Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sieht "derzeit keine Versorgungsknappheit".

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Werden Benzin und Diesel in Österreich knapp? Ein Bericht in der "Presse" am Dienstagabend sorgte diesbezüglich für Unruhe. Aus mehreren Gründen, unter anderem wegen des Unfalls in der OMV-Ölraffinerie Schwechat, würden erste Tankstellen im Land bereits auf dem Trockenen sitzen, so die Zeitung.

Die Regierung beruhigt. Man habe "derzeit keine Versorgungsknappheit" bei Diesel und Benzin, sagte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Rand des Ministerrats am Mittwoch. Und auch andere Organisationen wollen auf STANDARD-Anfrage nichts von Engpässen wissen: Bei der Autofahrerorganisation ARBÖ etwa, die einen guten Überblick über Österreichs Tankstellennetz hat, habe man von Rationierungen nichts vernommen, sagt Sprecher Sebastian Obrecht. Gleiches gilt für die zuständigen Fachverbände für Mineralölindustrie, Energiehandel und Tankstellen bei der Wirtschaftskammer. Letztere zum Beispiel teilt mit: "Keine Tankstellen haben bis jetzt angerufen oder sich gemeldet, dass sie keine oder weniger Lieferungen erhalten haben."

Die Lage könnte sich zuspitzen

Am Grundproblem herrscht trotzdem kein Zweifel: Treibstoffe werden knapper – und nicht zu Unrecht besteht die Sorge, dass sich die Lage weiter zuspitzen könnte.

Einer der Gründe: besagter OMV-Unfall in Schwechat vom 3. Juni. Just am Tag der vieldiskutierten OMV-Hauptversammlung, bei der Ex-Vorstandschef Rainer Seele die Entlastung verweigert wurde, wurde die Hauptdestillationsanlage bei einer Druckprüfung im Rahmen einer Generalüberholung schwer beschädigt. Voraussichtlich noch bis September läuft die Anlage deshalb nur zu einem Bruchteil ihrer üblichen Kapazität. Entsprechend mehr Treibstoff muss nach Österreich importiert werden – ausgerechnet zu einer Zeit, in der internationale Energiemärkte und Lieferketten ohnehin schon durcheinandergeraten.

Eine neue Wendung im Wirtschaftskrieg

Die Knappheit verschärfen könnte aber auch ein Ereignis, das die neueste Wendung im Wirtschaftskrieg zwischen der EU und Russland darstellt: In der südrussischen Schwarzmeer-Stadt Noworossijsk wird ein Großteil des Erdöls aus Kasachstan Richtung Europa verschifft, weil Kasachstan keinen eigenen Meerzugang besitzt.

In letzter Zeit stiegen die politischen Spannungen zwischen Russland und Kasachstan. Nun muss eben in Noworossijsk ein Hafenterminal, das für den Export von kasachischem Öl bestimmt ist, auf Beschluss eines russischen Gerichts für 30 Tage schließen. Vorgeblich aus Umweltschutzgründen. Inwieweit die Entscheidung bereits umgesetzt wurde, ist laut der Nachrichtenagentur Reuters unsicher.

Wifo warnte bereits im Mai

Experten warnen schon länger, dass dies eine Gefahr für Europa darstellt. "Besonders die Lieferungen von Kasachstan, die über russisches Staatsgebiet laufen, könnten von Russland (leicht) unterbunden werden", schrieben etwa Ökonominnen des Wiener Wirtschaftsforschungsinstituts bereits im Mai.

Fest steht, dass Kasachstan ein äußerst wichtiger Öllieferant ist. Was Österreich betrifft, ist das zentralasiatische Land der größte Lieferant, dessen Exporte rund 40 Prozent des Bedarfs decken.

Fazit all dessen: Konkrete Lieferausfälle bei Treibstoffen in Österreich gibt es zwar nicht, dennoch ist die Lage angespannt. Das zeigt sich nicht zuletzt an den äußerst hohen Treibstoffpreisen. Sie liegen derzeit für Diesel wie auch Benzin bei knapp 2,1 Euro pro Liter.

Wer ist schuld an Höchstpreisen?

An derartigen Rekordpreisen sei aber nicht nur die angespannte weltpolitische Lage schuld, kritisieren Experten – sondern auch die Tatsache, dass Energiekonzerne mitnaschen. Das linksgerichtete Wiener Momentum-Institut hat sich angesehen, inwiefern die hohen Spritpreise und die Rohölpreise am Weltmarkt zusammenpassen. Das Ergebnis: Der Aufschlag der Mineralölkonzerne auf den Rohölpreis liegt momentan bei 174 Prozent, deutlich über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre.

Die Treibstoffpreise beschäftigen nicht nur die Politik und Ökonomie, sondern auch die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Diese untersucht seit Ende März auf Betreiben der türkis-grünen Regierung den Treibstoffmarkt. Sollte "fehlender oder beschränkter Wettbewerb Ursache der derzeitigen Preise sein", so die BWB im März, würde dies nämlich einen Verstoß gegen das Kartellrecht darstellen.

Mit Ergebnissen der Marktuntersuchung wird noch im Sommer gerechnet. (Joseph Gepp, 6.7.2022)