Wie schafft das dieser Mann? Woraus bezieht Wolodymyr Selenskyj seine Kraft? Solche Fragen stellen sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine viele Menschen auf der ganzen Welt. Für den polnischen Journalisten Wojciech Rogacin lässt sich die Antwort so zusammenfassen: "Wolodja Selenskyj wollte immer bei allem der Erste sein."

Biograf Wojciech Rogacin mit seinem Buch in Berlin.
Foto: Birgit Baumann

Mit diesen Worten beginnt Rogacin auch seine Biografie, die den schlichten Titel "Selenskyj" trägt. Sie war zunächst auf Polnisch erschienen, nun liegt sie in der deutschen Übersetzung von Benjaim Voelkel, herausgebracht vom Europa-Verlag, vor. Es ist, laut Verlag, die erste umfassende Biografie des ukrainischen Präsidenten auf Deutsch.

Zu schreiben habe er 2019 angefangen, erklärt Rogacin bei der Buchpräsentation in Berlin. Damals, im Frühjahr vor drei Jahren, als Selenskyj für das Amt des ukrainischen Präsidenten kandidierte, fand der Autor ihn noch nicht so gut. "Ich war misstrauisch", erklärt er und fügt hinzu: "So wie viele andere in Polen auch." Selenskyj war ein Überraschungskandidat, zuvor Komiker, Moderator und Schauspieler gewesen und brachte keinerlei politische Erfahrung mit. Rogacin: "Wir dachten, vielleicht ist er zu schwach gegenüber Putin." Nun jedoch konstatiert Rogacin: "Er ist ein charismatischer Leader." Und er schreibt: "Als ich seinem Lebenslauf auf den Grund ging, verstand ich, wie mannhaft er sich angesichts des russischen Überfalls schlägt."

Außergewöhnlicher Werdegang

Auf mehr als 200 Seiten zeichnet er den außergewöhnlichen Werdegang des heute 44-Jährigen nach. Gerne hätte der Journalist, der Chefredakteur der Tageszeitung "Polska Times" ist und die Presseagentur Polska Press mitbegründet hat, mit Selenskyj selbst gesprochen. Das aber klappte nicht. Also zitiert Rogacin viele Weggefährte, etwa Selenskyjs Schulgefährten, Andrij Saslawaskyj. Dieser meint, der "Überambitionierte" war in jungen Jahren so charmant und normal, dass es nicht zu Konflikten kam. "Wowa" sei schon "damals in der Schule nicht für einen gewöhnlichen Jungen gehalten worden".

Zitiert wird auch Selenskyjs Mutter Rimma Selenska: "Er mochte Kinder, und die Kinder mochten ihn. Schon im Kindergarten und auf dem Hof hatte er einen Kreis von Gleichaltrigen um sich, die ihn als Anführer der Gruppe behandelten."

Über die Zeit nach Schule und Studium, in der Selenskyj als Schauspieler und Komiker tätig war, schreibt Autor Rogacin: "Manche sehen ihn nur als Komiker. Dabei war er leitender Kopf eines Ensembles und Geschäftsmann, gründete Firmen, beschäftigte hunderte Menschen, seine Produktionen gewannen bei Festivals auf der ganzen Welt Preise."

Vergleich mit "Clown Chaplin"?

Doch Selenskyj sei nicht beleidigt gewesen, wenn man ihn einen Clown nannte. Er sagte einmal in einem Interview: "Chaplin war ein genialer Clown. Und nebenbei war er in der Lage, gegen die Nazis zu kämpfen."

Rogacin erinnert auch daran, dass Selenskyjs Satireshow im Fernsehen über die Mächtigen in der Ukraine so bissig war, dass er sogar in der eigenen Familie angefleht wurde: "Wowa, ändert das. Wowa, hört auf, Witze über den Präsidenten (Viktor Janukowytsch) zu machen!"

Und dann wurde Selenskyj 2019 selbst Präsident. Seit dem Angriff Russlands gegen sein Land im Februar 2022 ist er auch medial omnipräsent, was sein Biograf so beschreibt: " (…) berühren seine Kriegsreden die ganze Welt. Selenskyj nutzt seine Erfahrung und sein Talent als Schauspieler, die Tatsache, dass er sich vor der Kamera pudelwohl fühlt."

Es ist eine sehr wohlwollende Biografie, die Rogacin da vorgelegt hat. Selenskyj, so der Tenor, sei von Kindheit an etwas Besonderes gewesen. "Selenskyj wurde zum Helden nicht nur seines eigenen Volkes", heißt es im Buch.

Gelegentliche Arroganz

Bei der Buchvorstellung wurde er gefragt, ob er an Selenskyj auch weniger positive Eigenschaften festgestellt habe. Die gebe es durchaus, so Rogacin. Dem Präsidenten werde nachgesagt, dass er gelegentlich arrogant sei. Und er beantworte ihm missliebige Fragen von Journalisten nicht.

An die Deutschen hat Autor Rogacin übrigens auch noch einen Rat: "Sie sollten der Ukraine jetzt Waffen liefern. Sonst müssen sie in ein paar Jahren selbst gegen Putin kämpfen." (Birgit Baumann, 7.7.2022)