Vor allem für besonders wertvolle Start-ups, die sogenannten Einhörner, stehen schwere Zeiten bevor. Internationale Kapitalgeber schrauben deutlich zurück bei der Bereitschaft zu investieren.

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Das volkswirtschaftliche Umfeld lässt zwar anderes vermuten, doch in der Start-up-Szene purzelten im ersten Halbjahr abermals die Rekorde. Insgesamt floss mit 881 Millionen Euro mehr Geld in heimische Start-ups als je zuvor. Gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr ist das eine Steigerung um 67 Prozent, wie eine aktuelle Erhebung des Beratungsunternehmens EY zeigt. Ähnlich sieht es europaweit aus, den Daten von tech.eu zufolge erhielten Start-ups europaweit 60 Milliarden Euro, ebenfalls Rekord.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass hierzulande nicht die große Geldflut für Jungunternehmen ausgebrochen ist, denn der Großteil ging an zwei Firmen. Einerseits erhielt die Online-Nachhilfeplattform Go Student 300 Millionen Euro, andererseits TTTech 250 Millionen. Der klassischen Start-up-Definition ist TTTech jedoch schon lange entwachsen, das Wiener Unternehmen beschäftigt 1.700 Menschen und wird in solchen Erhebungen als sogenanntes Scale-up geführt. Das sind bereits am Markt etablierte Unternehmen, die für eine schnelle Skalierung zusätzliches Fremdkapital aufnehmen.

Stimmung kippt

Rekordinflation, die anstehende Zinswende, Rezessionsängste und der starke Kurseinbruch bei Tech-Aktien lassen die Stimmung allerdings kippen. Es warten schwierige Zeiten auf die Szene, heißt es bei EY, weltweit würde die Investitionsbereitschaft von Risikokapitalgebern bereits merklich sinken.

"Aktuell müssen Unternehmen darauf achten, Liquidität zu sichern und profitabel zu bleiben. Deswegen gab es zuletzt viele Massenkündigungen wie zum Beispiel bei Bitpanda", sagt die Geschäftsführerin vom Start-up-Verband Austrian Angel Investors Association (AAIA), Laura Egg. "Auf starkes Wachstum kann man sich konzentrieren, wenn wieder mehr Geld im Markt ist." Sie gehe davon aus, dass die Auswirkungen im Herbst noch deutlicher zu spüren sein werden.

Eher die Großen betroffen

Die Zeit des billigen Geldes ist vorbei, dementsprechend dürften auch die ganz großen Investmentrunden im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich nachlassen. Vor allem aus den USA und Asien kam Geld für die großen Runden, durch die hierzulande Go Student und Bitpanda den Einhorn-Status erreichten – also eine Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar.

Für Niki Futter, der seit vergangenem Jahr Präsident der AAIA ist, ist das noch kein Grund zur Sorge. "Millionenschwere Investmentrunden gehen an profitable und etablierte Unternehmen, wenn deren Skalierung um zwei Jahre verschoben wird, passiert nicht viel."

Für Start-ups in der Frühphase blickt er wenig pessimistisch in die Zukunft, es gebe noch genügend Puffer auf Kapitalgeberseite. Futter kann der Situation sogar etwas Positives abgewinnen: "Alle haben Probleme, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, diese werden demnächst einfacher zu finden sein."

Krypto am Boden

Erschwerend für die ganze Szene kommt dazu, dass die Krypto-Branche am Boden liegt. Das Aushängeschild Bitcoin grundelt bei einem Kurs von 20.000 Dollar herum, und eine Börse nach der anderen sperrt zu. "Die Situation ist vergleichbar mit dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre. Der Markt war völlig überhitzt, und es gab sehr viele unsinnige Projekte", sagt Futter. Dementsprechend werde es nun zu einer Marktbereinigung kommen.

Kritik an der Politik

Die AAIA feiert heuer ihr zehnjähriges Bestehen und gehört seit Jahren zu einem der Verbände, die für bessere Rahmenbedingungen im Start-up-Bereich lobbyiert. Egg und Futter meinen: "Politisch bekommen wir seit Jahren nicht die erhoffte Wahrnehmung. Start-ups halten als Feigenblatt für die Politik her, auch wenn sie wichtige Arbeitgeber der Zukunft sind." Mithilfe des staatlichen Hebels könne man Start-ups als Assetklasse viel besser etablieren. Gefordert wird etwa ein Abbau bürokratischer Hürden, steuerliche Erleichterungen für Risikokapital oder eine weitere Verbesserung der Rot-Weiß-Rot-Karte. (Andreas Danzer, 7.7.2022)