Franzis Kabisch zeigt im Gastblog, wie Spielfilme über Abtreibung und Aktivismus die Leistungen kollektiver Gruppen ausblenden.

In diesem Februar lief auf der Berlinale der Film "Call Jane" (USA 2022) der Regisseurin Phyllis Nagy. Der Spielfilm erzählt die wahre Geschichte des Kollektivs "Jane", das im Chicago der 1960er und 1970er Abtreibungen für Schwangere in Not organisierte. Da Abbrüche zu dieser Zeit in den USA noch illegal waren, mussten die "Janes" im Untergrund arbeiten, sich kreative Lösungen ausdenken und sich gegenseitig auch immer wieder Mut machen – denn auch für die Mithilfe zu Abtreibungen gab es hohe Gefängnisstrafen.

Hilfe über eine geheime Telefonnummer

Das Kollektiv verbreitete seine Telefonnummer über Aushänge im öffentlichen Raum sowie Anzeigen in der Zeitung. Wer ungewollt schwanger war und von der Nummer erfuhr, bekam nach einem Anruf eine kurze Beratung. Auf Wunsch erfolgte ein Abbruch in Verbindung mit Fürsorge, Essen und Informationen zur Nachsorge. Allerdings waren die Abbrüche teuer, unter anderem, weil das Kollektiv die ersten Jahre mit einem Arzt zusammenarbeitete, der an den Abtreibungen gut verdienen wollte.

Als die "Janes" jedoch herausfanden, dass dieser Arzt gar keine offizielle Lizenz hatte, verlangten sie von ihm, ihnen den Eingriff beizubringen. Mit diesem Wissen, viel Geschick und professionellen Instrumenten führten sie die Abbrüche danach selbst durch. Auf diesem Weg konnten sie auch jenen Schwangeren einen Abbruch anbieten, die sie vorher wegschicken mussten, weil sie kein oder nur wenig Geld hatten.

Sie taten dies so lange, bis sie im Jahr 1972 verraten wurden und sich vor Gericht verantworten mussten. Wenn Abtreibungen Anfang 1973 nicht durch den berühmten Prozess "Roe v. Wade" legalisiert worden wären, hätte das Kollektiv für Jahre ins Gefängnis gemusst. Durch die Gesetzesänderung wurden sie aber freigesprochen, und ihre Arbeit wurde überflüssig.

Heldenlogik blendet kollektive Leistung aus

Der Film "Call Jane" fiktionalisiert die Geschichte des Jane-Kollektivs, erzählt dessen Arbeit aber hauptsächlich über eine Figur – die der gut situierten Hausfrau Joy, die nach einem eigenen Abbruch zu dem Kollektiv stößt und alles umkrempelt. Sie ist es im Film, die die Lüge des Arztes aufdeckt, dann lernen will, Abtreibungen selbst durchzuführen, und eine besondere "Heldinnen"-Rolle einnimmt – was die Arbeit der anderen unsichtbar macht.


Feministische Bewegungen basieren auf einem kollektiven Handeln, wie die Proteste gegen das Urteil des Supreme Court zu "Roe v. Wade" veranschaulichen.
Foto: IMAGO/ZUMA Wire

Etwas Ähnliches ist auch 2018 passiert, als die Geschichte des Kollektivs schon einmal für die Leinwand adaptiert wurde, und zwar im Spielfilm "Ask for Jane" der Regisseurin Cait Cortelyou. Auch hier dreht sich die Handlung um ein paar wenige Schlüsselfiguren, die im Zentrum des Narrativs stehen – zum Beispiel die rebellische Figur Janice, die die Abhängigkeit von Männern nicht länger akzeptieren will und den Arzt daraufhin drängt, selbst Abtreibungen durchzuführen. Im Gegensatz zu Joy in "Call Jane" ist sie aber keine wohlhabende Hausfrau und Mutter, sondern eine junge Studentin im 68er-Spirit.

Trailer von "Ask for Jane" (2019).
Movie Trailers Source

Fiktionale Filme folgen oft der gängigen Heldenlogik, die Story anhand einer oder zwei Figuren zu erzählen – das schafft Identifikationspotenziale, Empathie und Übersicht, wenn wir der Figur über ihren Konflikt hinweg folgen. Das Beispiel des Jane-Kollektivs zeigt jedoch deutlich, dass die Zuspitzung auf eine Hauptperson nicht immer sinnvoll ist. Der Kampf gegen die Illegalisierung von Abtreibung war nur durch die Anstrengung mehrerer Menschen möglich und das Kollektiv lebte nicht von den Ideen einzelner, sondern von der Solidarität und Care-Arbeit vieler.

Feminismus als gemeinschaftliche Praxis

Die Filme über das Jane-Kollektiv bieten stattdessen eine Lesart an, die feministische Bewegungen individualisiert, die Arbeit der anderen somit in den Hintergrund drängt und unsichtbar macht. Aber genau diese Arbeit – langweilige Reproduktionsarbeit oder sich immer wiederholende administrative Aufgaben ohne schnelle Erfolgserlebnisse – ist es, was die Pro-Choice-Bewegung auszeichnet und was sie nach der reaktionären Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Court im Juni dieses Jahres auch leider wieder braucht.

Trotz der eher konservativen dramaturgischen Entscheidungen zeigen die vielen Filme rund um das Jane-Kollektiv – neben den beiden Spielfilmen gibt es auch noch zwei Dokumentarfilme aus den Jahren 1996 und 2022 –, wie erfolgreich die Selbstorganisation feministischer Gruppen sein kann und wie wichtig es ist, diese Geschichte(n) festzuhalten.

Trailer von "The Janes" (2022), einem Dokumentarfilm über die Bewegung.
HBO

Und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Österreich oder Deutschland. Während die Berliner Pro-Choice-Gruppe "Ciocia Basia" schon einmal in der ZDF-Krimi-Serie "Letzte Spur Berlin" fiktionalisiert wurde (Folge "Die Taufpatin", 2020), steht ein Film über die österreichischen Gruppen "Changes for Women" oder "Ciocia Wienia", die wie das ehemalige Jane-Kollektiv ungewollt Schwangere in Notlagen unterstützen, noch aus. (Franzis Kabisch, 11.7.2022)