Teilweise in extremen Bahnen umkreisen Sterne das supermassereiche Schwarze Loch Sagittarius A* im Zentrum der Milchstraße.
Illustr.: ESO/L. Calçada/spaceengine.or

Es ist keine zwei Monate her, da haben Forschende die neuesten Ergebnisse des "Event Horizon Telescope"-Projekts (EHT) vorgestellt: Die ersten deutlichen Bilder des gigantischen Schwarzen Lochs Sagittarius A* im Zentrum unserer Galaxis. So spannend diese Aufnahmen auch sind, die nähere Umgebung des Schwarzen Lochs ist nicht weniger aufregend. Denn dort schwirren Sterne um das Schwerkraftzentrum unserer Heimatgalaxie, deren Bewegung nicht mehr den Regeln der klassischen Physik gehorchen. Nun hat ein internationales Team einen Stern entdeckt, der alle bisher bekannten deutlich übertrumpft.

Rasend schnell und fürchterlich nahe

Der Stern mit der Bezeichnung S4716 benötigt für eine Runde um Sagittarius A* nur vier Jahre. Das mag zunächst nicht so beeindruckend klingen, ist aber dennoch ein Rekord. Auf seiner elliptischen Bahn ist der Stern mit einer Geschwindigkeit von bis zu 8.000 Kilometern pro Sekunde unterwegs, immerhin weniger als ein Vierzigstel (2,6 Prozent) der Lichtgeschwindigkeit.

S4716 nähert sich dem Schwarzen Loch auf seinem Rundkurs bis auf 100 Astronomische Einheit (AE), für astronomische Maßstäbe eine Winzigkeit. Zum Vergleich: Der Planet Neptun liegt 30 AE von der Sonne entfernt, und die Raumsonde Voyager 1 hat mittlerweile schon mehr als 150 AE zurückgelegt.

S4716 ist so nahe an dem Schwerkraftmonster nicht allein unterwegs. In der unmittelbaren Umgebung des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxie befindet sich eine dicht gedrängte Sternenschar. Dieser S-Cluster genannte Haufen beherbergt weit über hundert Sterne, die sich in ihrer Helligkeit und ihrer Masse unterscheiden. Alle diese S-Sterne bewegen sich außerordentlich schnell. Aus dieser Gruppe rekrutieren sich auch die bisherigen Rekordhalter in der Disziplin "Kürzeste Runde um das Schwarze Loch": S62 benötigt 9,9 Jahre und S4711, bisher an der Spitze, braucht nur 7,6 Jahre.

Die Aufnahme zeigt einige Sterne aus dem S-Cluster. S4716 ist im Zentrum zu sehen.
Foto: Uni Köln

Störender Kollege

"Ein prominenter Vertreter, S2, verhält sich dabei wie eine große Person, die sich im Kino vor einen setzt: Sie blockiert die Sicht auf das Wesentliche", sagt Florian Peißker von der Universität Köln, Hauptautor der neuen im "Astrophysical Journal" erschienenen Studie. "Der Blick in das Zentrum unserer Galaxie ist daher oft von S2 verdeckt. Es ergeben sich aber kurze Augenblicke, in denen wir die Umgebung des zentralen Schwarzen Lochs observieren können."

Der konsequenten Weiterentwicklung von Analysemethoden zusammen mit Observationen, die fast zwanzig Jahre abdecken, ist die Entdeckung von S4716 zu verdanken. Insgesamt haben fünf Teleskope den Stern beobachtet, wobei vier dieser fünf zu einem großen Teleskop zusammengeschaltet wurden, um noch genauere und detailliertere Beobachtungen zu ermöglichen. "Dass sich ein Stern auf einem stabilen Orbit so nah und schnell im Umfeld eines supermassiven Schwarzen Lochs befindet, ist vollkommen unerwartet und markiert die Grenze, die mit traditionellen Teleskopen beobachtet werden kann", so Peißker.

Viele Rätsel bleiben

Darüber hinaus wirft die Entdeckung ein neues Licht auf den Ursprung und die Entwicklung der Umlaufbahn von sich schnell bewegenden Sternen im Herzen der Milchstraße. "Die kurzperiodische, kompakte Bahn von S4716 ist ziemlich rätselhaft", sagt Michal Zajaček, Astrophysiker an der Masaryk-Universität in Brünn, der an der Studie beteiligt war. "Sterne können sich nicht so einfach in der Nähe des Schwarzen Lochs bilden. S4716 musste nach innen wandern, zum Beispiel durch eine Reihe von Annäherungen an andere Sterne und Objekte im S-Haufen, was seine Bahn deutlich schrumpfen ließ", so Zajaček. (tberg, red, 7.7.2022)