So könnte Meraxes gigas einst ausgesehen haben. Er verschwand, noch ehe T. rex auftauchte.
Illustration: Carlos Papolio

Er gilt als König der furchteinflößenden Spitzenräuber vergangener Erdzeitalter, ist aber gleichzeitig auch der meistverspottete Dinosaurier aller Zeiten: Tyrannosaurus rex, der vor 66 Millionen Jahren mit bis zu zwölf Metern Körperlänge, einem Gewicht von bis zu sieben Tonnen und riesigen Zähnen Angst und Schrecken verbreitete. Nicht ganz so gut zu diesem Image passen seine fast schon absurd kurzen, verkümmert wirkenden Ärmchen, die ihn posthum zur Zielscheibe unzähliger Memes im Internet machen und oft eher Hohn als Respekt einbringen. Wozu T. rex seine Arme aber eigentlich nutzte, gibt nach wie vor Rätsel auf.

Jedenfalls war er keineswegs der einzige Dinosaurier mit auffällig kurzen Armen. Ein internationales Forschungsteam ist nun in Argentinien auf die Überreste einer bislang unbekannten Dinosaurierart gestoßen, die unter anderem diese auffälligen Extremitäten mit T. rex gemeinsam hatte: Meraxes gigas, ein Vertreter der Carcharodontosauridae. Der riesige Raubsaurier dürfte dieses Merkmal schon deutlich früher entwickelt haben – er starb rund 20 Millionen Jahre vor dem Auftauchen der Tyrannosaurier aus, berichtet das Team um Juan Canale vom argentinischen Ernesto Bachmann Paleontological Museum in Neuquén im Fachblatt "Current Biology".

Unabhängige Entwicklung

Ein nahes Verwandtschaftsverhältnis zwischen den beiden Kurzarmräubern gibt es trotz einiger Ähnlichkeiten nicht. Ihre Ärmchen müssen sich unabhängig voneinander entwickelt haben, sagt Studien-Erstautor Canale. Der Paläontologe ist davon überzeugt, dass ihnen ihre auffälligen oberen Extremitäten einen Überlebensvorteil boten. Aber welchen?

Der Fund von Meraxes gigas könnten dabei helfen, Licht ins kreidezeitliche Dunkel zu bringen. Das Fossil umfasst vollständige Bereiche des Skeletts samt Armen und Beinen, die bisher einzigartige Einblicke in die Anatomie der Carcharodontosauridae erlauben. "Das Skelett weist große Muskelansätze und voll entwickelte Schultergürtel auf, also waren die Arme sehr muskulös", sagte Canale. Das zeige, dass sie nicht etwa geschrumpft waren, weil sie für die Dinosaurier nutzlos waren.

Wozu der Dinosaurier seine muskulösen Arme einsetzte, ist unklar.
Illustration: Jorge A. Gonzalez

Waffe, Greifwerkzeug oder passiver Selbstschutz?

Die für T. rex kursierende Theorie, dass die kleinen, aber kräftigen Arme dank scharfer Klauen möglicherweise als Schlitzwerkzeuge bei der Jagd gedient haben könnten, hält der Forscher für unwahrscheinlich. "Die Arme könnten aber der Fortpflanzung gedient haben, etwa den Männchen, um Weibchen während der Paarung festzuhalten", sagt Canale. Denkbar sei auch, dass sie zum Einsatz kamen, um sich nach einem Sturz wiederaufzurichten.

Diese Erklärungen hat allerdings, zumindest für T. rex, erst kürzlich ein anderer Forscher zurückgewiesen. Biomechanische Analysen würden zeigen, dass die Arme nicht nur kurz, sondern auch äußerst unbeweglich gewesen sein dürften, argumentierte Kevin Padian von der University of California in Berkeley. Das würde sie für die allermeisten Aktivitäten unbrauchbar machen. Padian brachte stattdessen eine ganz andere Idee ins Spiel, die allerdings einiges an Fantasie voraussetzt: Die kurzen Arme könnten seiner Ansicht indirekt vor Angriffen durch Artgenossen bewahrt haben.

Offenes Rätsel

Jüngste Untersuchungen deuten darauf hin, dass T. Rex womöglich ein Rudeljäger war. Das es beim gemeinschaftlichen Verzehr der Beute unter einer Horde Tyrannosaurier nicht immer ganz gesittet zuging, klingt nachvollziehbar. Padian vermutet aggressives Verhalten, ähnlich wie heute unter Krokodilen, die sich beim Fressen nicht selten gegenseitig zerfleischen. Bisse in die Arme wären laut Padian in einem solchen Szenario nicht nur wahrscheinlich, sondern auch potenziell lebensgefährlich. Kleinere Arme könnten das Risiko für solche schweren Verletzungen minimiert und sich daher letztendlich evolutionär durchgesetzt haben, mutmaßt der Forscher.

Allerdings passen die ausgeprägten Muskeln nicht so recht in die Erklärung, die den Armen eine sehr passive Rolle zuschreibt. Einen überzeugenden Nachweis für diese wie auch für andere Theorien zum Zweck der Miniarme gibt es nicht. Ob ein solcher Jahrmillionen nach dem Verschwinden der Riesen überhaupt noch erbracht werden kann, ist fraglich. Ziemlich sicher lassen sich aber einige der kreativen Vorschläge ausschließen, die im Lauf der Zeit veröffentlicht wurden: etwa, dass die Arme zum Winken eingesetzt wurden – oder zum Umschubsen anderer Dinosaurier. (David Rennert, 8.7.2022)