury der städtischen Einrichtung Kunst im öffentlichen Raum (KÖR) betraute das Duo Nicole Six und Paul Petritsch mit der Umsetzung ihres Entwurfs. Die großflächige Installation aus bunt bemaltem Holz zeigt 15 Schattensilhouetten diverser im Stadtbild verankerter Lueger-Denkmäler, darunter die Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus, die auch "Karl-Lueger-Gedächtniskirche" genannt wurde, weil sie dessen Sarg beherbergt. Die unmonumentale Anordnung der Objekte soll diese gewissermaßen vom Sockel holen, das Lueger-Denkmal selbst aber unberührt bleiben.

Derzeit präsentiert sich das Wiener Karl-Lueger-Denkmal mit "Schande"-Schriftzügen Protestierender. Bald wird eine temporäre Kunstinstallation hinzugefügt.

Ein Jahr soll die Installation stehen bleiben, 100.000 Euro lässt man sich das Projekt kosten. Im Herbst soll dann ein offener Wettbewerb für eine permanente Installation ausgeschrieben werden. Nicole Six und Paul Petritsch betonten, dass sie ihr Projekt nicht erneut einreichen wollen, es also tatsächlich nur als temporär ansehen. Das Budget für die permanente Installation soll 500.000 Euro betragen. Hierfür erarbeitet zunächst eine Kommission die inhaltlichen Rahmenbedingungen, wobei Historikerin Heidemarie Uhl den Vorsitz des Gremiums führt, dem unter anderen auch Zeitgeschichtler Oliver Rathkolb angehört. Das Siegerprojekt dieses Bewerbs soll im Frühjahr 2023 präsentiert werden, wobei man für den Bau den Herbst desselben Jahres anstrebt.

Denkmal wird nicht entfernt, aber kontextualisiert

Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und Markus Figl (ÖVP), Bezirksvorsteher des ersten Bezirks, demonstrierten Einigkeit darüber, dass das Denkmal nicht entfernt, aber permanent kontextualisiert werden soll. Es sei wichtig, sich den Schattenseiten der Geschichte zu stellen, sagte Figl, dennoch verwehre er sich gegen Cancel-Culture: "Die Entsorgung des Lueger-Denkmals ist das falsche Signal, denn unsere Vergangenheit soll nicht ausgelöscht werden, sondern wir müssen uns ihr stellen."

Kaup-Hasler sah das ähnlich: "Wenn wir alles Problematische wegräumen, haben wir eine antiseptische Stadt, dann wird niemand mehr mit den dunklen Flecken konfrontiert. Ich finde es wichtig, dass das Lueger-Denkmal da steht. Aber Kunst kann und wird dem etwas hinzufügen."

Langfristig solle der Platz als lebendiger "Mahn- und Lernort gegen Antisemitismus und politischen Populismus" etabliert werden, skizzierte Kaup-Hasler ihren Plan. Mit der temporären Kunstinstallation reagiert die Stadt auch auf sich zuletzt häufende Kritik, dass man bei dem Thema zu langsam vorankomme. Zuletzt gab es unter anderem einen Appell von Holocaust-Überlebenden vor Ort.

Keine Umbenennung des Platzes

Die Sprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, zeigte sich gedenkpolitisch zufrieden mit dem Projekt. Die Entscheidung, den Lueger-Platz nicht umzubenennen, könne sie aber nicht nachvollziehen, hieß es in einer Aussendung am Mittwoch. "Wer will schon eine Postadresse mit einem bekannten Antisemiten auf der Visitenkarte? Was mit der Umbenennung des Lueger-Rings in Universitäts-Ring möglich war, muss auch für den Lueger-Platz gelten. Das wäre der erste Schritt im Sinne eines ‚Lernortes gegen Antisemitismus‘", so Blimlinger. (Stefan Weiss, 6.7.2022)